Die EU-Kommission kündigte am Montag in Brüssel an, dass sie keine Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit mehr sieht und ein Ende des Verfahrens anstrebt. Eine entsprechende formale Entscheidung soll demnach getroffen werden, wenn die anderen Mitgliedstaaten bei einem Ministertreffen am 21. Mai keine Einwände erheben.
Das sogenannte Artikel-7-Verfahren gegen Polen war 2017 eingeleitet worden, nachdem die damalige nationalkonservative PiS-Regierung begonnen hatte, das Justizwesen umzubauen. Es hätte theoretisch sogar zu einem Entzug der Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen können. Sollte das Vorgehen gegen Polen wie geplant gestoppt werden, wäre künftig nur noch Ungarn von einem Artikel-7-Verfahren betroffen. Dort steht Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit einzuschränken und Korruption zu fördern.
Die seit Mitte Dezember amtierende Mitte-Links-Regierung in Polen hatte den EU-Partnern im Februar einen Reformplan für die Beseitigung von rechtsstaatlichen Defiziten präsentiert. Die für die Prüfung zuständige EU-Kommission zeigte sich bereits damals optimistisch, dass so die Unabhängigkeit der Justiz in Polen wiederhergestellt werden kann. Unabhängig von dem Artikel-7-Verfahren wurden jüngst auch schon EU-Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden Euro freigegeben, die lange wegen der Rechtsstaatlichkeitsbedenken zurückgehalten worden waren.
Von der Leyen gratuliert Tusk
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte nun: "Nach mehr als sechs Jahren glauben wir, dass das Artikel-7-Verfahren beendet werden kann." Sie gratulierte Ministerpräsident Donald Tusk und seiner Regierung zu diesem wichtigen Durchbruch. Dieser sei das Ergebnis harter Arbeit und entschlossener Reformbemühungen. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Polen sei großartig für das polnische Volk und für die EU als Ganzes.
"Die konsequente Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit zeigt international weitere Erfolge", schrieb Polens Justizminister Adam Bodnar auf der Plattform X (vormals Twitter). Polen verdanke die Chance auf eine schnelle Beendung des Artikel-7-Verfahrens nicht nur der Arbeit seines Ministeriums, sondern dem Engagement der gesamten Regierung.
Aufwendige Rückabwicklung
Die Eingriffe in das polnische Justizsystem, die die PiS mit ihren umstrittenen Reformen vorgenommen hatte, waren schwerwiegend. Entsprechend langwierig und zäh ist es für Tusks Mannschaft, die Justizreformen wieder zurückzudrehen.
Beispielsweise hatte Justizminister Bodnar bereits im Januar angekündigt, dass man die Nominierung von Richtern wieder von der Politik entkoppeln wolle. Ein entsprechender Gesetzentwurf, der die Besetzung des Landesjustizrates neu regelt, wurde vor zwei Wochen vom Sejm, der ersten Kammer des Parlaments, verabschiedet. Der Landesjustizrat ist das Gremium, das Richter für frei werdende Stellen nominiert. Im Jahr 2018 führte die PiS-Regierung ein, dass der 15 der insgesamt 25 Mitglieder des Landesjustizrates durch das Parlament ernannt werden – zuvor hatten Richter die Mehrheit der Mitglieder bestimmt. Dieser Schritt brachte Polen in Konflikt mit der EU-Kommission. Der EuGH kritisierte, der Landesjustizrat sei ein Organ, das "von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde", an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.
Künftig sollen wieder allein Richter unterschiedlicher Gerichte über 15 Sitze im Landesjustizrat bestimmen. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, soll der Landesjustizrat neu gewählt werden – das alte, nach den Regeln der PiS gebildete Gremium, wird abgelöst. Damit es dazu kommen kann, muss der Gesetzentwurf zunächst aber noch die zweite Kammer des Parlaments, den Senat, passieren und von Präsident Andrzej Duda unterzeichnet werden. Dieser letzte Schritt könnte jedoch zu einer Hürde für das Projekt werden: Duda stammt aus den Reihen der PiS und hat immer wieder deutlich gemacht, dass er deren Politik stützt. Er könnte das Gesetz also torpedieren.