Jeden Monat veröffentlicht das Justizprüfungsamt Hamm auf seiner Website eine Liste von Prüflingen, die im schriftlichen Teil des Ersten Staatsexamens durchgefallen sind. Unter Studierenden wird sie die "Todesliste" genannt, offiziell heißt sie "Informationen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 JAG NW". "Offiziell" ist hier tatsächlich das Stichwort, denn intern hat die Liste im JPA Hamm offenbar einen ganz anderen Namen, wie am Mittwoch bekannt wurde: die "Blockversager".
Keine schmeichelhafte Bezeichnung. Das fanden auch etliche Studierende, die am Mittwoch routiniert die Website des Prüfungsamts auf Neuigkeiten über die Examensergebnisse überprüften. Was sie dabei gefunden haben, hat eine hitzige Debatte über Wertschätzung und Verständnis zwischen Prüflingen und Prüfungsamt ausgelöst. Das JPA Hamm hatte die Liste dieses Mal unter dem Dateinamen "Internet Blockversager April 2024" veröffentlicht.
Ein Versehen, bei dem wohl der interne "Arbeits-Titel" der Liste genutzt wurde, denn Stunden später löschte das JPA die Liste wieder von der Website und veröffentlichte sie stattdessen unter dem offiziellen Titel. Doch zu spät: Zahlreiche Studierende hatten bereits Screenshots gemacht, die jetzt in den sozialen Medien für eine Welle der Empörung sorgen. Auf beck-aktuell-Anfrage bestätigte der Pressesprecher des OLG Hamm, Bernhard Kuchler, dass die Liste für etwa eine Stunde unter falschem Titel online gewesen war.
"Blockversager": Böser Sarkasmus oder veraltetes Beamten-Deutsch?
Dass die Studierenden sich von dem Begriff "Blockversager" getroffen fühlen, zeigen die empörten Kommentare in den sozialen Medien. So schrieb ein Nutzer beispielsweise "Mehr muss man über diese Ausbildung nicht wissen. Studiert kein Jura, Leute." Ein anderer kommentierte: "Das ist ja richtig motivierend."
Viele Studierende vermuteten, hinter dem internen Arbeitstitel des JPA verberge sich ein böser Sarkasmus, um diejenigen zu verhöhnen, die im Examen durchgefallen waren. So schrieb ein x-Nutzer: "Die Bezeichnung 'Versager' fand jemand intern wahrscheinlich 'witzig', ist aber einfach nur unempathisch und zeigt den wahren Geist (mancher) Mitarbeiter des JPA Hamm."
Tatsächlich ist die Bezeichnung "Blockversager" jedoch ein jedenfalls halb-offizieller Begriff für Personen, die bei den schriftlichen Examensprüfungen – dem schriftlichen "Block" – durchgefallen sind. Er wird offenbar seit langem auch in Prüfungsämtern genutzt, offensichtlich auch beim JPA in Hamm. "Es handelt sich bei dem Begriff des Blockversagens um einen althergebrachten, in Verwaltung, Rechtsprechung und Literatur verwendeten Fachbegriff", heißt es aus dem JPA. "Dementsprechend wird der Fachbegriff auch intern seit Jahrzehnten zur Kurzbeschreibung genutzt."
Dem JPA Hamm sei ein wertschätzender Umgang mit allen Kandidatinnen und Kandidaten wichtig. Dieser werde in ständiger Praxis gelebt, so der Pressesprecher. Aus diesem Grund werde der Begriff nur noch intern verwendet. Die Veröffentlichung sei ein "bedauerliches Versehen" gewesen, das unverzüglich korrigiert worden sei. Zur Frage, ob der Begriff auch in Zukunft intern weiterverwendet werde, wollte das JPA keine Aussage machen.
Eine Frage des Mindsets
Auch wenn der Begriff aus veraltetem Beamten-Deutsch stammen mag, können viele Examenskandidatinnen und -kandidaten ihn offenbar weder als beschreibend empfinden noch mit Humor nehmen. "Ich finde den Begriff trotzdem nicht angemessen", schrieb ein Nutzer auf X. Gerade den Mitarbeitenden des Prüfungsamts müsse doch bewusst sein, welche Bedeutung die Examensprüfungen für die Studierenden haben.
Auf das Examen bereiten sie sich lange und akribisch vor. Es gilt als Zerreißprobe für die Psyche und als eine der schwierigsten Hochschulprüfungen überhaupt. Jährlich fallen bundesweit etwa 30% aller Prüflinge durch. Alles Versager?
Die Studierenden sind mit ihrer Empörung nicht allein. Der Mietrechtler Michael Selk erklärte den Vorfall für "unerträglich", Rafael Hanos wies bei LinkedIn darauf hin, dass auch dieser Fail in Nordrhein-Westfalen passiert ist. "Nachdem Bayern mit der Tauchen-darf-man-aber-nicht-Aktion im Fuckups-in-der-juristischen-Ausbildung-Wettbewerb aufgeholt hat, muss sich NRW etwas anstrengen", schrieb der Juraprofessor aus Passau. Und ätzte weiter: "Wenn man das, die Streichung der Referendarsstellen und die geschickte Kommunikation bei der Vorverlegung der mündlichen Prüfung zusammenzählt, ist das bevölkerungsreichste Bundesland wieder auf Platz 1. Herzlichen Glückwunsch!“ Diese Ereignisse der vergangenen Monate hatten die Diskussionen über eine notwendige Reform des Jurastudiums angeheizt.
Harnos fügte hinzu: "Die beste Reform verändert nicht das Mindset der beteiligten Personen. Um mich rhetorisch auf das Niveau von JPA Hamm zu begeben: Die Qualität des Humankapitals lässt zu wünschen übrig und sie wird in der Zukunft nicht unbedingt besser". Eine Studentin auf X klingt dagegen fast fatalistisch: "Es zeigt ganz gut den Druck, der während des Examens und der Zeit davor aufgebaut wird". "Glaube nicht, dass es in anderen Fächern 'Versager'-Listen gibt".