Ein gewisses Unbehagen begleitet das Weisungsrecht der Justizministerinnen und -minister seit jeher. Erst bei der Kündigung von Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker vor zwei Tagen wurde in der Öffentlichkeit über mögliche zulässige Einflussnahmen auf die Strafverfolgung spekuliert. Reformbestrebungen gibt es seit Jahrzehnten, so schon 1976 mit dem Entwurf zur Änderung des Rechts der Staatsanwaltschaft (StAÄG).
Tatsächlich wurden aber nur wenige Fälle bekannt, in denen die Politik nachweisbar auf laufende Ermittlungen Einfluss nahm. Der Streit zwischen dem damaligen Generalbundesanwalt Harald Range mit dem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) über eine Einflussnahme auf die Ermittlungen gegen die Plattform netzpolitik.org war dafür umso spektakulärer – und führte 2015 zur Entlassung des obersten Strafverfolgers.
Ansonsten scheinen sich die Justizverwaltungen – vermutlich auch aus Angst vor Vorwürfen der Einmischung, die erfahrungsgemäß das Potenzial zum politischen Suizid haben – mit Weisungen zurückzuhalten. Spätestens nach der EuGH-Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl vom Mai 2019 zeichnete sich aber ab, dass diese rein gelebte Praxis keine Zukunft haben würde. Die Luxemburger Richterinnen und Richter zeigten sich unter anderem davon irritiert, dass es in Deutschland keine Regeln dafür gibt, unter welchen Voraussetzungen und wie die Ministerien in Ermittlungen eingreifen durften.
Die "engen Grenzen" sollen jetzt ins Gesetz
Bislang ist in § 146 GVG nur geregelt, dass Staatsanwälte Weisungen ihrer Vorgesetzten befolgen müssen. In der Diskussion geht es in der Regel vor allem um das sogenannte externe Weisungsrecht, das der Politik gegenüber den Strafverfolgern zusteht: § 147 GVG schreibt in Nrn. 1 und 2 das Recht der Aufsicht und Leitung für den Generalbundesanwalt und die Bundesanwälte dem BMJ, für alle anderen Staatsanwaltschaften der jeweiligen Landesjustizverwaltung zu. Nr. 3 regelt das interne Weisungsrecht des ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei OLGs und LGs hinsichtlich aller Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihres Bezirks.
Auf die Bedenken des EuGH gegen diese rudimentären Vorschriften verweist nun der Referentenentwurf mit dem Titel "Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Transparenz von Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft" aus dem Hause von Justizminister Marco Buschmann (FDP), der am Montag bekannt wurde. § 146 GVG soll in Absatz 2 dadurch ergänzt werden, dass für alle Weisungen das Legalitätsprinzip gelten soll.
Von den engen Grenzen des Weisungsrechts spricht der Entwurf; eingreifen dürfen die übergeordneten Stellen demnach nur "zur Verhinderung rechtswidriger Entscheidungen", soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht, oder bei Ermessensentscheidungen.
Für die Ministerien kommt als Sonderregel eine Dokumentationspflicht hinzu: Externe Weisungen sollen schriftlich erteilt und begründet werden müssen. Dennoch nur mündlich erteilte Anweisungen müssen zumindest schriftlich nachgereicht werden. Im Fall von Ex-GBA Range hätte so zumindest der später öffentlich ausgetragene Streit über Inhalt und Umfang der Weisungen des damaligen Justizministers Heiko Maas vermieden werden können.
StA ist Teil der Exekutive: Das Weisungsrecht bleibt
Vielen Kritikern wird diese Reform nicht weit genug gehen. Aus Anlass des Abgangs der Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker als leitende Cum-Ex-Ermittlerin bei der Kölner Staatsanwaltschaft forderte die Neue Richtervereinigung (NRV) noch am Montag erneut die völlige Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften. Auch der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, hatte vor dem Hintergrund politischer Einflussnahme auf die Justiz in Polen und Ungarn 2023 im Gespräch mit der Berliner Morgenpost ein Ende des Weisungsrechts gefordert. Anfang dieses Jahres hatte die Generalstaatsanwältin von Berlin, Margarete Koppers, für eine Abschaffung plädiert.
Diese Wünsche kontert der Entwurf aus dem BMJ mit Art. 20 Abs. 2 GG: Nach dem deutschen System sei die Staatsanwaltschaft – unabhängig von ihrer Nähe zur Justiz – Teil der Exekutive. Ausführende Gewalt bedeute Kontrolle durch die gewählte Regierung. Ein Argument, das den Deutschen Anwaltverein (DAV) überzeugt. Gül Pinar, Mitglied im Ausschuss Strafrecht des DAV, begrüßte die Pläne aus dem Hause Buschmann am Dienstag: "Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Exekutive – deswegen ist es richtig, dass das Weisungsrecht erhalten bleibt". Sie lobte auch eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle durch die Verpflichtung, Weisungen schriftlich festzuhalten.
Die Kehrseite der Medaille zeigte sich zum Beispiel bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera gegen das "Zentrum für politische Schönheit" im Jahr 2019. Nachdem die Aktionskünstlerinnen und -künstler in Sichtweite des Wohnhauses von AfD-Politiker Björn Höcke in Thüringen falsche Stelen eines nachgebauten Holocaustdenkmals aufgebaut hatten ("Denkmal der Schande"), bejahte die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Ermittlungen entwickelten sich zu einem Politikum, dem zuständigen Staatsanwalt wurde eine Nähe zur AfD nachgesagt. Erst ein Eingreifen des Ministeriums beendete die Ermittlungen, der Staatsanwalt wurde vom Verfahren abgezogen.
Verfassungsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz schrieb damals im Verfassungsblog: "Die latente Möglichkeit der externen Intervention ist zugleich ein Instrument, der Entstehung von rechtsstaatsunverträglichen Subkulturen entgegenzuwirken, die vor allem in Clustern von der Öffentlichkeit abgeschirmter Eigenbrötlerei gedeihen, im Strafrecht aber die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger akut gefährden können."