OLG Dresden: Marktmacht und Reichweite des Anbieters bei Streitwert von Streitigkeiten um die Löschung von Äußerungen auf sozialem Netzwerk zu berücksichtigen

GKG § 48 II

Für die Bemessung des Streitwerts von Streitigkeiten um die Löschung von Äußerungen auf einem sozialen Netzwerk und die Sperrung des Accounts sind neben der wirtschaftlichen Bedeutung für den Antragsteller auch Marktmacht und Reichweite des Anbieters zu berücksichtigen. In einfach gelagerten Verfügungsverfahren beträgt der Streitwert für eine Einzeläußerung regelmäßig 7.500 EUR. (von der Schriftleitung bearbeiteter Leitsatz des Gerichts)

OLG Dresden, Beschluss vom 19.01.2019 - 4 W 1074/18, BeckRS 2019, 1477

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 05/2019 vom 27.02.2019

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Sachverhalt

Der Antragssteller wandte sich mit einer einstweiligen Verfügung gegen die Löschung eines von ihm verfassten Beitrags auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Plattform www…..com und seine – zwischenzeitlich abgelaufene – Teilsperre von Einzelfunktionen. Das Landgericht wies den Antrag wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit zurück und setzte den Streitwert des Verfügungsverfahrens auf 3000 EUR fest. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde nahm der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27.12.2018 zurück. Das OLG Dresden setzte den Streitwert für das Verfügungsverfahren für beide Instanzen auf 7.500 EUR fest.

Entscheidung: wirtschaftliche Bedeutung, Marktmacht und Reichweite streitwertrelevant

Nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde sei nur noch über den Streitwert des Verfügungsverfahrens zu entscheiden. Diesen setze der Senat auf 7500 EUR fest. Der Auffassung, wonach der Streitwert für eine auf Unterlassung einer Löschung/Sperrung auf einem sozialen Netzwerk gerichtete einstweilige Verfügung unbeschadet der jeweiligen Umstände mit maximal 3.000 EUR anzusetzen sei, könne sich der Senat aus folgenden Gründen nicht anschließen:

Nach § 48 II GKG sei der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Für die Streitwertfestsetzung bei Unterlassungsansprüchen gegenüber einer ehrverletzenden Äußerung seien neben dem Grad der Verbreitung die Schwere des Vorwurfs sowie die Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruches des Verletzten in der Öffentlichkeit, die wirtschaftliche Bedeutung sowie die sonstige Bedeutung der Sache einzubeziehen. Ausgangspunkt für die Bemessung seien die Werte der §§ 52 II GKG, § 23 III 2 RVG (jeweils 5.000 EUR), die nach Maßgabe des Einzelfalles zu erhöhen oder zu vermindern seien. Im einstweiligen Verfügungsverfahren liege der Streitwert unter dem der Hauptsache, weil das für ein Verfahren maßgebende Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung im Regelfall nicht das Befriedigungsinteresse erreiche. In äußerungsrechtlichen Verfügungsverfahren ohne besondere Bedeutung betrage der Streitwert regelmäßig 5.000 EUR. Es bestehe kein Grund, für Streitigkeiten, die die Löschung einer als ehrverletzend angesehenen Äußerung und die Sperrung des Accounts in einem sozialen Netzwerk betreffen und sich damit als spiegelbildlich zu einer einstweiligen Verfügung wegen einer erfolgten Ehrverletzung darstellten, von anderen Grundsätzen auszugehen.

Vorliegend sei dieser Betrag im Hinblick auf die Marktmacht, die Reichweite und den potentiellen Empfängerkreis auf den Seiten der Antragsgegnerin allerdings höher anzusetzen. Dass der vom Antragsteller geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht delikts-, sondern vertragsrechtlicher Natur sei, sei hierfür ohne Belang, weil auch durch ein Handeln im Rahmen eines Vertragsverhältnisses in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vertragspartners eingegriffen werden könne. Auch der durch die Löschung/Sperre eingetretene finanzielle Schaden, den der Antragsteller in seinem Schreiben an die Antragsgegnerin vom 18.10.2018 mit 50 EUR/Tag beziffert habe, sei nur einer von mehreren in die Bemessung einzubeziehenden Gesichtspunkten und stelle lediglich die Untergrenze des maßgeblichen Streitwerts dar. Etwaige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, die auch darin liegen könnten, dass dieser von der Verbreitung einer bestimmten Äußerung dauerhaft und von der Nutzung des größten sozialen Netzwerkes in Deutschland zeitweise ausgeschlossen werde, seien zusätzlich in die Bemessung einzubeziehen.

Nicht gefolgt werden könne in diesem Zusammenhang der Auffassung, die Tragweite einer Löschung/Sperre auf einem sozialen Netzwerk sei unter keinen Umständen mit der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen und/oder Schmähkritik durch Dritte zu vergleichen. Hierbei bleibe außer Betracht, dass ein Nutzer durch diese Einschränkung seines Kommunikationsgrundrechts auch sein Recht zum Gegenschlag auf die Äußerung eines anderen Nutzers verliere und sich gegenüber unwahren Tatsachenbehauptungen Dritter in der Zeit seiner Sperrung kaum zur Wehr setzen könne, zumal diese oft anonym erfolgten, weshalb ein Vorgehen gegen den Dritten regelmäßig mit vertretbarem Aufwand keinen Erfolg verspreche. Das Interesse des betroffenen Nutzers, in einer solchen Situation seine Sicht der Dinge darzulegen, sei insofern vergleichbar mit dem Interesse an einer Gegendarstellung in einer Tageszeitung, deren Streitwert in der Rechtsprechung weit über 3.000 EUR liege. Den Antragsteller hier auf Leserbriefe und andere Plattformen zu verweisen, laufe angesichts der Marktmacht der Antragsgegnerin leer. Der Senat habe angesichts dessen im Beschluss vom 8.8.2018 – 4 W 577/18 (BeckRS 2018, 18249) den Streitwert eines Verfügungsverfahrens gerichtet auf vorläufige Unterlassung der Löschung einer Äußerung und der Versetzung in den read-only Modus für 30 Tage mit 7.500 EUR bewertet, hieran sei auch für das vorliegende Verfahren festzuhalten.

Praxishinweis

Der Streitwert für einen im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens verfolgten Anspruch auf Unterlassung der Löschung eines Kommentars auf der Plattform eines sozialen Netzwerks und der Sperre des Betroffenen ist in der Rechtsprechung umstritten. Das OLG Frankfurt (BeckRS 2018, 25532) hat den Streitwert für die Sperre auf 2.500 EUR festgesetzt und den Streitwert für die Unterlassung der Unsichtbarmachung bzw. Löschung des einzelnen Posts auf 500 EUR. Dagegen wendet sich das OLG Dresden in der berichteten Entscheidung und setzt den Streitwert für eine Einzeläußerung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens insbesondere unter Berücksichtigung der Marktmacht und der Reichweite des Anbieters auf 7.500 EUR fest (vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Dresden BeckRS 2018, 18249).

Redaktion beck-aktuell, 27. Februar 2019.