2021: Keine Motorradschutzkleidung, trotzdem kein Mitverschulden

Ein Motorradfahrer erlitt 2021 bei einem Unfall schwere Verletzungen, Schutzkleidung hatte er nicht getragen. Ein Mitverschulden muss er sich laut OLG Celle trotzdem nicht anrechnen lassen. Denn ein allgemeines Verkehrsbewusstsein, Schutzkleidung anzulegen, habe es im Jahr 2021 nicht gegeben. 

Im Sommer 2021 stieß ein Motorradfahrer mit einem landwirtschaftlichen Gespann zusammen. Er hatte überholen wollen, obwohl es verboten war; der Gespann-Fahrer bog nach links ab, ohne sich noch einmal umzuschauen. Der Motorradfahrer wurde bei dem Unfall erheblich im Becken- und Hüftbereich verletzt, ihm musste in der Folge eine neue Hüfte eingesetzt werden.

Seiner Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hielt die gegnerische Versicherung entgegen, dass er ohne Motorradschutzbekleidung gefahren war: Mit Schutzkleidung hätte er die erlittenen Verletzungen vermieden, jedenfalls aber weniger schwere erlitten. Nach Klageabweisung durch das LG ging der Motorradfahrer in Berufung, machte aber nur noch eine hälftige Haftung des Gespanns geltend – mit Erfolg.

2021 kein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung

Eine hälftige Haftung sei jedenfalls gegeben, entschied das OLG Celle (Urteil vom 13.03.2024 - 14 U 122/23). Dabei hat es im Rahmen der Haftungsabwägung dem rechtswidrigen Überholen des Motorrads den Verstoß des Gespann-Fahrers gegen die doppelte Rückschaupflicht sowie eine erhöhte Betriebsgefahr des neun Meter langen Gespanns (30%) gegenübergestellt.

Ein Mitverschulden, weil er keine Schutzkleidung, insbesondere keine Motorradhose trug, muss sich der Motorradfahrer laut OLG nicht anrechnen lassen. Zwar sei ein Mitverschulden nicht automatisch deshalb zu verneinen, weil es für das Tragen von Schutzkleidung keine gesetzliche Regelung gibt. Denn maßgeblich sei, ob der Verletzte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Dafür sei entscheidend, ob und inwieweit es ein allgemeines Verkehrsbewusstsein gibt, zum eigenen Schutz bestimmte Schutzkleidung zu tragen. Im Jahr 2021 sieht das OLG ein solches allgemeines Verkehrsbewusstsein aber nicht gegeben: Nach den Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen hätten 2021 nur 45,9% der Motorradfahrer außer dem Helm weitere Schutzkleidung getragen, "komplette" Schutzkleidung nur 24,6%.

Anders hatten das 2006 und 2009 das OLG Düsseldorf und das OLG Brandenburg gesehen, die jeweils wegen Motorradfahrens ohne Schutzkleidung ein Mitverschulden bejahten. 2019 verneinte das OLG Düsseldorf dagegen ein Mitverschulden bei fehlender Schutzkleidung im Jahr 2014. In einer Entscheidung vom Dezember vergangenen Jahres verneinte das OLG Brandenburg ein Mitverschulden bei einem Motorradfahrer, der mit Clogs gefahren war.

Redaktion beck-aktuell, hs, 24. April 2024.