LSG Baden-Württemberg: Sozialversicherungsbeiträge auf Arbeitszeitkonten

SGB IV §§ 7b, 14, 22, 23a, 28p

Bei der Auflösung von Arbeitszeitguthaben wegen Kündigung errechnen sich die Beiträge zur Sozialversicherung nach der bis zum Auszahlungszeitpunkt erreichten anteiligen Jahresarbeitsentgeltgrenze und nicht nach der für den Auszahlungsmonat geltenden Beitragsbemessungsgrenze. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2018 - L 11 R 4065/16, BeckRS 2018, 3377

Anmerkung von 
Rechtsanwältin

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 11/2018 vom 08.06.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. rund 2.200 EUR im Zusammenhang mit der Auflösung von Arbeitszeitkonten für 11 ausgeschiedene Mitarbeiter der Klägerin. Die Klägerin – ein Unternehmen der Garten- und Landschaftspflege- führt für ihre Mitarbeiter Arbeitszeitkonten zur Verstetigung des Arbeitslohnes, um witterungs- und jahreszeitlich bedingte Schwankungen auszugleichen. Im September/Oktober 2013 schieden bei der Klägerin 11 Arbeitnehmer aus. Die für diese auf den Arbeitszeitkonten angesparten Überstunden wurden im letzten Monat des Beschäftigungsverhältnisses kumuliert ausgezahlt und als laufender Arbeitslohn für den Auszahlungsmonat bis zur monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (BBG) verbeitragt. Die beklagte DRV führte für den Prüfzeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2014 eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV durch. Sie machte eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für ausgeschiedene Mitarbeiter wegen der Auszahlung der Überstunden bei Auflösung des Arbeitszeitkontos geltend. Kumuliert gezahlte Überstundenvergütungen oder Auflösungen von Arbeitszeitkonten seien stets steuer- und beitragspflichtiges und aufgrund ihrer Zeitbezogenheit laufendes Arbeitsentgelt. Zur Berechnung der Beiträge sei hier in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung lediglich die monatliche BBG zugrunde gelegt worden, was aber fehlerhaft ist, da auf die anteiligen Jahreswerte abzustellen ist. Privilegierte Regelungen für Arbeitszeitkonten würden ab 01.01.2009 nur noch für Arbeitszeitkonten in Form sog. Wertguthaben gemäß § 7b SGB IV gelten. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die sich u.a. auf § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV stützt. Danach würden Beitragsansprüche bei Arbeitsentgelt, das aus Arbeitszeitguthaben errechnet wurde, erst entstehen, sobald dieses ausgezahlt worden ist. Der Gesetzgeber habe im Jahre 2009 das Zuflussprinzip nicht zu Lasten der Beitragszahler ändern wollen, so dass SV-Beiträge nur bis zur für den Auszahlungsmonat geltenden BBG anfallen. Widerspruch und Klage waren erfolglos. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung zurück. Streitig ist, ob die kumuliert im September bzw. Oktober 2013 ausgezahlten Entgelte aus den Arbeitszeitguthaben, die auf der Mehrarbeit im Jahre 2013 beruhen, nur dem Monat der Auszahlung zuzuordnen sind oder dem Zeitraum im Jahr 2013, in dem sie erarbeitet sind. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (sog. Entstehungsprinzip). Für Wertguthaben nach § 7b SGB IV regelt § 23b SGB IV eine nachgehende Fälligkeit der Beiträge. Diese Vorschrift gilt ausdrücklich nur für Vereinbarungen nach § 7b SGB IV und findet daher auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV entstehen die Beitragsansprüche bei Arbeitsentgelt, das aus Arbeitszeitguthaben errechnet wird, sobald dieses ausgezahlt worden ist. Damit wird das Zuflussprinzip für diese Zahlungen eingeführt. Der Gesetzgeber wollte damit erreichen, dass der Beitragsanspruch erst später ausgelöst wird. Nach der Gesetzesbegründung soll die Regelung im Hinblick auf die ansonsten für Wertguthaben geltenden Fälligkeitsregelungen in § 23b SGB IV solche flexible Arbeitszeitvereinbarungen erfassen, die keine Wertguthabenvereinbarung i.S.d. § 7b SGB IV darstellen. Nicht eindeutig geregelt ist allerdings, wie beitragsrechtlich mit Entgeltansprüchen zu verfahren ist, die aus der Auflösung von Arbeitszeitguthaben bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses stammen und nicht nur dem Ausgleich betrieblicher Produktionsschwankungen dienen. Werden Überstunden kumuliert ausgezahlt, bleibt es dabei, dass es sich um laufendes Arbeitsentgelt handelt. Der Charakter der Zuwendung ändert sich nicht dadurch, dass für einen oder mehrere Abrechnungszeiträume nachträglich die Arbeitsleistung vergütet wird. Bei nachträglich gezahlten Überstundenvergütungen erfolgt daher eine beitragsrechtliche Verteilung auf die Zeiträume, in denen das Arbeitsentgelt erarbeitet worden ist. Anders als bei den Wertguthaben, die für längere Zeiträume angespart werden, verfolgen die sog. “Schlechtwetterkonten” nicht den Zweck einer längerfristigen Freistellung. Bei schwankender Arbeitszeit erfolgt vielmehr regelmäßig ein Ausgleich des Arbeitszeitkontos. Die Notwendigkeit zur Regelung des Störfalls ist daher nicht in gleicher Weise vorhanden wie bei den Wertguthabenvereinbarungen nach § 7b SGB IV. Das über § 22 Abs.1 Satz 2 SGB IV angeordnete Zuflussprinzip soll allein sicherstellen, dass die Beitragserhebung entsprechend der verstetigten Lohnzahlung erfolgen kann. Ist eine solche Verstetigung wegen Ende des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr möglich, ist kein Grund ersichtlich, warum das angesparte Zeitguthaben nicht nach der anteiligen Jahresarbeitsentgeltgrenze verbeitragt werden soll.

Praxishinweis

Das LSG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das BSG muss sich nun mit der Frage befassen, ob es mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts gemäß § 31 SGB I vereinbar ist, eine Beitragspflicht durch Analogie herbeizuführen. Das widerspricht eigentlich dem Prinzip des Gesetzesvorbehalts, zumal man über die Notwendigkeit einer solchen Analogie kräftigt streiten kann. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass nach § 22 Abs.1 Satz 2 SGB IV Einmalzahlungen nach allgemeiner Auffassung nur bis zur Höhe der jeweils geltenden BBG verbeitragt werden.

Redaktion beck-aktuell, 8. Juni 2018.