BVerfG: Facebook-Seite der Berliner NPD jugendgefährdend? - Fachgerichte müssen über Bußgeld neu entscheiden

Die Fachgerichte müssen neu darüber entscheiden, ob der Berliner NPD-Landesverband auf seiner Facebook-Seite jugendgefährdende Inhalte verbreitet und deshalb einen Jugendschutzbeauftragten bestellen muss. Dies hat das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde der NPD gegen ein ihr auferlegtes Bußgeld hin entschieden und beanstandet, dass die Fachgerichte die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausreichend berücksichtigt hätten (Beschluss vom 27.08.2019, Az.: 1 BvR 811/17). 

NPD wegen jugendgefährdender Facebook-Seite zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten verpflichtet

Der Beschwerdeführer ist einer der Landesverbände der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und unterhält eine allgemein zugängliche Facebook-Seite, auf der er eigene Texte zu politischen Themen einstellt und auf fremde Texte verlinkt. Zwischen November 2014 und Januar 2016 erstellte der Beschwerdeführer eine Vielzahl von kämpferischen Beiträgen zur Flüchtlingspolitik, die sowohl von Nutzern als auch von dem Beschwerdeführer selbst mit grob herabsetzenden Kommentaren gegenüber Flüchtlingen versehen wurden. Aufgrund der Beiträge setzte die Landesmedienanstalt gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße fest. Denn der Beschwerdeführer hätte einen Jugendschutzbeauftragten bestellen müssen, da er jugendgefährdende Angebote geschäftsmäßig über Telemedien zugänglich mache.

Fachgerichte bestätigten Landesmedienanstalt

Auf den hiergegen gerichteten Einspruch stellte das Amtsgericht fest, dass es nicht darauf ankomme, ob die Beiträge tatsächlich volksverhetzenden Inhalt hätten. Die Jugendgefährdung folge schon aus den grob vereinfachten Darstellungen, Slogans und Kommentaren, die geeignet seien, zur undifferenzierten Ablehnung ganzer Bevölkerungsgruppen und aggressiver Feindseligkeit gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten beizutragen. Demnach habe der Beschwerdeführer einen Jugendschutzbeauftragten bestellen müssen. Da er dies versäumt habe, sei die verhängte Geldbuße rechtmäßig. Das Kammergericht verwarf die Rechtsbeschwerde als unbegründet. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

BVerfG: Meinungsfreiheit verletzt

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat die angegriffenen Entscheidungen wegen Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aufgehoben und an das AG zurückverwiesen. Politische Parteien seien Träger von Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Gegenstand des Schutzbereichs seien Meinungen, wobei es keine Rolle spiele, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Daher fielen die beanstandeten Kommentare nicht schon deshalb aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, weil sie sich gegen Minderheiten richten oder einen hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen Gehalt aufwiesen.

Eingriff in Meinungsfreiheit durch pflichtbegründende Einstufung als jugendgefährdend

Zwar sei das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht vorbehaltslos gewährt, ein Eingriff bedürfe aber immer der besonderen Rechtfertigung, fährt das BVerfG fort. So sei es erforderlich, dass Entscheidungen, die an die Bewertung einer durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Äußerung als jugendgefährdend nachteilige Rechtsfolgen wie die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten knüpften, die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit berücksichtigen.

Fachgerichtliche Bewertung nur pauschal - Bedeutung der daran geknüpften Pflicht für Meinungsfreiheit nicht berücksichtigt

Laut BVerfG werden die angegriffenen Entscheidungen diesen Anforderungen nicht gerecht. Erforderlich sei eine nachvollziehbare Darlegung der einzelnen Subsumtionsschritte unter die Tatbestandsmerkmale der angewendeten Norm, in der sich die Fachgerichte mit der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit auseinandersetzten und insbesondere den hier in Frage stehenden Jugendschutz berücksichtigten. Das Gericht habe hingegen die Äußerungen nur pauschal als jugendgefährdend eingestuft, ohne einzelfallbezogen den Bedeutungsgehalt der beanstandeten Äußerungen in tragfähiger Weise zu ermitteln und die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Insbesondere habe es sich nicht in irgendeiner Weise mit der hier in Frage stehenden Sanktion - der Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten - und deren Bedeutung und Eingriffsgewicht für Verantwortliche von Äußerungen in sozialen Netzwerken auseinandergesetzt.

BVerfG, Beschluss vom 27.08.2019 - 1 BvR 811/17

Redaktion beck-aktuell, 11. Oktober 2019.