BGH: Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung – Familienstreitsachen

ZPO § 233; FamFG § 117

Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 24.01.2018 - XII ZB 534/17, BeckRS 2018, 1908

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin 

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 06/2018 vom 23.03.2018

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Sachverhalt

Die Ast sind Kinder und Erben der ursprünglichen Antragstellerin F. Diese hatte ihren Ehemann M vor dem AG auf Trennungsunterhalt in Anspruch genommen und ist während des erstinstanzlichen Verfahrens verstorben. Das AG hat M zur Zahlung von insgesamt 8.236 EUR nebst Zinsen verpflichtet. Der dem Verfahrensbevollmächtigten V des M am 15.5.2017 zugestellte Beschluss enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, die wie folgt lautet: „Gegen diesen Beschluss findet das Rechtsmittel der Beschwerde statt. (…) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von 1 Monat bei dem Amtsgericht (…) einzulegen. (…) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. (…) Die Beschwerde soll begründet werden.“ M legt mit Schriftsatz des V am 27.5.2017 Beschwerde beim AG ein und begründet diese mit am 19.7.2017 beim AG eingegangenem Schriftsatz des V. Das AG leitet diesen Schriftsatz an das OLG weiter, wo er am 26.7.2017 eingeht. Nach einem Hinweis, dass die Beschwerdebegründungsfrist versäumt sei, beantragt V für M Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen Antrag weist das OLG zurück und verwirft die Beschwerde. Ohne Erfolg!

Entscheidung

Es handele sich um eine Familienstreitsache, für die § 117 I FamFG gelte. Der am 26.07.2017 beim OLG eingegangene Begründungsschriftsatz habe die in § 117 I 3 FamFG angeordnete 2-Monats-Frist nicht gewahrt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei M nicht zu gewähren gewesen. Denn die Fristversäumung sei nicht unverschuldet iSd § 233 S. 1 ZPO. Das Fehlen des Verschuldens sei auch nicht nach § 233 S. 2 ZPO zu vermuten. Denn die Fristversäumung beruhe trotz der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung auf dem Verschulden des V. Zwar dürfe auch ein Rechtsanwalt grds. auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Von ihm müsse aber erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kenne. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung könne er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt habe. Die Fristversäumung sei mithin auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen sei und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermocht habe (Hinweis ua auf BGH NJW 2018, 165 Rn. 7 und BGH NJW 2017, 1112 Rn. 11). So aber liege es. Die Unterteilung in Familienstreit- und Ehesachen einerseits und Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit andererseits gehöre ebenso zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts wie das Wissen darum, dass in Familienstreitsachen die fristgebundene Rechtsmittelbegründung Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde und eine (Trennungs-)Unterhaltssache als Familienstreitsache einzuordnen sei. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um einen Fachanwalt für Familienrecht handele. M könne sich auch nicht auf die Rechtsprechung zu einer hinsichtlich des örtlich zuständigen Berufungsgerichts in WEG-Sachen unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung berufen (Hinweis auf BGH NJW 2018, 164 Rn. 14 mAnm Toussaint FD-ZVR 2017, 398755). Anders als dort unterliege weder die verfahrensrechtliche Einordnung (als Familienstreitsache) noch eine der Zulässigkeitsanforderungen des Rechtsmittels einer Unwägbarkeit, die den Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts nachvollziehbar erscheinen lassen könnte (Hinweis auf BGH NJW 2018, 165 Rn. 8).

Praxishinweis

Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung falsch, soll es darauf ankommen, mit welchem Grad sie falsch ist. Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch, bleibt es dabei, dass keine Wiedereinsetzung gewährt wird. Ist sie hingegen nur falsch, ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Entscheidende Weichenstellung ist damit der Begriff der Offenkundigkeit (Elzer FD-ZVR 2012, 334526). In den letzten Jahren hat sich insoweit die „Formel“ herausgeschält, ein Fehler sei offenkundig, wenn „Grundkenntnisse des Verfahrensrechtes und des Rechtsmittelsystems“ berührt seien. Für den XII. Zivilsenat ist es insoweit mittlerweile wohl ausgemachte Sache, dass jeder Rechtsanwalt – auch der Nichtfachanwalt – die Unterteilung in Familienstreit- und Ehesachen und Familiensachen kennen und wissen muss, dass erstens in Familienstreitsachen die fristgebundene Rechtsmittelbegründung Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde und zweitens eine (Trennungs-)Unterhaltssache als Familienstreitsache einzuordnen ist. Da jedenfalls dem AG diese Dinge nicht offenkundig waren, ein letztlich harter Maßstab. Ferner ist der V. Zivilsenat in WEG-Sachen tatsächlich viel milder (BGH NJW 2018, 164 Rn. 14 mAnm Toussaint FD-ZVR 2017, 398755; BGH NJW 2017, 3002 Rn. 13 ff. = FD-ZVR 2017, 390593 [Ls.]). Soweit dieser nämlich „Unwägbarkeiten“ ausmacht (§ 72 II 1 GVG und § 43 Nr. 1–Nr. 4 oder Nr. 6 WEG), sind diese idR gar nicht da.

Redaktion beck-aktuell, 28. März 2018.