beck-aktuell: Frau Flade, Sie haben nach drei Jahren als Richterin um Ihre Entlassung gebeten. Was wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Flade: Eigentlich bin ich ja sogar schon seit sechs Jahren in der Justiz, denn bevor ich Richterin in Chemnitz wurde, habe ich drei Jahre lang als Staatsanwältin in Bayern gearbeitet. Besonders in Erinnerung bleiben werden mir in dieser aufregenden Zeit die vielen spannenden Verfahren und tollen Erfahrungen. Die Richtertätigkeit habe ich als sehr sinnstiftend wahrgenommen und werde gerne daran zurückdenken.
beck-aktuell: Die Justiz hat ein großes Nachwuchsproblem. Warum konnte sie eine junge engagierte Richterin nicht halten?
Flade: Das würde ich der Justiz nicht ankreiden wollen, denn es hatte rein persönliche Gründe. Es war für mich ein sehr schwieriger Prozess, der mich viele schlaflose Nächte gekostet hat.
Aber als ich damals angefangen habe, in der Justiz zu arbeiten, war ich noch ein anderer Mensch. Ich habe mich weiterentwickelt. Ein gutes Beispiel dafür ist mein Instagram-Blog, mit dem ich vor etwa zwei Jahren angefangen habe. In diesem Rahmen konnte ich immer wieder über den Tellerrand schauen. Ich habe mit vielen Menschen sprechen können: mit Rechtsanwälten, Unternehmern, aber auch mit Psychologen. Und das hat mich neugierig gemacht. Ich habe neue Interessen entdeckt, denen ich in Zukunft mehr Zeit widmen möchte.
beck-aktuell: Und das passt nicht mit dem Richterberuf zusammen?
Flade: Für mich persönlich passt das nicht mehr. Ich habe immer die Verantwortung gespürt, die man als Richterin auch außerhalb des Gerichtssaals hat und wollte diesem hohen Anspruch gerecht werden. Als Richterin darf ich mich nicht so verhalten, dass das Vertrauen in meine Unabhängigkeit gefährdet werden könnte. Dafür gibt es gute Gründe, aber ich möchte mich nicht mehr ständig in diesem Spannungsfeld bewegen, zwischen dem richterlichen Mäßigungsgebot und meinem Drang nach Selbstverwirklichung. Ich habe mein Interesse am Unternehmertum entdeckt. Für mich ist der Abschied ein konsequenter Schritt.
"Ich finde es wichtig, Verständnis zu schaffen"
beck-aktuell: Der Richtertätigkeit sagt man nach, besonders gut mit der Familie vereinbar zu sein. Sie sind Mutter: Kann die Justiz diesem Ruf gerecht werden?
Flade: Natürlich kommt es immer auf das Dezernat an, es gibt sehr anspruchsvolle und zeitintensive Bereiche. Meine Erfahrung als Jugendrichterin ist aber, dass ich Kind und Job gut unter einen Hut bringen konnte. Der Richterberuf bietet viel zeitliche Flexibilität, ich konnte mich zum Beispiel immer auf die Kita-Zeiten meines Kindes einstellen. Aber als Mutter ist man immer hin- und hergerissen zwischen einem erfüllten Mama-Leben und den Anforderungen des Berufs. Wenn man sich beruflich verwirklichen möchte, geht das immer ein Stück weit zulasten der Familie.
beck-aktuell: Auf Ihrem Instagram-Blog posten Sie regelmäßig über den Beruf, das Jurastudium und juristische – besonders strafrechtliche – Themen. Was ist ihr Anliegen?
Flade: In meinem beruflichen Alltag – und auch privat, würde ich behaupten – erlebe ich immer wieder, dass Menschen nur wenig Verständnis haben – für juristische Entscheidungen, die ihnen etwa in den Medien begegnen, aber auch für das Justizsystem insgesamt. Mit meinem Blog will ich Nicht-Juristen davon berichten, wie unser Justizsystem und das Recht funktionieren. Ich finde es wichtig, Verständnis dafür zu schaffen, damit Menschen Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat haben.
Es geht aber auch darum, alltägliche Erfahrungen zu teilen. In den vergangenen zwei Jahren sind immer mehr Zuschauer dazugekommen, die mir auch oft Fragen zu ganz verschiedenen Themen stellen. Und ich glaube, der Kanal ist auch immer persönlicher geworden. So wie ich mich weiterentwickle, so verändert sich auch mein Blog fortlaufend.
Social-Media-Kanäle von Gerichten: "Das wird kommen"
beck-aktuell: Wie haben die Richterkolleginnen und -kollegen darauf reagiert, dass Sie auf Social Media aktiv sind?
Flade: Die Kolleginnen und Kollegen haben überwiegend wohlwollend reagiert. Gerade am Anfang haben sich auch ein paar Leute darüber lustig gemacht, manche fanden es eigenartig oder konnten es sich persönlich nicht vorstellen, aber ich habe auch viel Zuspruch bekommen.
Es ist auch schon vorgekommen, dass mir andere Richter bei Instagram geschrieben haben, weil sie fanden, mein Blog sei nicht mit dem Richterberuf und dem Mäßigungsgebot vereinbar. Dienstrechtliche Schwierigkeiten hatte ich aber nie. Ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen sehen, dass ich den Beruf modern darstelle und mich immer an die Rahmenbedingungen gehalten habe, und finden das dann auch überwiegend gut und sinnvoll.
beck-aktuell: Mit der Social-Media-Präsenz der Justiz selbst ist es oft nicht weit her. Brauchen deutsche Gerichte eigene Kanäle – und wie könnten die aussehen?
Flade: Bürgernahe Accounts von Gerichten fände ich schon gut. Damit könnten die Gerichte zeigen, wie sie arbeiten und dass sie auch gute Arbeit leisten. Bürgernah zu erklären, wie eine bestimmte Entscheidung zustande gekommen ist, könnte das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. Und mit solchen Accounts könnte man Richter und Richterinnen als Menschen zeigen – natürlich auch die Rechtspfleger und Wachtmeister. Menschen, die den Beruf sehr gerne ausüben, die aber vielleicht auch mal schlecht geschlafen haben oder deren Kind krank geworden ist. Einfach zeigen, dass die Justiz nicht gesichtslos ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch bei der Nachwuchsgewinnung helfen könnte.
Das haben die Gerichte auch erkannt. Das Interesse an Social Media ist groß, aber man tastet sich im Moment noch ran. Ich glaube, es bestehen nach wie vor Unsicherheiten und auch Befürchtungen, dem Ansehen der Justiz in der Gesellschaft zu schaden. Aber es gibt aber auch schon gute Beispiele. Das BMJ hat zum Beispiel einen sehr schönen Account, auf dem es rechtliche Zusammenhänge und die Arbeit des Ministeriums erklärt. Und es gibt das Amtsgericht Bad Iburg mit einem sehr anschaulichen Instagram-Kanal. Ich bin mir sicher, das wird mit der Zeit kommen.
"Jeder muss auf sich selbst hören"
beck-aktuell: Sie erreichen mit Ihrem Kanal auch viele Studierende und Referendarinnen und Referendare. Was sagen Sie jungen Juristen, die sich über ihren eigenen Berufseinstieg Gedanken machen?
Flade: Ich kann die Justiz als Arbeitsumfeld nur empfehlen. Ich habe es selbst sehr gerne gemacht. Aber: Jeder muss auch auf sich selbst hören. Es kommt nicht darauf an, was andere machen oder können. Man sollte genau schauen, was man selbst will, welche Stärken und Schwächen man hat, und auf die eigenen Bedürfnisse hören. Das ist ein Prozess – für mich war es ein langer Prozess der Selbstfindung –, aber es lohnt sich.
beck-aktuell: Was wird sich an Ihrem Kanal künftig ändern?
Flade: Es wird viel Neues geben. Ich werde in diesem Jahr eine Kanzlei für Strafrecht gründen und den kompletten Gründungsprozess auf meinem Blog zeigen. Es wird auch um meinen Alltag als Mutter und das Thema Vereinbarkeit gehen. Ich werde Einblicke in meine Reisen geben, denn ich plane, für eine Weile nach Südafrika zu gehen. Ich werde aber auch weiterhin versuchen, das Recht verständlich zu erklären. Das macht mir sehr viel Spaß und wird auch in Zukunft ein ganz wichtiges Thema auf meinem Blog sein. Auch wenn sich jetzt viel ändert: Ich werde immer sehr gerne an meine Zeit in der Justiz zurückdenken. Gleichzeitig freue ich mich sehr darauf, mich auf etwas Neues einzulassen.
Die Fragen stellte Denise Dahmen.