OLG Frankfurt a. M.: Kein eine Terminsgebühr auslösender Verzicht auf einen Erörterungstermin möglich

FamFG § 155; VV 3104 Anm. I RVG

Eine Terminsgebühr entsteht nicht, wenn ein Gericht in einem Kindschaftsverfahren von einer persönlichen Anhörung der Verfahrensbeteiligten absieht. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 10.03.2017 - 4 WF 42/17, BeckRS 2017, 123541

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 19/2017 vom 20.9.2017

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Sachverhalt

Der Antragsteller vertrat den Kindesvater in einem Umgangsverfahren, in dem das Familiengericht am 24.3.2016 Termin zur Anhörung der Eltern und Erörterung der Angelegenheit mit diesen nach § 155 II FamFG auf 29.4.2016 bestimmt hatte. Nachdem der Antragsteller dem Familiengericht am 9.4.2016 mitgeteilt hatte, der Vater sei inhaftiert worden, sowie gebeten hatte, den Termin vom 29.4.2016 aufzuheben, telefonierte am 18.4.2016 der Richter des Familiengerichts mit dem Antragsteller, wobei beide Einigkeit erzielten, das Umgangsverfahren ohne eine Anhörung mangels Umgangsmöglichkeit des Vaters zu beenden. Entsprechend wurden die Mutter und ein zuvor bestellter Verfahrensbeistand des Kindes informiert, die sodann keine Erklärung abgaben. Mit bestandskräftigem Beschluss vom 3.5.2016 stellte das Familiengericht die Beendigung des Verfahrens fest, verteilte Kosten und setzte den Verfahrenswert auf 3.000 EUR fest. Am 11.5.2016 beantragte der Antragsteller – ausgehend von diesem Wert – im Rahmen der gewährten Verfahrenskostenhilfe zu Lasten der Staatskasse ua die Festsetzung einer 1,3-fachen Verfahrens- und einer 1,2-fachen Terminsgebühr nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Mit Festsetzungsentscheidung vom 11.10.2016 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nur eine 1,3-fache Verfahrensgebühr nebst Auslagenpauschale und darauf entfallender Umsatzsteuer zugunsten des Antragstellers fest und lehnte im Übrigen die Festsetzung ab. Hiergegen richtete sich die vom Familiengericht als Erinnerung behandelte sofortige Beschwerde des Antragstellers, der das Familiengericht im Umfang der 1,2-fachen Terminsgebühr nebst darauf entfallender Umsatzsteuer stattgab. Gegen diesen Beschluss richtete sich nunmehr die Beschwerde der Staatskasse, der das Familiengericht nicht abhalf. Die Beschwerde der Staatskasse gegen die Erinnerungsentscheidung des Familiengerichts hatte vor dem OLG Frankfurt a. M. Erfolg.

Rechtliche Wertung

Im Verfahren habe kein Termin stattgefunden. Auch ein Terminsäquivalent iSv VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG sei nicht gegeben.

Denn die Gebühr nach VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG könne allein deswegen nicht entstanden sein, weil das Familiengericht von der Durchführung des am 29.4.2016 geplanten Erörterungstermins nach § 155 II FamFG nicht im Einverständnis mit den Beteiligten abgesehen habe. Denn die Aufhebung des Termins vom 29.4.2016 sei nach dem Sachvortrag des Vaters vom 9.4.2016 und dem Telefonat des Familienrichters mit dem Antragsteller vom 18.4.2016 an diesem Tage erfolgt, ohne dass sodann alle Beteiligten dem in der Terminsaufhebungsverfügung skizzierten weiteren gerichtlichen Vorgehen zustimmten. Eine solche Zustimmung habe nur der Vater am 21.4.2016 erteilt. Die ebenfalls beteiligte Mutter habe sich hierzu vor Beschlusserlass durch Übergabe des auf den 3.5.2016 datierten Beschlusses an die Geschäftsstelle am 4.5.2016 ebenso wenig (zustimmend) geäußert wie der am Verfahren beteiligte Verfahrensbeistand. Auf die Frage, ob der Erörterungstermin nach § 155 II FamFG einer obligatorischen mündlichen Verhandlung gleichstehe, komme es damit nicht an.

Soweit der Antragsteller darauf abstelle, die anderen Beteiligten hätten stillschweigend der Terminsaufhebung zugestimmt, sei auch dies letztlich irrelevant. Denn VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG stelle in der Alternative der Zustimmung der Beteiligten maßgeblich darauf ab, dass es sich bei dem Verhandlungstermin überhaupt um einen Verfahrensschritt handele, der dem einvernehmlichen Verzicht der Beteiligten zugänglich sei. Dies ergebe sich daraus, dass diese Verhandlung von Gesetzes wegen vorgeschrieben sein müsse, aber ebenso mit Zustimmung der Beteiligten eine Abweichung gesetzlich möglich sei (vgl. zB § 128 II ZPO, § 101 II VwGO, § 90 II FGO). Hieran fehle es vorliegend, weil der Erörterungstermin nach § 155 II FamFG schlicht nicht dieser Abweichung zugänglich sei; eine den obigen Normen vergleichbare Regelung fehle im Gesetz. Dies habe seinen Sinn darin, dass die (Amts-)Verfahren des § 155 I FamFG, für die die Terminierungspflicht des § 155 II FamFG gelte, überwiegend im hoheitlichen Interesse verfolgt würden, sodass die Verfahrensgestaltung vorrangig nicht der Disposition der Beteiligten unterliege. Dies drücke sich auch darin aus, dass selbst in Umgangsverfahren, dem subjektive Rechte der Elternteile/Beteiligten zugrunde liegen, eine Vereinbarung der Eltern/Beteiligten der Billigung des Gerichts dürfe, § 156 II FamFG, um verfahrensbeendigend zu wirken. Dass das Familiengericht rein faktisch mit unterstellter Zustimmung der Beteiligten von dem Termin absah, habe daher nicht genügt.

Praxistipp

Der Gesetzgeber hat zwar mit der Neufassung von VV Vorbem. 3 III RVG im 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz sogar Anhörungstermine als terminsgebührauslösende Termine bestimmt (BT-Drs. 17/11471 (neu), 274), den Wortlaut der Anm. von VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG, welcher Grundlage für die fiktive Terminsgebühr ist, aber unverändert gelassen. Diese spricht ausdrücklich vom Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Teilweise wird daher die Auffassung vertreten, dass VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG so zu lesen ist, dass es sich um ein Verfahren handeln muss, in dem eine Erörterung vorgeschrieben ist, da in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht mündlich verhandelt, sondern erörtert wird (Onderka/Schneider in Schneider/Wolf, Anwaltkommentar RVG, 8. Aufl. 2017, VV 3104 Rn. 29). Die Gegenauffassung stellt auf den präzisen Wortlaut ab, sodass VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG auf FG-Verfahren, auch FG-Familiensachen, nicht anwendbar ist (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, VV 3104 Rn. 33). Auch das OLG Frankfurt a. M. hebt in der berichteten Entscheidung auf die wörtliche Auslegung des Vergütungstatbestandes ab (vgl. in diesem Zusammenhang auch Mayer in Mayer/Kroiß, RVG-Kommentar, 6. Aufl. 2013, VV 3104 RVG Rn. 15).

Redaktion beck-aktuell, 21. September 2017.