EuGH-Generalanwalt moniert deutsches Verbot der Zugänglichmachung von Teilen von Presseerzeugnissen durch Suchmaschinen

Nach Ansicht von Gerard Hogan, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, dürfen die deutschen Vorschriften, wonach es Suchmaschinen verboten ist, Teile von Presseerzeugnissen ohne vorherige Erlaubnis des Verlegers zugänglich zu machen, nicht angewandt werden. Denn diese Vorschriften hätten der Europäischen Kommission notifiziert werden müssen, da sie eine technische Vorschrift darstellen, die speziell auf einen besonderen Dienst der Informationsgesellschaft abzielt, nämlich die Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen durch die Verwendung von Internet-Suchmaschinen (Schlussanträge vom 13.12.2018, Az.: C-299/17).

Deutschland führte 2013 besonderes Schutzrecht für Presseverleger ein

Im Jahr 2013 führte Deutschland ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht für Presseverleger ein, ohne den Gesetzesentwurf der Kommission zu übermitteln. Die neuen Vorschriften (§§ 87f, 87h UrhG) sehen vor, dass gewerbliche Anbieter von Internet-Suchmaschinen (und gewerbliche Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten), im Gegensatz zu sonstigen – auch gewerblichen – Nutzern, ohne Genehmigung nicht berechtigt sind, Teile von Text-, Bild- oder Videoinhalten (ausgenommen einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte) zugänglich zu machen.

Google unter Berufung auf neues Schutzrecht verklagt

VG Media ist eine Gesellschaft zur Verwertung der Urheber- und Leistungsschutzrechte für unter anderem Presseverleger und nimmt deren Rechte für sie wahr. VG Media erhob namens ihrer Mitglieder beim Landgericht Berlin eine Klage auf Schadenersatz, weil Google vom 01.08.2013 an unentgeltlich Textteile, Bilder und Videos von Presse- und Medieninhalten genutzt habe, die von Mitgliedern von VG Media hergestellt worden seien.

LG Berlin fragt nach Notifizierungspflicht

Das Landgericht Berlin hält die Klage von VG Media für zumindest teilweise begründet. Der Ausgang des bei ihm anhängigen Rechtsstreits hänge davon ab, ob die neuen deutschen Vorschriften als technische Vorschrift, die speziell auf einen Dienst in der Informationsgesellschaft abzielt, anzusehen seien und daher als eine Vorschrift, die der Kommission nach der Richtlinie 98/343 hätte notifiziert werden müssen, um anwendbar zu sein. Diesbezüglich ersucht es den Gerichtshof daher um Auslegung der Richtlinie.

Generalanwalt bejaht Vorliegen technischer Vorschrift

Generalanwalt Hogan führt hierzu aus, dass die fraglichen neuen deutschen Vorschriften über ein dem Urheberrecht verwandtes Schutzrecht für Presseverleger einer technischen Vorschrift im Sinne der Richtlinie 98/34 gleichkommen. Sie könnten nicht einfach als Äquivalent einer Voraussetzung angesehen werden, die wie etwa das Erfordernis einer vorherigen Erlaubnis die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit regele. Ihre praktische Wirkung bestehe darin, die Erbringung des Dienstes auf Betreiben des Presseverlegers entweder einer Verbotsanordnung oder einer Geldforderung zu unterwerfen. Es treffe natürlich zu, dass der Anbieter der Suchmaschine die Urheberrechtsausnahme nutzen könne, jedoch nur, wenn sich die Veröffentlichung auf wenige Wörter oder einen sehr kleinen Ausschnitt beschränke.

Vorschriften zielen auch speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft ab

Hogan ist außerdem der Ansicht, dass die fraglichen deutschen Vorschriften speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielen. Hauptziel und -gegenstand dieser Vorschriften sei es, sich angesichts der Tatsache, dass Medieninhalte zunehmend online gelesen und aufgerufen würden, der Auswirkungen von Internetsuchmaschinen anzunehmen und eine besondere urheberrechtliche Regelung über die Erbringung von Online-Diensten in Bezug auf Presseerzeugnisse durch Anbieter solcher Suchmaschinen vorzusehen.

Hogan verkennt weder Bedeutung der Presse noch deren Einkommensproblematik

Generalanwalt Hogan akzeptiert, dass die fraglichen Vorschriften erlassen worden seien, um die Rechte des geistigen Eigentums der Presseverleger zu stärken und infolgedessen sowohl Medienvielfalt als auch Pressefreiheit zu fördern. Die Allgegenwart des Internets und der weit verbreitete Zugang zu Computern und Smartphones hätten dazu geführt, dass sich im Laufe einer halben Generation bisher seit Langem bestehende Verbrauchergewohnheiten bezüglich des Konsums von Medienerzeugnissen – nicht zuletzt bezüglich des tatsächlichen Zeitungskaufs – dramatisch verändert hätten. Die Gesetzgeber in jedem Mitgliedstaat seien daher grundsätzlich berechtigt gewesen, auf diese Änderung der Verbrauchergewohnheiten zu reagieren. Eine freie und lebendige Presse sei Teil des Lebenssaftes der Demokratie, die den Grundstein der Union und ihrer Mitgliedstaaten darstelle. Es sei einigermaßen unrealistisch, einen Journalismus von hoher Qualität und Vielfalt zu erwarten, der sich an die höchsten Standards der Medienethik und des Respekts vor der Wahrheit halte, wenn Zeitungen und andere Pressekanäle nicht über einen nachhaltigen Einkommensstrom verfügten. Es wäre töricht und naiv, nicht zu erkennen, dass das tradierte Geschäftsmodell von Zeitungen in der gesamten Union – Verkauf und Werbung – in den letzten 20 Jahren durch die Online-Zeitungslektüre der Konsumenten ausgehöhlt worden sei, wobei diese Praxis ihrerseits durch das Aufkommen leistungsstarker Suchmaschinen wie der von Google betriebenen erleichtert worden sei.

Notifizierungserfordernisse dürfen dennoch nicht umgangen werden

Dies bedeute jedoch weder, dass ein Mitgliedstaat berechtigt sei, die Notifizierungserfordernisse der Richtlinie 98/34 zu umgehen. Noch bedeute die Tatsache, dass nach der Richtlinie die Übermittlung eines solchen Gesetzesvorschlags verlangt werde, als solche, dass der Gesetzesentwurf notwendigerweise fehlerhaft oder vom Standpunkt des Binnenmarkts aus zu beanstanden wäre. Vielmehr solle mit der Richtlinie 98/34 erreicht werden, dass die Kommission (und infolgedessen die anderen Mitgliedstaaten) Kenntnis von dem Vorschlag erlange und in einer frühen Phase seine möglichen Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts untersuche.

Deutsche Gerichte sollen neue deutsche Urheberrechtsbestimmungen nicht anwenden

Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof daher vor, zu entscheiden, dass nationale Vorschriften wie die in Rede stehenden, die es ausschließlich gewerblichen Betreibern von Suchmaschinen und gewerblichen Anbietern von Diensten, die Inhalte aufbereiten, nicht aber sonstigen – auch gewerblichen – Nutzern verbieten, Presserzeugnisse oder Teile hiervon (ausgenommen einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte) öffentlich zugänglich zu machen, Vorschriften darstellen, die speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielen. Zudem stellten nationale Vorschriften wie die in Rede stehenden eine technische Vorschrift dar, die der Übermittlungspflicht nach der Richtlinie unterliegt. Folglich dürften mangels einer Notifizierung dieser nationalen Vorschriften an die Kommission die neuen deutschen Urheberrechtsbestimmungen von den deutschen Gerichten nicht angewandt werden.

EuGH, Schlussanträge vom 13.12.2018 - C-299/17

Redaktion beck-aktuell, 13. Dezember 2018.