BAG: Unpfändbarkeit von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen

ArbZG §§ 6 V, 9 I; EStG § 3b, GG Art. 140; WRV Art. 139; ZPO § 850a Nr. 3

1. Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit sind Erschwerniszulagen i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO und damit im Rahmen des Üblichen unpfändbar. Zulagen für Schicht-, Samstags- oder sog. Vorfestarbeit sind dagegen der Pfändung nicht entzogen.

2. Hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang und welcher Höhe Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit als „üblich“ und damit unpfändbar i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO anzusehen sind, kann an die Regelung in § 3b EStG angeknüpft werden.

BAG, Urteil vom 20.07.2016 - 10 AZR 859/16 (LAG Berlin-Brandenburg)

Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Elena Wilke, Gleiss Lutz, Düsseldorf

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 35/2017 vom 07.09.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin arbeitet bei der Beklagten, die Sozialstationen betreibt, als Hauspflegerin. Nach einem zwischenzeitlich aufgehobenen Insolvenzverfahren befand sich die Klägerin in der sog. Wohlverhaltensphase, in der sie ihre pfändbare Vergütung an einen Treuhänder abgetreten hatte. Im Zeitraum Mai 2015 bis März 2016 führte die Beklagte von der jeweiligen Nettovergütung der Klägerin den sich aus ihrer Sicht ergebenden pfändbaren Teil der Vergütung an den Treuhänder ab. Dabei berücksichtigte sie auch die an die Klägerin gezahlten tarifvertraglichen Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Samstags- und Vorfestarbeit als pfändbar. Die Klägerin sieht diese Zuschläge als unpfändbare Erschwerniszulagen i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO an und begehrt von der Beklagten Zahlung der Summe, die diese zu viel an den Treuhänder abgeführt habe.

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Entscheidung

Auf die Revision der Beklagten hob das BAG das Urteil des LAG auf.

Die Vorinstanzen hätten allerdings zutreffend angenommen, dass Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit Erschwerniszulagen i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO und deshalb unpfändbar seien. Zur Begründung verwies das BAG auf den gesetzlichen Schutz der Nachtruhe und auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Sonn- und Feiertage: Der Gesetzgeber habe in § 6 V ArbZG die Ausgleichspflichtigkeit von Nachtarbeit geregelt, die von ihm als besonders erschwerend bewertet worden sei. Sonntage und gesetzliche Feiertage stünden kraft Verfassung (Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV) unter besonderem Schutz – § 9 I ArbZG ordne an diesen Tagen ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot an. Damit geht der Gesetzgeber auch hier von einer Erschwernis aus, wenn an diesen Tagen dennoch gearbeitet wird.

Eine entsprechende gesetzgeberische Wertung gebe es für Schicht-, Samstags- und Vorfestarbeit (d.h. für die Arbeit an den Tagen vor gesetzlichen Feiertagen, z.B. an Heiligabend und Sylvester) nicht. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Sonderregelung des § 850a ZPO zwar dem Schuldnerschutz diene und diesem einen größeren Teil seines Nettoeinkommens als unpfändbar belassen wolle. Angesichts der ebenso in den Blick zu nehmenden Gläubigerinteressen bedürfe die in § 850a Nr. 3 ZPO geregelte Unpfändbarkeit von Erschwerniszulagen aber einer sachlichen Begrenzung.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG, die derzeit nur als Pressemitteilung vorliegt (FD-ArbR 2017, 394056), erscheint nachvollziehbar, ausgewogen und richtig. Bislang gab es keine einheitliche Auffassung in Literatur und Rechtsprechung zur Pfändbarkeit solcher Erschwerniszulagen. Während der Pfändungsschutz für Nachtarbeit weitgehend unstreitig war, wurden Sonn- und Feiertagszulagen verschiedentlich ebenso als in voller Höhe pfändbar angesehen wie Zulagen für Arbeit an anderen Tagen.

Unpfändbar nach § 850a Nr. 3 ZPO sind Erschwerniszulagen allerdings nur, soweit sie „den Rahmen des Üblichen“ nicht übersteigen. Zu Bestimmung dieses Rahmens verweist das BAG auf § 3b EStG, der Nachtzuschläge i.H.v. 25 % oder 40 % (abhängig von der jeweiligen Uhrzeit, zu der die Arbeit nachts geleistet wurde) und Sonntagszuschläge i.H.v. 50 % des Grundlohns steuerfrei stellt. Zuschläge auf Feiertagsarbeit sind hiernach i.H.v. 125 % oder 150 % steuerfrei. Die genaue Höhe ist abhängig davon, an welchem Feiertag die Arbeit geleistet wurde – so sieht der Gesetzgeber des EStG neben dem Weihnachtsfest nicht etwa Neujahr, Ostern oder Pfingsten als Hochfeste im Bundesgebiet an, sondern insbesondere den 1. Mai eines jeden Jahres.

Redaktion beck-aktuell, 11. September 2017.