BVerfG: Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate durfte gekürzt werden

Der Verkauf eines Teils der Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen unter Kürzung der kostenlosen Zuteilungsmengen für stromproduzierende Unternehmen sowie die Streichung der sogenannten Zuteilungsgarantie sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 05.03.2018 entschieden und die Verfassungsbeschwerde der Betreiberin eines Braunkohlekraftwerks nicht zur Entscheidung angenommen (Az.: 1 BvR 2864/13).

Zuteilungsgarantie gestrichen

Das europaweite Emissionshandelssystem ist ein Instrument des Klimaschutzes, durch das die Treibhausgas-Emissionen bestimmter Anlagen auf eine Gesamtmenge begrenzt und handelbare Berechtigungen zur Emission ausgegeben werden. Die schrittweise Reduktion der erlaubten Emissionsmenge und der Anreiz zur Reduktion von Emissionen durch die Möglichkeit des Verkaufs nicht genutzter Rechte sollen dabei zu einem Rückgang des Ausstoßes von Treibhausgasen führen. Die nationalen Ziele für die Emission von Kohlendioxid in Deutschland sowie die Regeln für die Zuteilung von Emissionsberechtigungen bestimmte für den Zeitraum von 2005 bis 2007 das Zuteilungsgesetz 2007 (ZuG 2007) und für den Zeitraum von 2008 bis 2012 das Zuteilungsgesetz 2012 (ZuG 2012). Die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen ist danach für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 auf 453,07 Millionen pro Jahr beschränkt. Falls die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen eine bestimmte Menge übersteigt, ist eine anteilige Kürzung von Emissionsberechtigungen vorgesehen. Die im ZuG 2007 vorgesehene Zuteilungsgarantie, die unter anderem in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte Erweiterungen der Kapazität bestehender Anlagen für die Dauer von zwölf Jahren ab Inbetriebnahme von der anteiligen Kürzung ausnahm, wurde im ZuG 2012 nachträglich gestrichen.

Anteilige Veräußerung von Zertifikaten durch Kürzung der Zuteilungsmengen für stromproduzierende Anlagen

Nach der europäischen Emissionshandelsrichtlinie teilen die Mitgliedstaaten für den vorliegend maßgeblichen Zeitraum von 2008 bis 2012 mindestens 90% der Zertifikate kostenlos zu. Während nach dem ZuG 2007 für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 sämtliche Berechtigungen kostenlos zugeteilt worden waren, führte das ZuG 2012 für die Periode 2008 bis 2012 die kostenpflichtige Veräußerung eines bestimmten Anteils von Emissionsberechtigungen ein. Die Menge der Berechtigungen für die Veräußerung wird durch eine Kürzung ausschließlich der auf die Produktion von Strom entfallenden Zuteilungsmengen erzielt.

Kostenlose Zuteilungsmenge für Braunkohlekraftwerk doppelt gekürzt

Die Beschwerdeführerin betreibt ein in den Jahren 1963 bis 1974 in Betrieb gegangenes Braunkohlekraftwerk, das 2003 um einen weiteren Block erweitert wurde. Die Deutsche Emissionshandelsstelle teilte der Beschwerdeführerin für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 ihre Berechtigungen für das Kraftwerk zu und kürzte die Zuteilungsmenge zur Erzielung des Aufkommens für die kostenpflichtige Veräußerung und wegen Überschreitens der Gesamtmenge zuteilbarer Berechtigungen um den jeweils gesetzlich vorgesehenen Faktor. Auf das gesamte Kraftwerk bezogen wurde für die Zuteilungsperiode durch die kostenlosen Zuteilungen lediglich etwa die Hälfte des Bedarfs abgedeckt. Nach erfolglosem Beschreiten des Rechtswegs wendete sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die anteilige Kürzung der kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 sowie gegen die Streichung der Zuteilungsgarantie aus der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007.

BVerfG: Veräußerungskürzung am Maßstab des Grundgesetzes zu messen

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführerin sei nicht in ihren Grundrechten verletzt. Die Zuteilungsentscheidung erweise sich weder unter dem Gesichtspunkt der vorgenommenen Kürzung kostenloser Emissionsberechtigungen für ihre kostenpflichtige Veräußerung noch unter dem Blickwinkel der Nichtberücksichtigung der Zuteilungsgarantie als grundrechtswidrig. Die Veräußerungskürzung sei dabei am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes und nicht am Unionsrecht zu messen. Das Bundesverwaltungsgericht sei in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Emissionshandelsrichtlinie den Mitgliedstaaten zwar hinsichtlich der Einführung des Emissionshandels verbindliche Vorgaben mache, ihnen aber bei der Kürzung kostenloser Zuteilungen von Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 Handlungsfreiräume belasse.

Finanzverfassung auf Veräußerung von Emissionszertifikaten nicht anwendbar

Laut BVerfG verletzt die Veräußerungskürzung die Beschwerdeführerin nicht in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes. Die bei der Veräußerung der Emissionszertifikate erzielten Entgelte habe der Bundesgesetzgeber im Rahmen des Aufbaus des europarechtlichen Emissionshandelssystems vorgesehen. Solche Veräußerungsentgelte fielen nicht unter die finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen über Finanzmonopole und Steuern. Bei den Erlösen aus der Veräußerung der Emissionshandelszertifikate handele es sich insbesondere nicht um Steuern, da sie nicht voraussetzungslos, sondern als Gegenleistung für die erworbenen Emissionsberechtigungen erhoben würden. Der Bund sei für die nationale Regelung des Emissionshandelssystems zuständig. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Vollständigkeit des Haushaltsplans seien gewahrt worden.

Veräußerungs- und Kürzungsregelung mit Belastungsgleichheit vereinbar

Die Veräußerungsregelung des § 19 ZuG 2012 und die Kürzungsregelung des § 20 ZuG 2012 sind dem BVerfG zufolge auch mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem daraus für das Steuer- und Abgabenrecht folgenden Grundsatz der Belastungsgleichheit vereinbar. Neben der steuerlichen Inanspruchnahme bedürften nichtsteuerliche Abgaben, die den Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranzögen, zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung. Der Veräußerungsregelung des § 19 ZuG 2012 komme angesichts der engen Verzahnung mit der Kürzungsregelung des § 20 ZuG 2012 abgabengleiche Wirkung zu. Die sachliche Legitimation der streitgegenständlichen Erzielung von Veräußerungserlösen ergebe sich aus ihrem Charakter als Vorteilsabschöpfungsabgabe im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsregelung.

Betreiber emissionshandelspflichtiger Anlagen erlangen Sondervorteil

Dem Betreiber einer emissionshandelspflichtigen Anlage, der zusätzliche Emissionsberechtigungen vom Staat erwerben könne, dürfe über das mit den kostenlosen Zertifikaten zugeteilte Kontingent hinaus die Luft zum Zweck der Ableitung von CO2-Emissionen nutzen. Ihm werde damit ein Sondervorteil gegenüber all denjenigen Betreibern emissionshandelspflichtiger Anlagen zuteil, die keine Emissionszertifikate erwerben und damit keine entsprechende Menge CO2 emittieren dürften, so das BVerfG. Dass außerhalb des Emissionshandelssystems die Emission von Kohlendioxid ohne Emissionszertifikate zulässig sei, ändere nichts an dem Sondervorteil durch den Erwerb innerhalb des Emissionshandelssystems.

Öffentlich-rechtliche Bewirtschaftung der Luftverschmutzung

Wie das BVerfG weiter ausführt, stellt die Reinheit der Luft eine knappe natürliche Ressource dar. Die gesetzgeberische Erwägung, die Luft könne nur in begrenztem Maße Kohlendioxid aufnehmen, ohne dass dies schädliche Auswirkungen auf das Klima habe, sei ohne weiteres nachvollziehbar. Das knappe Gut sei nicht die Luft selbst, sondern ihr Verschmutzungsgrad. Die Nutzung der Luft durch Emission von Kohlendioxid durch stark emittierende Anlagen unterliege in Form des Emissionshandelsregimes auch einer öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftung. Mit dem Emissionshandelssystem sei ein bis dahin kostenfreier und nur durch die natürlichen Ressourcengrenzen beschränkter Nutzungsraum dem ungeregelten Zugriff entzogen und kontingentiert worden. Die Nutzung der Ressource Luft werde durch diese Begrenzung quantitativ gesteuert und einer Verteilungsordnung unterworfen. Dieses Bewirtschaftungssystem fuße auf der Verknappung der zur Verfügung stehenden Umweltressourcen durch staatliche Festlegung.

Veräußerungskürzung zur Abschöpfung von Zusatzerlösen durch Einpreisung in Strompreis gerechtfertigt

Auch die Veräußerungskürzung gemäß § 20 ZuG 2012 verstößt nach Ansicht des BVerfG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die mit der Kürzung der Zuteilung kostenloser Emissionsberechtigungen verbundene größere Belastung der stromproduzierenden Anlagen der Energiewirtschaft im Vergleich insbesondere zu Industrieanlagen sei aus Gründen der Vorteilsabschöpfung sachlich gerechtfertigt. Mit der Kürzungsregelung würden Vorteile ausgeglichen, die den stromproduzierenden Unternehmen mit der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten über die Befugnis zur Nutzung der Luft zum Anlagenbetrieb hinaus zuteilwerden. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass auf dem deutschen Strommarkt – anders als in anderen Branchen – ein hoher Einpreisungsgrad besteht und damit die Stromerzeuger über die Möglichkeit verfügen, mit den kostenlos zugeteilten Zertifikaten unbeabsichtigte Zusatzerlöse zu generieren. Die Unterscheidung zwischen Zuteilungen für Branchen, die den Marktwert kostenlos zugeteilter Zertifikate einpreisen könnten, und solchen, die dazu nicht in der Lage seien, sei durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt.

Streichung der Zuteilungsgarantie verfassungskonform

Das BVerfG sieht auch keinen Grund, die Regelung des § 2 Satz 3 ZuG 2012, nach der die Zuteilungsgarantie für in den Jahren 2003 und 2004 erfolgte Kapazitätserweiterungen bestehender Anlagen nicht fortgelte, verfassungsrechtlich zu beanstanden. Selbst wenn man die Streichung der Zuteilungsgarantie als Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG ansehe, sei dieser jedenfalls gerechtfertigt. Dabei könne offenbleiben, ob die Streichung der Zuteilungsgarantie den Anforderungen einer echten Rückwirkung genügen muss. Die Streichung der Zuteilungsgarantie wäre selbst dann nicht zu beanstanden, wenn ihr echte Rückwirkung zukäme. Denn ein schutzwürdiges Vertrauen der betreffenden Anlagenbetreiber auf den Fortbestand der Zuteilungsgarantie habe sich zu keinem Zeitpunkt bilden können.

Kein schutzwürdiges Vertrauen

Die Zuteilungsgarantie knüpfte an bereits vor Inkrafttreten des Zuteilungsgesetzes 2007 getätigte und abgeschlossene Investitionen an. Laut BVerfG wollte der Gesetzgeber damit bereits erfolgte Anstrengungen zur Emissionsminderung honorieren, nicht aber Anreize für zukünftige Investitionen schaffen. Selbst wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausgehe, dass die Zuteilungsgarantie zu Dispositionen von erheblichem Gewicht führen konnte, erweise sich ein Vertrauen der betreffenden Anlagenbetreiber als nicht schutzwürdig. Es sei weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Streichung der Zuteilungsgarantie die betreffenden Anlagenbetreiber unangemessen benachteiligt. Das BVerwG führe in der angegriffenen Entscheidung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise aus, dass durch die grundlegende Umstellung der Zuteilungsregeln für bestehende Energieanlagen dem Effizienzgedanken und der Berücksichtigung des Minderungspotentials der jeweiligen Anlage Rechnung getragen wird.

BVerfG, Beschluss vom 05.03.2018 - 1 BvR 2864/13

Redaktion beck-aktuell, 18. April 2018.