Correctiv berichtete im Januar 2024 über das "Potsdamer Treffen", einem Kongress von rechten Politikern, Funktionären und Gästen aus dem rechten Milieu, der Ende 2023 im Landhotel Adlon abgehalten wurde. Nach einem nur teils erfolgreichen Eilverfahren vor dem LG Hamburg, bestätigt vom dortigen OLG, hat das LG Berlin II nun zwei Behauptungen über den Vortrag des Rechtsanwalts und Staatsrechtlers Ulrich Vosgerau (CDU), die die Hamburger Gerichte nicht beanstandet hatten, für unzulässig erklärt. Dass er jungen Wählerinnen türkischer Herkunft die Fähigkeit zur Meinungsbildung abgesprochen und diesen Satz auf Nachfrage noch bestätigt habe, stimme so nicht – der Bericht verstoße insoweit gegen sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Urteil vom 16.09.2025 – 27 O 135/25).
Im Nachgang an das Potsdamer Treffen wandte sich Correctiv mit einer Nachfrage an Vosgerau. Er habe einen Vortrag gehalten, in dem er die Briefwahl bei "Jungwählern mit türkischer Herkunft problematisiert(…)" habe. Bereits in seiner Antwort wehrte sich Vosgerau gegen diesen Vorwurf: Eine "Problematisierung" sei insoweit stark verzerrend. Er habe lediglich "wohl eher am Rande und in einem Nebensatz möglicherweise sinngemäß" darauf hingewiesen, "daß [sic] eine Jungwählerin türkischer Herkunft (…), die zu Hause in der Küche unter Aufsicht ihres Vaters und mehrerer Brüder ihren Wahlzettel ankreuzt, dabei möglicherweise und in bestimmten Einzelfällen faktisch nicht denjenigen Freiheitsgrad genießt, den die Verfassung (…) voraussetzt". Wohl in Verweis darauf, dass Correctiv in der Nachfrage von "Jungwählern" gesprochen hatte, fügte Vosgerau dabei hinzu: "(…) hier lohnt sich einmal das ′gendern′!".
Freie Gerichtswahl nach Eilverfahren
Im Artikel hieß es schließlich: "Der Verfassungsrechtler spricht über Briefwahlen, es geht um Prozesse, um das Wahlgeheimnis, um seine Bedenken in Bezug auf junge WählerInnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängig Meinung bilden könnten. Auf Correctiv-Fragen hin bestätigt er diesen Satz später."
Gegen den Bericht wandte sich Vosgerau zunächst im Eilverfahren an das LG Hamburg, das ihm in einem Punkt Recht gab, nicht jedoch im Bezug auf seine angeblichen Aussagen über türkische Jungwählerinnen. Die Beschwerde vor dem OLG Hamburg blieb sodann erfolglos. Da Rechtsverletzungen durch Presseberichte überall dort "begangen" sind, wo der Bericht verbreitet wird, hatte Vosgerau im Hauptsacheverfahren nach § 32 ZPO freie Wahl des Gerichtsstandes (sog. "fliegender Gerichtsstand"). Er entschied sich für das LG Berlin II, das die Passagen des Berichts nun untersagt hat.
Mehrdeutig, aber trotzdem unzulässig
Die 27. Zivilkammer des LG bestätigte einen Unterlassungsanspruch Vosgeraus gegen die Behauptungen. Eine Abwägung mit der Meinungs- und Pressefreiheit falle hier zugunsten seines Rechts auf Schutz seiner Persönlichkeit, genauer seinem Recht am eigenen Wort aus.
Bei Tatsachenbehauptungen – wie hier – falle der Wahrheitsgehalt der Aussage ins Gewicht. Das Gericht stellte wie üblich nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den Kontext der Wiedergabe ab. Lege die Wiedergabe einen bestimmten (ehrverletzenden) Schluss nahe, dürfe sie nicht unvollständig sein, so das LG. Eine unvollständige Berichterstattung sei dann so wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, an der grundsätzlich kein überwiegendes Interesse der Presse bestehen könne.
Die Aussage sei jedenfalls mehrdeutig, was einem Unterlassungsanspruch aber nicht unbedingt entgegenstehe. Solange eine von mehreren denkbaren Deutungsvarianten das Persönlichkeitsrecht verletze, könne sie bereits das Recht am eigenen Wort verletzen und unzulässig sein. Vom "Äußernden" könne insoweit verlangt werden, sich "künftig klar und deutlich auszudrücken“. Die Passage könne so verstanden werden, Vosgerau habe gesagt, Wählerinnen türkischer Herkunft könnten sich grundsätzlich keine unabhängige (politische) Meinung bilden. Dabei sei das unstreitig nicht gesagt worden. Dass die Passage lediglich eine Zusammenfassung längerer Ausführungen gewesen sei, half hier nach Auffassung des LG Berlin II nicht. Eine Zusammenfassung und Bewertung sei hier schon deshalb nicht zu erkennen, da Correctiv im Text keinen Interpretationsvorbehalt eingefügt habe.
Die Passage ist inzwischen detaillierter formuliert worden (Stand: 25.09.2025).
Was nicht gefragt wurde, kann nicht bestätigt werden
Die Klage wandte sich außerdem erfolgreich gegen die Behauptung, Vosgerau habe den Satz über türkische Jungwählerinnen im Nachgang bestätigt. Das könne schon deshalb nicht sein, da ihm der Satz in seiner Endfassung gar nicht vorgehalten oder zur Stellungnahme vorgelegt worden war, so das Gericht. "Einen Satz, den der Kläger nicht kennt, kann er nicht bestätigen", hieß es weiter in der Urteilsbegründung.
Die Kammer sprach im Weiteren von gegenteiligem "Framing" seitens Correctiv, das in persönlichkeitsverletzender Weise gegen die journalistische Sorgfalt verstoßen habe. Die Kommunikation mit Vosgerau sei nicht nur unzutreffend wiedergegeben, sondern verstoße gleichzeitig gegen das äußerungsrechtliche Gebot der Zitattreue. Selbst wenn man den Text so verstünde, dass Vosgerau den Satz "lediglich sinngemäß" bestätigt habe, rechtfertige dies kein anderes Ergebnis.
Correctiv korrigierte die Passage zu folgender: „Auf CORRECTIV-Fragen hin bestätigt er, über diese Zusammenhänge gesprochen zu haben“ (Stand: 25.09.2025).


