BVerfG: Meinungsfreiheit kann Bezeichnung eines rehabilitierten DDR-Justizopfers als Bandit erlauben

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verurteilung eines Website-Betreibers, der ein hingerichtetes und später in der Bundesrepublik rehabilitiertes Opfer der DDR-Justiz in einem Beitrag als Bandit und Anführer einer terroristischen Vereinigung bezeichnet hatte, wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Strafgerichte hätten die Meinungsfreiheit des Website-Betreibers verletzt, da sie den politischen Kontext seiner Äußerungen nicht hinreichend berücksichtigt und das entgegenstehende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen falsch gewichtet haben (Beschluss vom 24.01.2018, Az.: 1 BvR 2465/13).

Rehabilitiertes Opfer der DDR-Justiz als Bandit und Anführer einer terroristischen Vereinigung bezeichnet

Der Beschwerdeführer ist Inhaber einer Website, auf der er regelmäßig Beiträge veröffentlicht, die sich mit vermeintlichen Missständen bei der Aufarbeitung der Geschichte der DDR beschäftigen. Im Oktober 2005 stellte er einen Beitrag über B. ins Netz, der 1952 vom Obersten Gericht der DDR zum Tode verurteilt und am 02.08.1952 hingerichtet worden war. Anlass des Beitrags war ein Rehabilitationsbeschluss des Landgerichts Berlin im September 2005, der das Urteil aus der DDR-Zeit für rechtsstaatswidrig erklärte und es aufhob. In diesem Urteil wurde B. unter anderem vorgeworfen, er habe sich am illegalen Vertrieb von "Hetzschriften" beteiligt, als Mitglied der KgU ("Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit") Werksspionage betrieben, ein erfolgloses Attentat mit einem Brandsatz verübt und einen Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke geplant. Der Beschwerdeführer warf der Bundesrepublik in seinem Beitrag die "Legalisierung des Terrors gegen die DDR durch Rehabilitierung des KgU-Banditen B." vor und bezeichnete B. als Anführer einer terroristischen Vereinigung.

Beschwerdeführer wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt

Die Strafgerichte verurteilten den Beschwerdeführer wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 Euro. Dagegen legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein und rügte insbesondere eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

BVerfG: Politischer Kontext der Äußerung nicht ausreichend berücksichtigt

Das BVerfG hat die Entscheidungen der Strafgerichte aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Die Entscheidungen verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, so die Richter. Die Strafgerichte hätten den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht genügt. Das LG sehe den Schwerpunkt der Äußerung des Beschwerdeführers darin, dem Verhalten des verstorbenen B. einen Makel zu verpassen. Damit messe es dem Kontext der Äußerungen kein hinreichendes Gewicht zu.

Äußerung zielt nicht in erster Linie auf Verächtlichmachung des Verstorbenen

Wie das BVerfG weiter ausführt, wolle der Beschwerdeführer mit seiner Webseite die Bundesrepublik kritisieren, deren Umgang mit der DDR-Vergangenheit er für einseitig halte. Ausgehend von den Tatvorwürfen, wegen derer der verstorbene B. verurteilt worden sei, bewerte der Beschwerdeführer die Handlungen des B. als Straftaten und behaupte, die DDR habe ein legitimes Interesse an der Verfolgung dieser Taten gehabt, weshalb man den Verurteilten nicht nachträglich durch die Rehabilitationsentscheidung als Held ehren dürfe. Diese Äußerung ziele in ihrem Schwerpunkt nicht oder jedenfalls nicht nur darauf, den Verstorbenen als Person verächtlich zu machen, sondern darauf, einen nach Ansicht des Beschwerdeführers aus politischer Voreingenommenheit doppelbödigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und dem gegen sie gerichteten Widerstand anzuprangern. Eine solche Meinungsäußerung sei von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich gedeckt.

Vertretbarkeit der geäußerten Ansicht ohne Belang

Laut BVerfG spielt es für den Schutz der Meinungsfreiheit keine Rolle, ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder sie von vorneherein unberechtigt ist. Daran ändere auch nichts, dass das vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Urteil, wie das LG zu Recht darlege, grob rechtsstaatswidrig und unangemessen hart gewesen sei und der Beschwerdeführer die deswegen ausgesprochene Rehabilitierung des verstorbenen B. in Frage stelle. Der Beschwerdeführer sei in Anerkennung seiner Meinungsfreiheit weder verpflichtet, die Richtigkeit dieser Maßnahme anzuerkennen, noch die Handlungen des verstorbenen B. unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass in ihnen ein Beitrag zum Widerstand gegen die DDR-Diktatur lag. Der Beschwerdeführer kritisiere die Rehabilitierung des B., weil gegen diesen Vorwürfe wie die Planung von Sprengstoffanschlägen erhoben worden waren. Dass der Beschwerdeführer davon habe ausgehen müssen, dass diese Vorwürfe von vorneherein unwahr oder unberechtigt waren, lege weder das LG dar noch sei dies sonst ersichtlich.

Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen falsch gewichtet

Zudem habe das LG das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen falsch gewichtet, so das BVerfG weiter. Die auf den Umgang mit der DDR-Vergangenheit zielende Kritik sei bei der Beurteilung des Gewichts der Ehrbeeinträchtigung des Verstorbenen in Rechnung zu stellen. Dabei ziele der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf den Schutz eines fortwirkenden Geltungsanspruchs der Person, nicht aber auf eine ausgewogene politische Bewertung historischer Handlungen als solcher. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Herabsetzung nach 60 Jahren Herrn B. im Wesentlichen nur als historische Person betrifft. Wieweit das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht unter diesen Umständen eine Auseinandersetzung mit den genaueren Motiven und Umständen der Tat, wie hier dem Ziel des Verstorbenen, für eine freie Gesellschaftsordnung zu kämpfen, erforderlich mache, hätten die Fachgerichte nicht näher erwogen und in ihrer Abwägung nicht berücksichtigt. Dass der Verstorbene in erheblichem Umfang noch als individualisierte Person in der Öffentlichkeit oder durch ihn persönlich verbundene Angehörige und Freunde präsent sei und daraus noch einen besonders gewichtigen personalisierten Geltungsanspruch ableiten könne, ergebe sich aus den Urteilen nicht.

BVerfG, Beschluss vom 24.01.2018 - 1 BvR 2465/13

Redaktion beck-aktuell, 20. Februar 2018.