Als Examenskandidat in einer juristischen Staatsprüfung hat man es ja nie leicht, und letzthin schon gleich gar nicht: Überlaufende (nicht notwendig: überlaufene) Toiletten, kurzfristig erforderliche Verlegungen des Prüfungsorts, stromversorgungsbefreite Laptops im vielgelobten e-Examen, Klausuraufgaben mit Abdruck der Lösungshinweise und dergleichen sympathische fails mehr. Da gerät das inhaltliche Prüfungswissen, etwa das materielle Recht, leicht einmal in die zweite Reihe. Dem gilt es entgegenzuwirken. Daher folgt hier die immergrüne Empfehlung: Rechtskenntnisse erleichtern das Bestehen der Prüfung - und die Befassung mit prüfungsverdächtigen Problemen hält des Juristen Hirn beweglich.
Aber welcher Fall wird in der nächsten Prüfung drankommen? Wir wissen es, wollen es aber nicht verraten. Prüferseitig immer gern genommen wird die Kombination "klassisches Problem / aktueller Sachverhalt". Sehen wir uns das an einem tagesaktuellen Beispiel an.
Klassiker
Manche Rechtsprobleme kehren wieder wie der Halleysche Komet: selten, aber verlässlich. So ist nun dieser Tage auch der Fleet-Fall wiedergekehrt, einem Bumerang gleichend. Die Presse vermeldete ein Schiffsunglück auf der Mosel, in dessen Gefolge womöglich auf Monate hinaus etwa 70 Schiffe den Fluss nicht in Richtung Rhein verlassen können.
Einstweilen steht die schuldhafte Unfallverursachung noch nicht fest, aber man kann sich leicht vorstellen, dass Fahrlässigkeit eine Rolle spielt, wenn ein Frachtschiff beinahe ungebremst mit den noch gar nicht geöffneten Toren einer Schleuse kollidiert und diese irreparabel zerstört. Auch ob die "gefangenen" Schiffe in naher Zukunft die Schleuse etwa nach Einbau eines Behelfstors werden passieren können, ist noch nicht geklärt. Unterstellt man aber einmal das Gegenteil, dürften sich die Schäden auf einen Betrag belaufen, den der Verursacher nicht mehr so eben aus dem Portemonnaie wird ausgleichen können.
Fleet-Fall, Fleet S und Fleet XXL
Aber zurück zum Fleet: Was ein Fleet ist, weiß man in der südlichen Landeshälfte womöglich nicht selbstverständlich. Für Juristinnen ist detaillierte Begriffskenntnis indes Pflicht - der Fleet-Fall (BGH, Urteil vom 21.12.1970 - Az. II ZR 133/68) ist auch nach über 50 Jahren noch eine wichtige Orientierungsmarke im BGB-Deliktsrecht.
Wir erinnern uns: Weiland hatte der BGH zu entscheiden, ob das Eigentum an einem Schiff dadurch verletzt wird, dass es in einem Stichkanal zeitweilig eingeschlossen wird, weil dessen Uferböschung einstürzt und so den Kanal blockiert.
Die vom ursprünglichen Fleet-Fall aufgeworfenen Rechtsfragen kann man also nicht nur - wie schon geschehen - verkleinert in einer Examensklausur stellen, indem man Automobile durch einen Zusammenstoß auf Stunden in eine Sackgasse einsperrt und damit Schadensersatzfragen wegen kurzfristiger anderweitiger Mobilitätsbeschaffung aufwirft. Man kann im Gegenteil auch "Fleet XXL" spielen, indem man einfach gleich die Schifffahrt auf einem ganzen Fluss lahmlegt, wie gerade auf der Mosel geschehen Denn so recht viel anzufangen wird mit den eingeschlossenen Schiffen nicht sein - zwar ist der Moselteil, auf dem sie eingeschlossen sind, immerhin der größte schiffbare Teil des Flusses, doch ein beladenes Frachtschiff lässt sich wohl nicht einfach zu einem Mosel-Kreuzfahrtdampfer umfunktionieren und der Winter wäre für touristische Kreuzfahrten ohnehin nicht ideal. Und als Schiffseigner Ersatz für ein bereits verplantes - aber nun festgeklemmtes - Schiff zu beschaffen, ist vermutlich auch nicht für kleines Geld zu haben.
Verletztes Rechtsgut: Eigentum
Der Sachverhalt des klassischen Fleet-Falls wirkt zunächst, als könnte man ihn ohne Gesetz mit etwas Judiz leicht entscheiden. Bei näherem Hinsehen erweist er sich als kleine deliktsrechtliche Delikatesse, einer dieser Fälle, die geradezu passieren mussten, damit der BGH mal ins Grundsätzliche gehen kann.
Die "richtige" Anspruchsgrundlage für den Schiffseigner, der durch des Schiffes Immobilisierung einen in Geld messbaren Nachteil erleidet, ist § 823 Abs. 1 BGB. Die Norm knüpft an eine Eigentumsverletzung an. Aber die Substanz des Schiffs bleibt ja intakt. Und das Eigentum als rechtliche Beziehung zwischen Person und Sache wird ebenfalls nicht angetastet.
Man muss sich also auf die von § 903 S.1 BGB gewährleistete Möglichkeit bestimmungsgemäßer Nutzung fokussieren, was leichter gelingt, wenn das Schiff ein- als wenn es ausgeschlossen ist. Heikel wird die Sache, weil es gilt, den von § 823 Abs. 1 BGB nicht beabsichtigten Ersatz reiner Vermögensbeeinträchtigungen zu vermeiden. Je weiter man sich von der Substanzverletzung oder -entziehung entfernt und jede Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung ansieht, desto näher kommt man aber eben diesem unerwünschten Ergebnis. Nach dem Normwortlaut ist das kaum zu entscheiden. Vorgeschlagen wurde daher etwa, die geschützten Nutzungsbeeinträchtigungen von den ungeschützten dadurch zu trennen, dass nur solche von einer gewissen Dauer als Eigentumsverletzungen zu betrachten seien. Als Abgrenzungskriterium wäre etwa zu fragen, ob sich die zeitweilige Nutzungseinschränkung im angenommenen Verkaufsfall auf den Marktwert der "eingesperrten" Sache auswirkt.
Ein anderer Ansatz kann darin bestehen, nicht in erster Linie das Eigentum als verletzt zu betrachten, sondern den Besitz. Zumindest beim berechtigten Besitz liegt das nahe. Weil der aber in § 823 Abs. 1 BGB nicht als geschütztes Rechtsgut benannt ist, muss man ihn unter den Begriff des "sonstigen Rechts" fassen, damit das funktioniert. Was wiederum eine argumentative Extraschleife erfordert: Ist der Besitz mehr als nur eine faktische Beziehung zwischen Sache und Person, verdient er als absolutes Recht einen ähnlichen Schutz wie das Eigentum? Diesen Weg hat der BGH in einem Fall gewählt, bei dem das durch eine Demonstration blockierte Baufahrzeug nicht dem Nutzer gehörte, sondern nur gemietet war.
Unabhängig vom gewählten Ansatz: Nicht bei jedem Sachverhalt wird so deutlich, dass das jeweilige Verständnis einer einzigen Normvoraussetzung weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen hat. Was auf den ersten Blick juristisch-technisch anmutet, bestimmt auf den zweiten Blick, welche Ereignisse der Geschädigte als Teil seines unternehmerischen Risikos zu tragen und eventuell zu versichern hat. Die Schadensfolgen können erheblich sein, wie sich dieser Tage an der Mosel zeigt.
Schadensumfang
Die schadensrechtlichen Probleme sind mit der beschädigten Schleuse und den eingeschlossenen Schiffen nämlich erst angerissen: Schon jetzt sind weiter entfernte Schäden absehbar. Das betrifft etwa erwartbare Umsatzeinbußen des Hafens Trier, der für eine Weile vom Rhein abgeschnitten sein wird. Solcherlei Schadensfolgen sind nicht nur geographisch weiter entfernt. Auch die haftungsrechtliche Zurechnung ist ein wenig komplizierter.
Dogmatisch kann man mit der Rechtsprechung die Unmittelbarkeit der Eigentumsverletzung in Zweifel ziehen. Indes leidet dieser Ansatz unter einer gewissen Unschärfe: Wie viele zwischengeschaltete Umstände sind erforderlich, um die Unmittelbarkeit entfallen zu lassen? Eine andere Argumentation würde zwar die Ursächlichkeit der Verletzungshandlung (Schleuse unpassierbar gefahren) für die Eigentumsverletzung und den sich daraus ergebenden Schaden (Schiffe können im Februar nicht mehr im Trierer Hafen anlegen) bejahen, bei der Zurechenbarkeit als wertender Einschränkung rein naturwissenschaftlicher verstandener Kausalität dann aber die Frage nach dem Schutzbereich der verletzten Norm aufwerfen.
Plausibel ließe sich argumentieren: Der Schutz des Eigentums an der Schleuse gegen fahrlässige Substanzverletzungen dient nicht (mehr) dem Schutz des Eigentums am Hafen gegen Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit und der damit verbundenen Erwerbsaussichten. Im Grunde lässt sich aber die Grenze nicht mehr mit zwingenden rechtlichen Argumenten ziehen. Letztlich muss man hier ökonomisch denkend eine Festlegung treffen, wie weit der Kreis der Folgen zu ziehen ist, für die der Handelnde deliktisch noch haften soll. Mit dem Recht der unerlaubten Handlungen wird so letztlich bestimmt, welche Risiken der unternehmerisch Handelnde auf sich nehmen muss - er wird also zu gesellschaftlich nützlichem Verhalten eher er- oder eher entmutigt.
Locker eine Stunde Prüfung
Einen interessanten Nebenschauplatz kann man eröffnen, wenn man die in Prüfungen oft stiefmütterlich behandelten Fragen des § 254 BGB stellt: Was kann und muss - vor und nach dem Schadensereignis - der (potenziell) Geschädigte tun, um die drohenden erklecklichen Schadenssummen zu reduzieren?
Selbst wenn die Mosel-Rechtsfragen damit eher ausschnittsweise skizziert als umfassend beantwortet sind, dürfte sich schon abzeichnen: Auch ohne dass der Sachverhalt noch variiert werden müsste, sind hier schon genug Probleme aufgeworfen, um daraus ganz locker eine einstündige mündliche Prüfung zu entwickeln. Und obwohl diese Probleme alles andere als trivial sind, liegen sie doch einigermaßen mitten im bürgerlich-rechtlichen Pflichtfachstoff. Also, Examenskandidaten: Dranbleiben an den Ereignissen auf der Mosel!
Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences.