LSG Baden-Württemberg: Rente für Übersiedler aus der ehemaligen DDR

SGB VI §§ 256a, 259a; GG Art. 3, 14, 20

Personen, die vor dem Mauerfall aus der ehemaligen DDR in das Bundesgebiet übergesiedelt bzw. geflohen sind, haben nach § 259a SGB VI nur dann Anspruch auf Bewertung der Entgeltpunkte nach dem Fremdrentengesetz, wenn sie vor dem 01.01.1937 geboren sind. Das verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz bzw. das Grundrecht auf Eigentum gem. Art. 14 GG. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.07.2019 - L 2 R 3888/18, BeckRS 2019, 16029

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 18/2019 vom 13.09.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin, 1954 in der ehemaligen DDR geboren, war dort von 1971 bis 1987 rentenversicherungspflichtig beschäftigt. 1987 übersiedelte sie in die BRD und erwarb hier weitere Rentenanwartschaften. Im Jahre 1988 wurde der Klägerin im Rahmen der Kontenklärung bestätigt, dass die in der DDR zurückgelegten Beitragszeiten von 1972 bis 1987 nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu bewerten seien. Nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Rentenüberleitungsgesetz) vom 25.07.1991 erging eine Neubewertung. Mit Bescheid aus dem Jahre 2000 hob der zuständige Rentenversicherungsträger den ursprünglichen Bescheid aus dem Jahr 1988 nach § 149 SGB VI insoweit auf, als die dort festgestellten Zeiten nicht mehr dem geltenden Recht entsprachen. Gegen den im Jahre 2017 ergangenen Rentenbescheid legte die Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, die in der ehemaligen DDR von 1972 bis 1987 zurückgelegten Beschäftigungszeiten müssten nach dem FRG bewertet werden. Die im Jahr 1988 bestätigten Rentenanwartschaften gem. FRG unterliegen dem Schutzbereich des Art. 14 GG.

Das SG hat die Klage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. Die Klägerin könne sich nicht auf die Bindungswirkung des Feststellungsbescheides aus dem Jahre 1988 berufen. Diesen habe die Beklagte zu Recht aufgehoben. Die von der Klägerin im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten sind nach §§ 256a bis 256c SGB VI und nicht aufgrund der Tabellen 1 bis 16 zum FRG zu bewerten. Denn die Klägerin ist nicht vor dem 01.01.1937 geboren. Dies verstößt weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 3 GG. Dazu verweist das Gericht auf die Urteile des BSG vom 14.12.2011 (FD-SozVR 2012, 331399) und des BVerfG vom 13.12.2016 (BeckRS 2016, 112187).

Mit ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, der Gesetzgeber habe mit dem RÜG den Anspruch der Flüchtlinge und Übersiedler nach dem FRG nicht antasten wollen. Der vom SG herangezogene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.12.2016 ist von Merten (NJ 2017, 163) kritisiert worden. Das Verfassungsgericht habe verkannt, dass die durch das FRG begründeten Rentenanwartschaften dem Schutzbereich des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG unterfielen.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Auf der Grundlage der §§ 259a, 256a SGB VI und des Beschlusses des BVerfG vom 13.12.2016 (a.a.O.) kann die Klägerin nicht eine Höherbewertung der im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten nach dem FRG beanspruchen. Der Wortlaut des § 259a SGB VI ist eindeutig. Seit dem Inkrafttreten des RÜG fehlt es an einer Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin, die von ihr im Beitrittsgebiet zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten nach Maßgabe des FRG bei der Ermittlung ihrer Altersrente zu berücksichtigen. Es war der Wille des Gesetzgebers, dass nach der Rentenüberleitung rentenrechtliche Zeiten, die in der ehemaligen DDR erworben worden sind, nach den §§ 256a und 256b SGB VI zu bewerten sind und nicht mehr nach dem FRG. Das FRG sollte nur noch übergangsweise in Abhängigkeit vom Rentenbeginn vor dem 01.01.1996 und für vor dem 01.01.1937 Geborene Anwendung finden. Das verstößt nicht gegen Art. 14 GG, da eigentumsgeschützt die von der Klägerin in der ehemaligen DDR erworbenen Beitragszeiten sind, allerdings nicht nach Maßgabe des FRG, sondern nach dem SGB VI.

Praxishinweis

1. Personen, die vor dem Mauerfall aus der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, mussten in der ehemaligen DDR erhebliche Nachteile erdulden, nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch unter Umständen Haftstrafen, ehe sie übersiedeln konnten. Vor Inkrafttreten des RÜG wurde diesen Personen durch Vormerkungsbescheide bestätigt, dass die in der ehemaligen DDR zurückgelegten Zeiten der Beschäftigung nach dem FRG zu bewerten sind. Diese Bewertung war häufig deutlich günstiger als die Bewertung nach §§ 256a und 256b SGB VI i.d.F. des RÜG. Nach dem vom LSG mitgeteilten Sachverhalt ergab im vorliegenden Fall eine Probeberechnung, dass die Anwendung des FRG keine höhere Bewertung rechtfertigt, so dass eigentlich schon aus diesem Grunde die Berufung abzuweisen war.

2. Die Übersiedler aus der DDR waren zum Teil verbittert darüber. Aus ihrer Sicht wurden Personen, die in der ehemaligen DDR staatsnah tätig waren – bis hin zur Stasi – durch Sondervorschriften u.a. insoweit begünstigt, als zu Ihren Gunsten Sondervergütungen als Arbeitsentgelt bei der Rentenberechnung berücksichtigt wurde. Auch diese Erwägungen rechtfertigten eine Höherbewertung der Entgeltpunkte bei Übersiedlern nicht, auch nicht unter dem Aspekt der Gleichbehandlung.

Redaktion beck-aktuell, 13. September 2019.