AG München: Ermittlung des Geschädigten ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft

§§ 52, 53, 73, 73a, 73c S. 1, 242 I StGB; §§ 258 I, 267 IV, 271, 421 I, III, 431 I StPO

1. Die Einziehung ist grundsätzlich im Urteil anzuordnen, da ansonsten die Gefahr bestehen könnte, dass dem Geschädigten seine Rechte aus dem Herausgabeverfahren abgeschnitten würden.

2. Die Anordnung der Einziehung im Urteilstenor ist nicht aufgrund des Einverständnisses des Angeklagten in die formlose Einziehung entbehrlich.

3. Eine Einziehung von Wertersatz neben der Einziehung des Tatertrags wegen einer Wertminderung durch eine kurze Anprobe von gestohlenen Kleidungsstücken ist nicht veranlasst.

AG München, Urteil vom 10.10.2017 - 261 Js 160705/17, BeckRS 2017, 132027

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 24/2017 vom 07.12.2017

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Strafrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Strafrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Strafrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der einschlägig vorbestrafte Angeklagte (A) entwendete am 24.6.2017 in einem Münchener Geschäft eine Hose und ein T-Shirt im Gesamtwert von 59,90 Euro und später aus einem anderen Geschäft einen Kinder-Schulrucksack sowie Alkoholika im Gesamtwert von EUR 143,96 Euro. Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt.

Rechtliche Wertung

Das AG verurteilt A wegen Diebstahls in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten und ordnet die Einziehung der asservierten Gegenstände an. [...] Anders als im Fall einer Absehens-Entscheidung gem. § 421 I StPO, die in entsprechender Anwendung von § 421 III 2 StPO auch im Hauptverhandlungsprotokoll (§ 271 StPO), aufgenommen werden könne, sei über die Einziehung im Urteilstenor zu entscheiden und in den Urteilsgründen auszuführen (§ 431 I 1 StPO). Nach § 73 StGB habe das Gericht eine Einziehung bzgl. des durch den Täter aus der rechtswidrigen Tat Erlangten anzuordnen. Erforderlich sei zudem der entsprechende Antrag der StA nach § 258 StPO. Ein Antrag der StA auf Einziehung, der wohl nicht bereits in der Anklageschrift enthalten sein müsse, sei unerlässlich vor dem Hintergrund der Möglichkeit der Absehens-Entscheidung durch die StA im Ermittlungsverfahren gem. § 421 III StPO. Durch den Antrag werde in der Verhandlung – die Aktenkundigkeit nach § 421 III 2 StPO betreffe nicht die Verhandlung – klargestellt, dass eine Einziehung – noch – vorzunehmen sei. Der Antragszwang diene damit auch unter den Gesichtspunkten des Fair Trial dazu, dem Angeklagten die drohende Einziehung vor Augen zu führen, so dass auch von seiner Seite mit entsprechenden Ausführungen bzw. Anträgen reagiert werden könne. [...] Die Anordnung der Einziehung im Urteilstenor sei nicht aufgrund des Einverständnisses des Angeklagten in die formlose Einziehung entbehrlich. Die Entscheidung des BGH vom 6.6.2017, II StR 490/12, beziehe sich auf die alte Rechtslage und sei auf § 73a StGB n.F. nicht übertragbar. Die Einziehung sei vielmehr grundsätzlich im Urteil anzuordnen, da ansonsten die Gefahr bestehen könnte, dass dem Geschädigten seine Rechte aus dem Herausgabeverfahren abgeschnitten würden. Die erweiterte Einziehung nach § 73a I setze voraus, dass eine rechtswidrige Tat begangen wurde, bei der der Täter etwas erlangt habe, diese rechtswidrige Tat aber nicht Gegenstand der Anklage geworden sei. Hiervon müsse das Gericht uneingeschränkt seine Überzeugung gewinnen, ohne dass es eines konkreten Beweises in der Verhandlung bedürfte. Voraussetzung für die erweiterte Einziehung sei ein entsprechender Antrag der StA (§ 258 I StPO). Danach sei die StA nämlich verpflichtet, das Verhandlungsergebnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zusammenfassend zu würdigen und bestimmte Anträge zu stellen. Ein ausdrücklicher Antrag der StA sei darüber hinaus im Fall der erweiterten Einziehung schon deshalb erforderlich, da die zugrunde liegenden Taten nicht Gegenstand der Anklage seien und somit für das erkennende Gericht im Regelfall nicht erkennbar sein werde, ob betreffend weiterer rechtswidriger Taten, die dem Angeklagten zugeordnet werden können, eine Einziehung vorzunehmen sei, oder vielmehr die StA im Rahmen ihrer eigenen Entscheidungsbefugnis nach § 421 III StPO von einer Einziehung abgesehen habe. Gerade in den Fällen, in denen die weitere rechtswidrige Tat Gegenstand eines anderen Verfahren ist oder bei einer anderen StA bearbeitet sei, sei für das Gericht regelmäßig ohne entsprechenden Antrag der StA nicht feststellbar, ob eine erweiterte Einziehung vorzunehmen sei. Unter Berücksichtigung des Ziels der Gesetzesnovelle, die Vermögensabschöpfung zu vereinfachen, sei das Gericht auch nicht gehalten, durch pauschale Anforderung von Verfahrenslisten bei den Staatsanwaltschaften von sich aus zu klären, ob gegebenenfalls weitere rechtswidrige Taten des Angeklagten im Raum stünden. Zudem gebiete das Gebot des fairen Verfahrens, dass der Angeklagte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt nicht nur darüber in Kenntnis gesetzt werde, weswegen er strafrechtlich belangt wird, sondern auch über weitere mögliche Auswirkungen des Verfahrens Kenntnis erlangt. Fehle es an einem entsprechenden Antrag auf Einziehung, so werde im Regelfall von einem konkludenten Einverständnis der StA mit dem Absehen der Entscheidung gemäß § 421 StGB zu sehen sein. [...] §§ 73, 73a StGB ordneten bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Einziehung an. Komme mithin das Gericht auf Grundlage der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis, dass Gegenstände aus rechtswidrigen Taten, seien sie angeklagt oder nicht, erlangt wurden, stehe die Einziehung als Rechtsfolge nicht im Ermessen des Gerichts, sondern sei zwingend vorzunehmen. Das Gesetz sehe aber nicht vor, dass es Aufgabe des Gerichts sei, den Geschädigten zu ermitteln. Wer geschädigt sei, sei i.R.d. § 73 bzw. 73a StGB nicht Tatbestandsvoraussetzung. Die Einziehung sei damit unabhängig von der Bestimmung/Bestimmbarkeit des Geschädigten vorzunehmen. Vielmehr mache der Wortlaut von §§ 73 ff. StGB, die als Kern des „Abschöpfungsmodells" anders als § 111 I StPO nicht auf einen Verletzten abstellen, deutlich, dass in jedem Fall das rechtswidrig Erlangte bzw. dessen Wertersatz einzuziehen sei, damit der verurteilte Täter nicht im Genuss der Tatbeute bleibe und die „strafrechtliche Vermögenslage" beseitigt werde. Ziel der Gesetzesnovelle sei es nämlich nicht, die Gerichte mit höheren Anforderungen an die Vermögensabschöpfung zu konfrontieren, sondern vielmehr die Vermögensabschöpfung zu vereinfachen. Dieses Ziel würde durch eine Überfrachtung des Verfahrens mit Beweisfragen hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse an der Tatbeute u.ä. konterkariert. Fragen der Herausgabe, die sich in der Verhandlung nicht klären ließen, führten mithin nicht dazu, dass eine Einziehung nicht vorgenommen werden dürfe, sondern seien gem. § 111o I StPO durch die StA zu klären. Aus §§ 111n IV und § 111o I StPO folge nämlich, dass überhaupt nur in klaren Fällen, d.h. wenn aufgrund der Hauptverhandlung der Geschädigte zweifelsfrei feststehe, die Herausgabe an eine bestimmte Person durch das Gericht angeordnet werden könne.

Praxishinweis

Dass vorliegend die StA in der Anklageschrift offenbar keinen Antrag auf Einziehung aufgenommen hatte, nimmt das Gericht zum Anlass für umfassende Erläuterungen zum neuen Recht der Vermögensabschöpfung. Konsequent orientiert es sich am erklärten Willen des Gesetzgebers, das Recht der Vermögensabschöpfung zu vereinfachen (vgl. BT-Ds 18/9525, S. 48). Insbesondere verwahrt sich das Gericht gegen eine Ausweitung der Aufklärungspflicht. So soll die Ermittlung der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse allein in die Zuständigkeit der StA fallen, was im Hinblick auf bewegliche Sachen i.S.v. §§ 111n f. StPO auch nachvollziehbar ist. Ob die Anforderungen an die Feststellung des Geschädigten bei dem vorliegend abgeurteilten Ladendiebstahl – Name und Adresse der betroffenen Geschäfte werden in den Urteilsgründen genannt – vom Gericht für die Praxis nicht als zu hoch angesetzt wurden, erscheint hingegen fraglich.

Redaktion beck-aktuell, 8. Dezember 2017.