Berücksichtigung nichtstaatlicher Hilfe bei der Abschiebungsprognose

Unterstützungsleistungen vor Ort tätiger nichtstaatlicher Hilfeorganisationen sind bei der Prognose der materiellen Lebensverhältnisse im Abschiebungszielstaat zu berücksichtigen. Dadurch wird laut Bundesverwaltungsgericht erkennbar, ob die Schutzberechtigten wegen ihrer extremen Notlage eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren. Eine derartige Gefahr drohe im Fall von Ungarn aber nicht.

Afghanische Eheleute wollen Asyl

Ein afghanisches Ehepaar tadschikischer Volkszugehörigkeit wandte sich gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge und die Androhung ihrer Abschiebung nach Ungarn. Im Juni 2018 beantragten sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolglos Asyl. Mit ihrem Vorhaben waren sie zuvor bereits unter anderem in Ungarn gescheitert. Das Bundesamt teilte mit, die Anträge seien bereits aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Ungarn unzulässig, denn dort drohe ihnen keine ernsthafte Gefahr, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 4 GRC ausgesetzt zu seien. Das Paar sollte das Bundesgebiet binnen 30 Tagen verlassen, anderenfalls drohe die Abschiebung nach Ungarn. In ihr Heimatland sollten sie aber nicht abgeschoben werden dürfen. Das VG Frankfurt (Oder) wies die Klage ab, da zu erwarten sei, dass die Kläger mit Hilfe nichtstaatlicher ungarischer Hilfsorganisationen einer ernsthaften und lebensbedrohlichen Armut entgehen könnten. Trotz des sogenannten Stop-Soros-Gesetzes könnten diese Organisationen ungehindert tätig werden. Auch die (Sprung-)Revision zum BVerwG hatte keinen Erfolg.

NGO-Hilfeleistungen sind zu berücksichtigen

Die Leipziger Richter pflichteten dem VG bei. Insbesondere habe es bei der Gefahrenprognose zutreffend auf die Hilfen nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen abgestellt. Jene arbeiteten effektiv, könnten bereits vom Bundesgebiet aus kontaktiert werden, leisteten Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und dem Erlernen der ungarischen Sprache und erforderlichenfalls Hilfestellung bei diversen Antragstellungen auf Sozialleistungen bei den ungarischen Behörden und eine finanzielle Unterstützung zur Überbrückung bis zu einer Arbeitsaufnahme. Durch ihre Inanspruchnahme aber auch durch eigene Handlungen wie zum Beispiel den Einsatz der eigenen Arbeitskraft werde bereits die ernsthafte Gefahr, eine Situation extremer materieller Not zu erfahren, abgewandt. Die Hilfsangebote müssten laut BVerwG auch real bestehen und hinreichend verlässlich und in dem gebotenen Umfang auch dauerhaft in Anspruch genommen werden können. Dann sei auch unerheblich, dass auf sie regelmäßig kein durchsetzbarer Rechtsanspruch bestehe.

BVerwG, Urteil vom 07.09.2021 - 1 C 3.21

Redaktion beck-aktuell, 21. Januar 2022.