Es ist ein wichtiger Tag im Leben von Referendarinnen und Referendaren: der Tag, an dem die Noten des zweiten Staatsexamens bekanntgegeben werden. Die Nachricht verbreitet sich inoffiziell, doch wie ein Lauffeuer, oft über WhatsApp oder Lerngruppen: "Die Noten sind da!" Dann – nach einem Blick auf die Webseite des Prüfungsamts – der Schock: durchgefallen!
Viel Zeit, um die niederschmetternde Nachricht zu verwinden, bleibt allerdings nicht. Es muss weitergehen, der zweite – und in der Regel finale – Versuch steht an. Doch zuvor müssen sich die Referendarinnen und Referendare einem intensiven Wiederholungskurs unterziehen, der sie dafür trimmen soll: dem Ergänzungsvorbereitungsdienst.
Was genau die Referendarinnen und Referendare dort erwartet, ist gar nicht so leicht herauszufinden, denn viele Informationen gibt es nicht: einige Ratschläge in einschlägigen Internetforen, ein paar kryptische Normen in den Ausbildungsordnungen des jeweiligen Bundeslands. Der eine oder andere Zeitungsartikel zeichnet das Bild eines staatlich verordneten Bootcamps, das Referendarinnen und Referendare in einen fibertraum-artigen Tunnel aus Büffeln, Klausur-Marathons und Isolation reißt. Oder ist der Ergänzungsvorbereitungsdienst am Ende doch nur die schnöde alte AG, verziert mit einem neuen, komplizierten Namen?
Weniger militärischer Drill, mehr Fingerspitzengefühl
"Es stimmt, dass man getrimmt wird", sagt Joachim Lüblinghoff. Der Richter am OLG Hamm hat 20 Jahre lang Referendarinnen und Referendare im Ergänzungsvorbereitungsdienst begleitet. "Es ist nochmal richtig viel Arbeit, eine intensive Zeit." Aber die Teilnehmenden bekämen auch sehr erfahrene Ausbilderinnen und Ausbilder an die Hand, so Lüblinghoff. Viele waren schon Korrektorinnen und Korrektoren im Examen und wissen genau, worauf dort Wert gelegt wird. "Genau diese Erfahrung soll den Referendarinnen und Referendaren zugutekommen. Wir wollen gewährleisten, dass auch diejenigen, die es einmal nicht geschafft haben, durchs Examen kommen."
Einige Unterschiede zu den AGs im Referendariat gibt es. "Die Gruppen sind kleiner, sodass viel mehr Einzelbetreuung möglich ist", meint Lüblinghoff. Und der Schwerpunkt läge weniger auf der Wiederholung des materiellen- und Prozessrechts, sondern mehr auf den Klausuren. "Das ist genau das, was die Referendare brauchen – Training."
Kein Rundumschlag im dreifachen Tempo also, sondern eher das gezielte Schließen von Wissenslücken, sagt auch Natascha Hager. Die Berliner Amtsrichterin leitet Zivilrechts-AGs im Ergänzungsvorbereitungsdienst. "Militärischer Drill ist eher nicht angezeigt, sondern Fingerspitzengefühl." Ein Stück weit begäben sich die AG-Leiterinnen und -Leiter bei jeder Kandidatin und jedem Kandidaten auf Spurensuche. "Man muss herausfinden, was jeder einzelne für ein Bedürfnis hat: gucken, wo die Missverständnisse und Wissenslücken sind, um dann gezielt diese Lücken zu schließen."
Aufrappeln und nach vorne schauen
Und es gibt noch einen wichtigen Unterschied – da sind sich die AG-Leiterinnen und -Leiter einig: Abseits der Aufgabe, sie fachlich auf den Zweitversuch vorzubereiten, fühlen sie sich auch für das seelische Wohl „ihrer“ Referendarinnen und Referendare verantwortlich. "Es geht auch darum, die Kandidaten erst einmal aufzufangen. Sie sind in einer sehr schwierigen Situation: Am Ende der Ausbildung müssen sie feststellen, dass sie es nicht geschafft haben", meint Lüblinghoff. "Wir AG-Leiter müssen den Referendaren beibringen, dass sie immer noch ein gutes Examen schreiben können."
"Das ist ein wahrgewordener Alptraum", sagt auch Hager. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, die AG-Teilnehmenden wieder aufzubauen. Doch wie verwindet man die Schlappe, beim ersten Versuch durchgefallen zu sein – und das innerhalb kürzester Zeit? Oft sind es nur wenige Monate bis zum zweiten Versuch. "Man darf sich nicht verkriechen", meint Hager. "Es geht darum, sich aufzurappeln und nach vorne zu schauen."
"Wir werden das gemeinsam durchstehen"
Trotzdem brauche es eine gewisse Zeit der Trauer, meint Lüblinghoff. "Wenn die Ergebnisse kommen, sind die Referendarinnen und Referendare in einem tiefen Loch. Sie müssen sich dann gut überlegen, mit wem sie sprechen. Mein Rat ist: Sprechen Sie mit Leuten, die ihre Situation wirklich verstehen. Die auch die Schwere des Examens und seine Bedeutung nachvollziehen können."
Wer wäre in dieser schweren Zeit ein besserer Gesprächspartner als die AG-Kolleginnen und -Kollegen? Deshalb hält Hager den Ergänzungsvorbereitungsdienst für wichtig. "In der Gruppe sind wir in einem geschützten Bereich", sagt sie. Das geteilte Schicksal schweiße zusammen – bestenfalls so sehr, dass die Referendarinnen und Referendare es wagten, offen Dinge anzusprechen, die sie noch nicht verstünden. "Ich versuche, das Band zwischen ihnen zu stärken. Ein Gemeinschaftsgefühl hervorzurufen. Wir sind ein Team, und wir werden das alles gemeinsam durchstehen."
Ergänzungsvorbereitungsdienst: In dem meisten Ländern Pflicht
Eine große Wahl bleibt den Referendarinnen und Referendaren oft auch gar nicht. Der Ergänzungsvorbereitungsdienst ist in allen Bundesländern vorgesehen, in vielen ist er obligatorisch – etwa in Berlin, NRW, Hessen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Andere Bundesländer, z.B. Schleswig-Holstein, Sachsen, Bremen und Hamburg sehen die Möglichkeit vor, den Ergänzungsvorbereitungsdienst (in Ausnahmefällen) zu verkürzen oder ganz ausfallen zu lassen. Referendarinnen und Referendare, die das beantragen, können sich dann allein auf den Zweitversuch vorbereiten, bekommen allerdings auch keine Unterhaltsbeihilfe mehr.
Die Regelungen finden sich in den Ausbildungsordnungen der einzelnen Bundesländer. Was hier oft nicht steht: Wie mit Urlaubsanträgen umgegangen wird, ob der Unterhalt gekürzt werden kann und wie lange der Ergänzungsvorbereitungsdienst dauert. Auch das handhaben die Länder unterschiedlich. Häufig gibt es hierzu aber Infos auf den Webseiten der OLGs. Auch Referendarräte geben oft Merkblätter zum Ergänzungsvorbereitungsdienst heraus. Und es lohnt sich, direkt bei den Ansprechpartnerinnen und -partnern nachzufragen, die man aus dem Referendariat schon kennt.
Der zweite Versuch: "Man darf sich nicht in die Tasche lügen"
Die Ausbildungsstatistik zeigt, dass gut zwei Drittel der Durchgefallenen die Klausuren im zweiten Anlauf schaffen. Die meisten davon haben einen Ergänzungsvorbereitungsdienst hinter sich. Doch wie bereitet man sich optimal auf den Zweitversuch vor?
Die Antwort ist eindeutig: "Der Weg zum Erfolg sind Klausuren, Klausuren, Klausuren!" Jede Woche lassen Hager und Lüblinghoff ihre Referendarinnen und Referendare mehrere Probeklausuren schreiben. Mindestens zwei unter Realbedingungen und möglichst viele Fälle solle man skizzenhaft lösen. Dabei dürfe man sich nicht in die eigene Tasche lügen, sagt Hager. Mit "Realbedingungen" sei auch Realbedingungen gemeint.
Das erfordert Disziplin: "60 Stunden pro Woche lernen", meint Lüblinghoff. Früh aufstehen, mit seiner Zeit gut haushalten. Dann stünden die Chancen gut, dass es im Zweitversuch klappt. "Es ist noch einmal richtig viel Arbeit. Aber das hat einen Vorteil: Man denkt nicht mehr über seine eigene Situation nach, wenn man so sehr mit Lernen beschäftigt ist. Diese Monate gehen dann ganz schnell vorbei!"
Manchmal kommen auch Kandidatinnen und Kandidaten, bei denen Lüblinghoff für den Zweitversuch Befürchtungen hat. Doch er lässt sich gerne überraschen – und das passiert auch regelmäßig: "Es gibt nach meiner langjährigen Erfahrung viele Kandidaten, die nach dem Ergänzungsvorbereitungsdienst im Befriedigend oder Vollbefriedigend landen. Ich habe vor kurzem noch einen Referendar gehabt, der später als Richter eingestellt wurde und eine Referendarin, die Staatsanwältin geworden ist."
"Die meisten haben das Wissen, es ist nur ein bisschen verschüttet", meint auch Hager. Und sie ist sich sicher: "Auch Leute, die keine super Noten haben, werden brillieren – in den Gebieten, die sie interessieren. Was ihnen gefällt und was sie begeistert, das werden sie auch gut machen." Sie rät dazu, sich für den Ergänzungsvorbereitungsdienst zu entscheiden, auch in den Bundesländern, die eine Wahlfreiheit lassen – schon allein des menschlichen Kontakts wegen. So falle es leichter, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern an sich selbst zu glauben. Ihr persönliches Ziel ist, dass alle AG-Teilnehmenden den Zweitversuch bestehen. "Ich möchte gerne, dass die jungen Menschen genau das Ziel erreichen, das sie sich gesteckt haben. Jeder soll seinen Traumjob finden."