Justiz in den sozialen Medien: "TikTok überfordert uns momentan noch"
© Sven Brauers

Was haben Gerichte auf LinkedIn und Instagram verloren? Was dürfen Justiz-Influencer? Braucht man für Justiz-Öffentlichkeitsarbeit Profis? Stefanie Otte, Präsidentin des OLG Celle, wirbt für mehr Offenheit der Justiz für soziale Medien: Sie seien viel mehr Chance als Risiko.

beck-aktuell: Frau Otte, wie sieht Ihre persönliche Bildschirmzeit aus? Sind Sie privat social-media-affin?

Stefanie Otte: Leider ja. Ich muss zugeben, dass ich mich oft selbst ermahnen muss, mich von den Bildschirmen zu lösen. Es ist eine der Gefahren, wenn man sich beruflich damit beschäftigt.

beck-aktuell: Ihr OLG ist offiziell auf sozialen Medien unterwegs. Welche Medien nutzen Sie und warum eigentlich? 

Otte: Wir sind seit 2021 auf Instagram, initiiert von unserem Nachwuchsteam. Wir haben damit vor allem unter dem Aspekt der Nachwuchsgewinnung angefangen, um unser OLG und unseren Bezirk bekannt zu machen. Dann haben wir aber festgestellt, dass es auch ein großes Bedürfnis nach Informationen gibt. Wir arbeiten ständig weiter daran und sind alles andere als fertig. Inzwischen sind wir auch auf LinkedIn und gelegentlich auf YouTube aktiv. TikTok überfordert uns momentan noch.

"Es ist ein Balanceakt"

beck-aktuell: Warum überfordert Sie TikTok?

Otte: Es ist ein Balanceakt, die Judikative – eine wichtige staatliche Gewalt – zu repräsentieren, die mit Distanz und Objektivität einhergeht, und gleichzeitig die sozialen Medien zu nutzen, die von Bildern und schnellen Neuigkeiten leben. TikTok treibt das Ganze ja noch einmal auf die Spitze. Wir brauchen dazu Beratung und Profis, um diese Plattformen zu bespielen.

beck-aktuell: Sie haben gesagt, Nachwuchsgewinnung ist ein Punkt. Kann Social Media auch die Akzeptanz der Justiz und ihrer Urteile erhöhen?

Otte: Auf jeden Fall. Das gesellschaftliche Leben findet heute im Internet statt, besonders für die junge Generation. Wir müssen transparent sein und erklären, was die Judikative bedeutet. Da sind die sozialen Medien eine große Chance für uns.

"Die Erlebbarkeit von Recht ist wichtig"

beck-aktuell: Hier in Deutschland herrschte lange Zeit die Denke vor, dass die Justiz nur durch ihre Urteile sprechen solle. Ist Ihre Auffassung heute mehrheitsfähig?

Otte: Die Erlebbarkeit von Recht ist wichtig, wenn sie mit einem Bildungsauftrag einhergeht, wenn es also um mehr als Boulevard geht. Es geht nicht nur um öffentlichkeitswirksame Prozesse, sondern auch um weniger interessante Rechtsstreitigkeiten und darum, zu erklären, was die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern bedeutet, wie Gerichtsurteile entstehen, und natürlich auch darum, welche Menschen in den Gerichten arbeiten. Die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, ist in der Bevölkerung nicht immer sonderlich ausgeprägt, aber notwendig. Wir haben ja auch keinen Rechtskundeunterricht mehr in den Schulen. Es fehlt also oft an den Basics des Rechtsstaats.

beck-aktuell: Wie kann man das konkret umsetzen, wenn die personellen Ressourcen in der Justiz ohnehin begrenzt sind?

Otte: Unser Auftrag ist das Lösen von Fällen. Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig, aber sie darf nicht zulasten der Rechtsprechungsarbeit gehen. Da sehe ich auch die Haushaltsgesetzgeber in der Verantwortung, die Politik muss Ressourcen für Öffentlichkeitsarbeit schaffen. Diese dürfen nicht anderswo aus dem personellen Pool abgezogen werden, sondern müssen ein Add-on sein. Und dann sollte justizielle Öffentlichkeitsarbeit vielleicht auch nicht nur mit eigenen Mitarbeitenden bestückt sein, denn wir sind Rechtsprofis und keine Medienprofis. Da braucht es gegebenenfalls auch professionelle Social-Media-Manager.

"Es gibt viele aufgeschlossene Menschen, die wirkliches Interesse an uns haben"

beck-aktuell: Sollen dann neben der rechtsstaatlichen Bildungsarbeit nach Ihrer Vorstellung auch normale Pressemitteilungen auf Social Media landen – sprich, wollen Sie dort auch einzelne Urteile bekannt machen?

Otte: Ich halte das nicht für übertrieben. Wir sollten zumindest erste Erfahrungen sammeln und mit Journalisten in Kontakt treten, ob das sinnvoll ist. Interaktivität ist wichtig, aber wir müssen vorsichtig sein, da jede Kommentarfunktion weitere Ressourcen erfordert. Deshalb sind es vermutlich eher kleine Schritte, die wir gehen.

Trotzdem: Ohne professionelle Sichtbarkeit in den sozialen Medien werden wir weiter beobachten, dass der Rechtsstaat in der Bevölkerung kaum mehr stattfindet. Deshalb müssen wir die Türen in den sozialen Medien öffnen. Zum Glück genießen wir im Land immer noch ein sehr hohes Ansehen. Aber wir sollten uns darauf nicht verlassen.

beck-aktuell: Müssen Sie in Ihren Kommentarspalten viel moderieren?

Otte: Die Kommentare bei uns halten sich in Grenzen und sind händelbar. Ich will aber nicht ausschließen, dass es Situationen geben kann, in denen man eine Kommentarfunktion abstellen muss. Gleichwohl zeigt sich, dass die Interaktivität Schritt für Schritt wächst und dass, wenn man die Möglichkeit zum Dialog gibt, es auch viele positive, aufgeschlossene Menschen gibt, die wirkliches Interesse an der Justiz haben. Und diese Menschen sollten wir mitnehmen. Das ist kein einfaches Feld, aber aus Sorge vor einem Shitstorm eine Kommentarfunktion gar nicht aufzumachen, bringt uns vermutlich auch nicht weiter.

"Richter-Influencern sollte man einen Vertrauensvorschuss geben"

beck-aktuell: Sprechen wir dennoch über die Grenzen der Kommunikation. Wie weit darf die Justizvermarktung in den sozialen Medien gehen?

Otte: Ich würde es nicht Vermarktung nennen. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen und zu erklären, was Rechtsstaat bedeutet. Wir sind nicht in den sozialen Medien unterwegs, um Fälle zu generieren, sondern um transparent zu sein.

beck-aktuell: Und wie steht es um die Grenzen für einzelne Richterinnen und Richter? Die ehemalige Jugendrichterin Martina Flade etwa hat der Justiz zu Beginn des Jahres den Rücken gekehrt und das auch damit begründet, dass sie nicht mehr die nötige Bewegungsfreiheit gehabt habe, sich im Internet, in Blogs oder auch auf Instagram ganz frei zu äußern.

Otte: Es gibt natürlich ein Mäßigungsgebot für Richterinnen und Richter, zum Beispiel für politische Äußerungen, politische Tätigkeiten, aber auch sonst zur Mäßigung des öffentlichen Verhaltens. Bei Richter-Influencern denke ich, dass man diesen Personen erstmal einen Vertrauensvorschuss geben sollte. Aber natürlich gibt es auch da Grenzen. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir vielleicht sogar länderübergreifend Guidelines erarbeiten zu der Frage, was noch zulässig und was mit dem Richterberuf nicht vereinbar ist. 

beck-aktuell: Wenn nun also jemand nach dem Examen Richter werden will und gleichzeitig einen Instagram-Account mit 34.000 Followern hat, auf dem er sich allgemein zu politischen und gesellschaftlichen Themen äußert – muss er den dann einstampfen? 

Otte: Solange sich die Äußerungen nicht im extremistischen Bereich bewegen und mit dem Mäßigungsgebot vereinbar sind, ist das kein Problem. Wir haben keine speziellen Vorschriften für soziale Medien.

beck-aktuell: Was würde denn beispielhaft gegen das Mäßigungsverbot verstoßen? Wie läge der Fall, wenn jemand ein Instagram-Reel machte, in dem er Israel als Apartheidstaat bezeichnet und mit den Nazis vergleicht?

Otte: Das würde mir Anlass geben, meine Personalabteilung zu bitten, einmal zu überprüfen, ob das disziplinarrechtlich zu verfolgen ist. 

"Es ist wichtig, verantwortungsbewusst zu handeln"

beck-aktuell: Wie geht man eigentlich praktisch vor, wenn man ein Gericht auf Social Media bringen möchte?

Otte: Man sollte sich Beratung holen und ein Konzept entwickeln. Welche Kanäle wollen wir bespielen? Welche Personen sind qualifiziert? Was brauchen wir an Equipment? Welche Reichweite streben wir an? Es ist wichtig, verantwortungsbewusst zu handeln. Man sollte nicht schnell irgendwas anfangen und es dann ebenso schnell wieder einstampfen.

beck-aktuell: Gab es an Ihrem Gericht Schwierigkeiten bei der Umsetzung? Welche Rolle spielen regulatorische Fragen wie Datenschutz?

Otte: Die Herausforderungen liegen eher in den Bereichen Technik und Arbeitsaufwand als in rechtlichen Fragen. Es mangelt uns ja nicht an Juristinnen und Juristen im eigenen Hause.

beck-aktuell: Haben Sie einen Lieblingsaccount, der das richtig gut macht?

Otte: Die Stiftung Forum Recht und die Initiative aus Schleswig-Holstein sind gute Beispiele. Letztere hat ein landesweites Redaktionsteam zusammengestellt und versucht dadurch, ressourcenschonend und gleichzeitig professionell unterwegs zu sein. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg macht das sehr gut. Es gibt viele Gerichte, die sich engagieren, und ich möchte die Menschen ermuntern, mit Interesse auf die Auftritte zu schauen und uns auch gerne Feedback zu geben.

beck-aktuell: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Otte!

Stefanie Otte ist Richterin und Präsidentin des OLG Celle.

Die Fragen stellte Dr. Hendrik Wieduwilt.

Das Gespräch in voller Länge hören Sie in der aktuellen Folge 63 von Gerechtigkeit & Loseblatt, dem Podcast von NJW und beck-aktuell.

Dr. Hendrik Wieduwilt, 28. Juli 2025.

Mehr zum Thema