Rat soll sogenannten Präventivmechanismus auslösen
Die Abgeordneten sind der Ansicht, dass angesichts der derzeitigen Lage in Polen eindeutig ein schwerwiegender Verstoß gegen die in Art. 2 EUV genannten Werte droht. Das Parlament hat mit 438 Stimmen bei 152 Gegenstimmen und 71 Enthaltungen beschlossen, dass ein begründeter Vorschlag vorbereitet werden soll, mit dem der Rat aufgefordert wird, Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 1 EUV zu treffen, also den sogenannten Präventivmechanismus auszulösen. Wenn das Risiko fortbesteht und die polnischen Behörden sich weigern, den Empfehlungen der EU nachzukommen, kann das Verfahren zur Aussetzung der Stimmrechte Polens im Rat führen.
Parlament sieht Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz gefährdet
Das Parlament äußert konkrete Bedenken hinsichtlich der Gewaltenteilung, der Unabhängigkeit der Justiz und der Grundrechte. In der Entschließung betonen die Abgeordneten, dass es "von grundlegender Bedeutung ist, die in Art. 2 EUV und in der polnischen Verfassung aufgeführten gemeinsamen europäischen Werte aufrechtzuerhalten und die Achtung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechte sicherzustellen."
Polen soll bis auf weiteres keine neuen Gesetze mehr unterzeichnen
Das Parlament fordert Polen nachdrücklich auf, keine neuen Gesetze zu unterzeichnen, solange mit ihnen die Unabhängigkeit der Justiz nicht uneingeschränkt garantiert wird sowie alle Empfehlungen der Kommission und der Venedig-Kommission uneingeschränkt umzusetzen. Außerdem soll Polen der Anordnung des EU-Gerichtshofs Folge leisten und den "umfangreichen Holzeinschlag im Urwald Białowieża unverzüglich einstellen" sowie das Recht auf Versammlungsfreiheit achten. Die Abgeordneten wollen außerdem, dass Polen die "fremdenfeindliche und faschistische Demonstration", die am 11.11.2017 in Warschau stattgefunden hat, "auf`s Schärfste" verurteilt und für die Rechte von Frauen und Mädchen eintritt, indem "unentgeltliche und für alle zugängliche Verhütungsmittel" ohne Unterschied bereitgestellt und Notfallverhütungsmittel verfügbar gemacht werden, die nicht verschreibungspflichtig sind.
Nächster Schritt: Erarbeitung eines begründeten Vorschlags
Nach der Geschäftsordnung des Parlaments (Art. 83 GO) muss der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten nun einen "begründeten Vorschlag" ausarbeiten, der nötig ist, um den Rat aufzufordern, als Reaktion auf die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der europäischen Werte durch die polnischen Behörden den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus in Gang zu setzen.
Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn läuft noch
Dies ist erst das zweite Mal, dass das Europäische Parlament förmliche Schritte unternimmt, um den Rat aufzufordern, das Verfahren nach Art. 7 EUV einzuleiten. Das erste Mal betraf Ungarn im Mai 2017. Das Verfahren läuft noch. Das Parlament hat seit Januar 2016 fünf Aussprachen geführt und drei Entschließungen (einschließlich der vorliegenden) zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Polen verabschiedet. Der Dialog zwischen der EU-Kommission und den polnischen Behörden findet im Rahmen des im Januar 2016 eingeleiteten Rechtsstaatsverfahrens statt. Die nächste Stellungnahme der Venedig-Kommission zu Polen wird im Dezember 2017 erwartet.
Ziel des Verfahrens: Achtung der Rechtsstaatlichkeit
Mit Art. 7 EUV soll sichergestellt werden, dass die gemeinsamen Werte der EU einschließlich der Rechtsstaatlichkeit von allen EU-Ländern geachtet werden. Der Präventivmechanismus gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV kann nur dann eingeleitet werden, wenn "die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht“, und der Sanktionsmechanismus gemäß Art. 7 Abs. 2 EUV nur bei „eine[r] schwerwiegende[n] und anhaltende[n] Verletzung". Der Präventivmechanismus ermöglicht es dem Rat, dem betroffenen EU-Land gegenüber eine Warnung auszusprechen, bevor eine solche schwerwiegende Verletzung tatsächlich eingetreten ist. Der Sanktionsmechanismus ermöglicht es dem Rat, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf das betroffene EU-Land herleiten, einschließlich der Stimmrechte dieses Landes im Rat. In diesem Fall muss die schwerwiegende Verletzung bereits einige Zeit angehalten haben.