Rentnerin bestreitet Tat
Bei ihrem sechsten Delikt geht es um Puder, Wimperntusche, Haarklammern, Reinigungscreme und Sahnesteif im Gesamtwert von 18,73 Euro. Sie habe nicht gestohlen, wiederholt die alte Dame während des Berufungsprozesses immer wieder: "Das ist mir von irgendeinem Menschen zugetragen worden." Doch mehrere Zeugen belasten die Seniorin.
Schon einmal im Gefängnis
Beim ersten Diebstahl beobachtete eine Verkäuferin, wie Millgramm Gulasch aus der Fleischtheke in einen Gefrierbeutel füllte. Das preisreduzierte Fleisch kostete sie nach einem Urteil des Amtsgerichts Memmingen 1.800 Euro Strafe. Weitere Ladendiebstähle folgten: Fertigsuppen, eine Flasche Rum. Später: Tabletten, Mascara, Feuchtigkeitscreme, Pflaster, Eyeliner, Puder, Wimperntusche. Nach dem fünften Delikt musste sie im Oktober 2017 ins Gefängnis. Durch das Interesse der Öffentlichkeit erhielt Millgramm viel Aufmerksamkeit, andere Menschen meldeten sich und wollten sie unterstützen. Nach 55 Tagen wurde die Frau vorzeitig aus der Haft entlassen.
Weniger als 100 Euro zum Leben – Armut als Motiv angegeben
Ihr Motiv aus den vergangenen Prozessen scheint nicht zu halten. Damals hatte sie immer wieder beteuert, aufgrund ihrer geringen Rente gestohlen zu haben. "Das habe ich getan, weil ich sonst verhungert wäre", so äußert sie sich auch jetzt. Millgramm habe ihr halbes Leben lang gearbeitet, heißt es. Mit ihrem zweiten Mann lebte sie im Wohlstand. Doch dann habe sie Investitionen verloren. Und im selben Jahr ihren Mann. Heute bekommt sie mit Witwenrente etwa 725 Euro. Grundsicherung erhält sie nicht. Monatlich bleiben ihr nach eigenen Angaben weniger als 100 Euro zum Leben.
Armutsgefährdung im Alter
Millgramm gehört zu den drei Millionen Rentnern in Deutschland, die als "armutsgefährdet" gelten. In Bayern fallen alle darunter, die monatlich weniger als 1.025 Euro erhalten. "In den nächsten Jahren werden viele Langzeitarbeitslose und Menschen aus dem Niedriglohnsektor ins Rentenalter kommen. Für viele von ihnen ist der Weg in die Altersarmut vorprogrammiert", sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Staatsanwalt: Haft beeindruckte nicht lange
"Sowohl psychisch als auch physisch hat sie die Haft sehr mitgenommen", erklärt Millgramms Bewährungshelferin vor Gericht. "Dieser Hafteindruck hat nicht mal ein halbes Jahr gehalten", sagte der Staatsanwalt im Plädoyer. Auch das Argument, Millgramm habe nur aus Hunger gestohlen, verfing nicht bei ihm. Er verwies auf die gestohlene Kosmetik. Er fordert sechs Monate Haft. Der Verteidiger plädierte für Freispruch.
Gericht: Bewährungsstrafen nicht genutzt
Für das Gericht hat die Justiz "sehr wohl das hohe Lebensalter und den Gesundheitszustand von Frau Millgramm berücksichtigt" – auf der anderen Seite gebe es die vielen Vorstrafen und die Bewährungsstrafen, die sie nicht genutzt habe. "Die Justiz hat sehr viel Geduld mit Ihnen gehabt", so der Richter bei der Urteilsverkündung.