BGH setzt Leitlinien im Diesel-Skandal
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Volkswagen muss getäuschten Diesel-Käufern zwar Schadenersatz, aber keine Deliktszinsen zahlen, urteilte der Bundesgerichtshof am 30.07.2020. Der Schadensersatz könne zudem durch intensive Nutzung des Fahrzeugs auf Null sinken und werde nicht von einem Software-Update beseitigt, so die Richter in weiteren Entscheidungen. Außerdem: Wer nach Bekanntwerden des Skandals im September 2015 noch manipulierte Fahrzeuge gekauft hat, geht leer aus.

Schadensersatz kann vollständig aufgezehrt werden

Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat die Revision im Fall VI ZR 354/19 zurückgewiesen. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die vorzunehmende Anrechnung der vom Kläger durch den Gebrauch des Fahrzeugs gezogenen Nutzungsvorteile zehre den Kaufpreiserstattungsanspruch vollumfänglich auf, begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die vom Oberlandesgericht dabei zur Berechnung des Wertes der Nutzungsvorteile herangezogene Formel (Bruttokaufpreis mal gefahrene Strecke seit Erwerb geteilt durch erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt) sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nutzung des Fahrzeugs kompensiert Nichtnutzung des Geldes

Einen Anspruch des Klägers auf sogenannte "Deliktszinsen" nach § 849 BGB ab Zahlung des Kaufpreises hat der VI. Zivilsenat in dieser Entscheidung und in einer weiteren (Az.: VI ZR 397/19) verneint. Zwar erfasse diese Vorschrift grundsätzlich jeden Sachverlust durch Delikt, auch den Verlust von Geld in jeder Form. Dies gelte auch dann, wenn dieser Verlust - wie hier - mit Willen des Geschädigten durch Weggabe erfolgte. Vorliegend stehe einer Anwendung des § 849 BGB aber jedenfalls der Umstand entgegen, dass der Kläger als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten habe. Die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, habe den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes kompensiert. Eine Verzinsung gemäß § 849 BGB entspreche in einem solchen Fall nicht dem Zweck der Vorschrift, mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache auszugleichen.

Software-Update beseitigt Schaden nicht

In einem weiteren Verfahren hat der  VI. Zivilsenat das angefochtene Urteil unter Anwendung der Grundsätze seines Urteils vom 25. Mai 2020 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht vom Kläger näheren Vortrag dazu verlangt, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person für den Einsatz der illegalen Abschalteinrichtung verantwortlich ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei zudem der für einen Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden des Klägers nicht dadurch entfallen, dass dieser das von der Beklagten entwickelte Software-Update durchgeführt hat. Liege der Schaden - wie das Berufungsgericht unterstellt hat - in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführten ungewollten Vertragsschluss, so entfalle dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstandes nachträglich verändern. Ein solcher Schaden falle auch unter den Schutzzweck des § 826 BGB.

Sittenwidrigkeit nach Bekanntwerden des Skandals nicht mehr gegeben

Im letzten Diesel-Urteil des Tages hat der BGH Ansprüche aus § 826 BGB deshalb verneint, weil das Verhalten von VW gegenüber dem Kläger nicht mehr als sittenwidrig anzusehen war. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinn von § 826 BGB sei in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies werde insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat. Hier habe die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt sei. 

Damit kein sittenwidriger Schaden für Spätkäufer

Im Diesel-Skandal sei bereits die adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015 objektiv geeignet gewesen, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, eine diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung sei typischerweise nicht mehr damit zu rechnen gewesen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit sei damit kein Raum mehr. Hierauf habe daher das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein können. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, sei deshalb - unabhängig von ihren Kenntnissen vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen - nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt worden. Auch Ansprüche aus sonstigen Vorschriften hat der Senat verneint.

BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19

Redaktion beck-aktuell, 30. Juli 2020.