Opferentschädigung bei Alkoholmissbrauch der Mutter in Schwangerschaft
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Wer vor der Geburt durch den fortgesetzten Alkoholmissbrauch seiner Mutter in der Schwangerschaft einen Schaden erlitten hat, hat nur dann einen Anspruch auf Opferentschädigung, wenn die Grenze zum kriminellen Unrecht überschritten wurde. Hierfür müsse der Alkoholmissbrauch auf einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft gerichtet gewesen sein, so das Bundessozialgericht in einem Urteil.

Opferentschädigung wegen globaler Entwicklungsverzögerung verlangt

Die Klägerin ist wegen einer globalen Entwicklungsverzögerung bei Alkohol-Embryopathie schwerbehindert. Sie beantragte im Jahr 2009 erfolglos Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz, weil sie durch ein fetales "Alkohol-Syndrom" aufgrund des Alkoholkonsums ihrer leiblichen Mutter in der Schwangerschaft geschädigt worden sei. Die Vorinstanzen haben die Klage nach Vernehmung der leiblichen Eltern als Zeugen abgewiesen, obwohl beide erheblichen mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaften eingeräumt hatten. Das BSG hat die Entscheidungen im Ergebnis bestätigt, aber einige interessante Anmerkungen vorangestellt.

Tätlicher Angriff auf Leibesfrucht nur ausnahmsweise anzunehmen

Auch die Leibesfrucht (nasciturus) sei vom Schutzbereich des Opferentschädigungsgesetzes umfasst, hebt das BSG hervor. Ein vorgeburtlicher Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft könne einen tätlichen Angriff auf das ungeborene Kind oder eine gleichgestellte Beibringung von Gift darstellen (§ 1 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 Opferentschädigungsgesetz). Dies sei jedoch nur dann der Fall, wenn der Alkoholkonsum einer Schwangeren auf einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft (§§ 218 Absatz 4 Satz 1, 22 Strafgesetzbuch), also eine versuchte Tötung des ungeborenen Kindes, gerichtet ist.

Vorsatz der Mutter zu Schwangerschaftsabbruch nicht erwiesen

Die Körperverletzungstatbestände gölten nach dem Willen des Gesetzgebers für die Schwangere nicht im Verhältnis zu ihrem ungeborenen Kind, führt das BSG weiter aus. Nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts lasse sich der nötige mindestens bedingte Vorsatz zum Abbruch der Schwangerschaft bei der Mutter der Klägerin nicht nachweisen. Aus dem Vorversterben zweier Geschwister nach der Geburt habe das LSG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nicht schlussfolgern müssen, dass die Mutter nunmehr den Tod der ungeborenen Klägerin infolge ihres Alkoholkonsums als möglich angesehen und billigend in Kauf genommen hat.

BSG, Entscheidung vom 24.09.2020 - B 9 V 3/18 R

Redaktion beck-aktuell, 24. September 2020.