Im milliardenschweren Investorenprozess am OLG Braunschweig wies der 65-Jährige jede Verantwortung in dem Skandal von sich. Immer wieder verwies Diess darauf, dass er gerade erst neu im Wolfsburger Riesenkonzern gewesen sei und das Ausmaß des Skandals nicht erkannt habe, auch nicht, als die Rede von einer "Diesel-Thematik" aufgekommen sei. "Ich hatte den Eindruck, dass das Thema solide abgearbeitet wird", sagte er. Die handelnden Personen rund um den damaligen Konzernboss Martin Winterkorn hätten sehr kompetent gewirkt.
Aufgeflogen war der Skandal im September 2015, als die US-Umweltbehörde EPA über Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos informierte. Vorstandschef Winterkorn, trat zurück und die Industriekrise nahm ihren Lauf. Die Aufarbeitungskosten haben die Marke von 30 Milliarden Euro nach Konzernangaben längst überschritten. Wer wann was über die Machenschaften mit Dieselmotoren wusste, ist bei heute nicht geklärt.
In dem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ringen Anleger nun seit mittlerweile über fünf Jahren um Schadensersatz. Sie hatten nach der Veröffentlichung Kursverluste in Milliardenhöhe erlitten. Nach langer Verfahrenszeit will das Gericht mehr als 80 Zeugen hören. Nach Diess sollen auch die früheren Konzernchefs Matthias Müller (7. Februar) und Martin Winterkorn (14./15. Februar) vernommen werden.
Diess: Von "Notice of Violation" kalt überrascht
Die Annahme vieler Beobachter, dass die Diess-Befragung keine großen Überraschungen bringen dürfte, bestätigte sich am Dienstag schnell. Nach einigen Jahren als Top-Manager bei BMW war der promovierte Ingenieur erst kurz vor Bekanntwerden von "Dieselgate" als Chef der Kernmarke zu Volkswagen gewechselt und sollte als Nachfolger auf den mächtigen Konzernboss Winterkorn aufgebaut werden.
Von der sogenannten Notice of Violation, also der Bekanntmachung der Verstöße durch US-Behörden am 18. September 2015, sei er auf einer Spanienreise kalt überrascht worden, berichtete Diess. Auf die Frage des Richters, ob er Anhaltspunkte für früheres Wissen bei Winterkorn oder dem gesamten Vorstand hatte, antwortete Diess: "Ich hatte nicht den Eindruck". Vor Gericht berichtete Diess über die komplexe Einarbeitung in einen Konzern, den zu dieser Zeit mehrere Probleme plagten.
Auch wenige Tage vor dem Knall sei es für ihn weiter ein Technikthema gewesen, aber kein drohender Riesenskandal, sagte Diess. Begriffe wie "Defeat Device" habe er damals nicht gekannt. Winterkorn sei damals nach seiner Erinnerung schon beim berühmten Schadenstisch vom 27. Juli 2015 klar in seinen Anweisungen gewesen. "Es waren von mir keine weiteren Maßnahmen nötig", sagte Diess. "Ich war sicher, dass das in guten Händen ist."
Winterkorn muss sich seit 2020 wegen des Vorwurfs der Markmanipulation vor dem LG Braunschweig verantworten - das Verfahren wurde nach zwischenzeitlicher vorläufiger Einstellung wiederaufgenommen; seit 2018 ist er auch im Visier der US-Justiz. 2017 wurde mit Oliver Schmidt bereits ein anderer VW-Manager in den USA zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.