Selbst­be­stim­mungs­ge­setz in Kraft: Tau­sen­de wol­len neuen Ge­schlechts­ein­trag
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Trotz aller Kri­tik im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren: Ab so­fort kön­nen Men­schen ihren Ge­schlechts­ein­trag und Vor­na­men durch eine per­sön­li­che Er­klä­rung beim Stan­des­amt än­dern. Für Min­der­jäh­ri­ge gibt es Son­der­re­geln, für Zwangs­ou­ting mit­un­ter ein Bu­ß­geld. 

Mit In­kraft­tre­ten des Ge­set­zes über die Selbst­be­stim­mung in Bezug auf den Ge­schlechts­ein­trag (SBGG) wird es ein­fa­cher, den ei­ge­nen Ge­schlechts­ein­trag an­zu­pas­sen. Eine Än­de­rung war zwar auch schon vor In­kraft­tre­ten des Selbst­be­stim­mungs­ge­set­zes mög­lich, al­ler­dings waren dafür zwei psy­cho­lo­gi­sche Gut­ach­ten, ärzt­li­che Un­ter­su­chun­gen und ein rich­ter­li­cher Be­schluss nötig.

Nun kön­nen alle voll­jäh­ri­gen Per­so­nen durch eine per­sön­li­che Er­klä­rung mit Ei­gen­ver­si­che­rung ihren Ge­schlechts­ein­trag an­pas­sen. Zur Aus­wahl ste­hen männ­lich, weib­lich, di­vers oder gar keine Ge­schlechts­zu­ge­hö­rig­keit. Beim Stan­des­amt muss dabei in der Regel auch der Vor­na­me an­ge­passt wer­den, denn gem. § 2 Abs 3 SBGG muss der Name dem ge­wähl­ten Ge­schlechts­ein­trag ent­spre­chen. Eine iso­lier­te Än­de­rung des Vor­na­mens - ohne Än­de­rung des Ge­schlechts­ein­trags – er­mög­licht das SBGG aber nicht.

Bis zu 15.000 Men­schen wol­len Ge­schlechts­ein­trag än­dern

Nach An­ga­ben der Stan­des­äm­ter nutz­ten diese Mög­lich­keit in den ver­gan­ge­nen drei Mo­na­ten be­reits zwi­schen 6.000 und 15.000 Men­schen. Denn ob­wohl das Ge­setz am heu­ti­gen 1. No­vem­ber in Kraft ge­tre­ten ist, konn­ten Be­trof­fe­ne die Än­de­rung ihres Ge­schlechts­ein­trags schon vor drei Mo­na­ten erst­mals an­mel­den. Das Ge­setz sieht näm­lich in § 4 vor, dass zwi­schen An­mel­dung und dem Ter­min beim Stan­des­amt min­des­tens drei Mo­na­te ver­ge­hen müs­sen – eine Art ge­setz­lich ver­ord­ne­te Be­denk­zeit.

Dabei geht es beim SBGG le­dig­lich um die Ein­tra­gung des Ge­schlechts­ein­trags. Me­di­zi­ni­sche Ent­schei­dun­gen, etwa ob eine ge­schlechts­an­glei­chen­de Ope­ra­ti­on durch­ge­führt wurde, spie­len für den Ge­schlechts­ein­trag keine Rolle. Die Er­klä­rung muss in­ner­halb von sechs Mo­na­ten nach der An­mel­dung ab­ge­ge­ben wer­den und der Ge­schlechts­ein­trag kann nach Ab­lauf einer ein­jäh­ri­gen Frist er­neut ge­än­dert wer­den.

Son­der­re­geln für Min­der­jäh­ri­ge

Auch Min­der­jäh­ri­ge kön­nen unter Um­stän­den ihren Ge­schlechts­ein­trag än­dern las­sen, so­fern sie min­des­tens 14 Jahre alt sind. Gem. § 3 SBGG be­darf es hier­für aber der Zu­stim­mung der El­tern. Min­der­jäh­ri­ge müs­sen zudem er­klä­ren, sich um­fas­send in­for­miert zu haben. Eine Be­ra­tungs­pflicht be­steht aber nicht. Für Kin­der unter 14 Jah­ren kön­nen die El­tern – mit Zu­stim­mung des Kin­des – den Ge­schlechts­ein­trag än­dern.

Kön­nen die El­tern sich nicht ei­ni­gen oder ver­wei­gern sie die Zu­stim­mung, kann das Fa­mi­li­en­ge­richt ein­ge­schal­tet wer­den, um mit Blick auf das Kin­des­wohl eine Ent­schei­dung zu tref­fen. Gegen den Wil­len des Kin­des kön­nen die El­tern keine Er­klä­rung ab­ge­ben. Unter Um­stän­den kann das Fa­mi­li­en­ge­richt hier Schutz­maß­nah­men tref­fen – bis hin zum Ent­zug des Sor­ge­rechts (§ 1666 BGB).

Bu­ß­geld für Zwangs­ou­ting

Das SBGG ent­hält zudem in § 13 ein so­ge­nann­tes Of­fen­ba­rungs­ver­bot - als Schutz gegen ein un­frei­wil­li­ges Ou­ting: Frü­he­re Ge­schlechts­ein­trä­ge dür­fen ohne Zu­stim­mung der be­tref­fen­den Per­son nicht of­fen­bart oder aus­ge­forscht wer­den, es sei denn, dass be­son­de­re Grün­de des öf­fent­li­chen In­ter­es­ses es recht­fer­ti­gen. Eine Aus­nah­me kann zum Bei­spiel bei An­ge­hö­ri­gen oder Ehe­gat­ten be­stehen, wenn das für die Füh­rung öf­fent­li­cher Bü­cher und Re­gis­ter er­for­der­lich ist.

Ein Ver­stoß gegen die­ses Of­fen­ba­rungs­ver­bot kann mit einem Bu­ß­geld von bis zu 10.000 Euro be­straft wer­den. Grund­sätz­lich ent­hält das SBGG aber kein Ver­bot, Be­trof­fe­ne zu mis­gen­dern oder ihren ur­sprüng­li­chen Vor­na­men zu nen­nen.

Nicht au­to­ma­tisch Zu­gang zu ge­schütz­ten Räu­men

Im Zuge des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens hatte es viele po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­li­che De­bat­ten ge­ge­ben. Noch am Don­ners­tag kri­ti­sier­te eine UN-Ex­per­tin das Ge­setz als Be­ein­träch­ti­gung der Si­cher­heit, der Pri­vat­sphä­re und an­de­rer Men­schen­rech­te von Frau­en und Mäd­chen. Dem Ge­setz zur Ge­schlech­ter­selbst­be­stim­mung fehl­ten die not­wen­di­gen Schutz­maß­nah­men, um einen Miss­brauch des Ver­fah­rens durch Se­xu­al­straf­tä­ter und an­de­re Miss­brauchs- und Ge­walt­tä­ter zu ver­hin­dern, so die Jor­da­ni­e­rin Reem Al­sa­lem.

Auch auf na­tio­na­ler Ebene war es ein gro­ßer Streit­punkt, , wie sich der neue Ge­schlechts­ein­trag auf den Zu­gang zu be­stimm­ten Räu­men aus­wirkt, die ak­tu­ell einem Ge­schlecht vor­be­hal­ten sind – etwa Um­klei­de­ka­bi­nen oder Sau­nen. Kri­ti­ker hat­ten be­fürch­tet, dass vul­ne­r­a­ble Grup­pen durch das Ge­setz schlech­ter ge­stellt wer­den könn­ten, weil ge­schütz­te Räume zu­künf­tig allen mit dem ent­spre­chen­den Ge­schlechts­ein­trag offen stün­den. Des­halb stellt das SBGG fest, dass mit einem be­stimm­ten Ge­schlechts­ein­trag nicht au­to­ma­tisch ein An­spruch auf Zu­gang zu ge­schütz­ten Räu­men be­steht, denn hier gilt wei­ter das Haus­recht.

Vor dem Selbst­be­stim­mungs­ge­setz galt das Trans­se­xu­el­len­ge­setz (TSG), das 1981 in Kraft ge­tre­ten war. Be­trof­fe­ne muss­ten eine lang­wie­ri­ge und kost­spie­li­ge Pro­ze­dur in­klu­si­ve Gut­ach­ten und Ge­richts­be­schluss über sich er­ge­hen las­sen, wenn sie ihren Ge­schlechts­ein­trag samt Vor­na­men än­dern las­sen woll­ten. Bis 2011 muss­ten sich trans­ge­schlecht­li­che Men­schen dafür sogar noch ste­ri­li­sie­ren las­sen.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hatte in meh­re­ren Ent­schei­dun­gen we­sent­li­che Teile des TSG für ver­fas­sungs­wid­rig er­klärt – etwa im Hin­blick auf die ein­ge­tra­ge­ne Le­bens­part­ner­schaft: Um diese ein­zu­ge­hen, muss­ten sich trans­ge­schlecht­li­che Men­schen me­di­zi­ni­schen Be­hand­lun­gen un­ter­zie­hen (Be­schluss vom 11. Ja­nu­ar 2011 - 1 BvR 3295/07). Schon des­halb war eine Neue­rung er­for­der­lich. Mit dem neuen Selbst­be­stim­mungs­ge­setz werde „staat­li­ches Un­recht“ be­sei­tigt, heißt es im Ge­set­zes­text.

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 1. November 2024.

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