Der EuGH hat geurteilt und das deutsche Verbot der Kapitalbeteiligung an Kanzleien nicht beanstandet. Schlusspunkt der Debatte? Nicht unbedingt für den Legal Tech Verband Deutschland, einen Zusammenschluss von rund 200 Unternehmen, der sich für Digitalisierung und Innovationen im Rechtsmarkt einsetzt und am Donnerstag ein Gutachten präsentiert hat, nach dem das Fremdbesitzverbot unionsrechtswidrig ist. Dem Verband ist es gelungen, eine bunte Mischung aus Legal-Tech-Anbietern, Versicherern, Verbänden und Kammervertreterinnen und -vertretern anzulocken, um das Papier zu diskutieren.
Gutachter Jörn Axel Kämmerer, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School in Hamburg, hat das Verbot am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit geprüft, konkretisiert durch Art. 15 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie. Es ist derselbe Prüfungsmaßstab, den auch der EuGH in seinem Urteil vom Dezember zugrunde gelegt hat. Der Unterschied: Die Luxemburger Richterinnen und Richter prüften die alte Rechtslage – vor der großen BRAO-Reform 2022 –, Kämmerer hält sich an die aktuelle.
Teilzeit-Paparazzi dürfen sich an Kanzleien beteiligen
Das Gutachten entstand in einer Zeit, als das Urteil noch nicht in der Welt war – wohl aber die Schlussanträge des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona. Der hatte das Fremdbesitzverbot noch für inkohärent, also in sich widersprüchlich, und damit unionsrechtswidrig gehalten. Um ihr Ziel, den Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit und Rechtspflege, zu erreichen, sei die Regelung nicht geeignet.
Das ist auch die Linie des Gutachtens, wenn auch im Detail mit abweichender Begründung. Gutachter Kämmerer formuliert es so: "Gibt man Wasser in eine Wanne und zieht gleichzeitig den Stöpsel, konterkariert die Maßnahme sich selbst." Eine Regelung, die nicht kohärent sei, könne auch nicht geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung sein.
Tatsächlich gelingt es Kämmerer und den Panelisten des Legal Tech Verbands, einige Fälle zu konstruieren, die die Schwächen der aktuellen Regelung plastisch werden lassen. So zeichnet Rechtsanwalt und Beiratsmitglied des Legal Tech Verbands Volker Römermann in den Köpfen der Zuhörenden etwa das Bild eines Teilzeit-Paparazzo, der als Freiberufler völlig unproblematisch Gesellschafter einer Anwaltskanzlei sein könne, solange er einmal die Woche für zwei Stunden die Kamera beiseitelege und sich in der Kanzlei blicken lasse. Gewerbliche Berufe, die zum Teil viel stärker reguliert seien, blieben dagegen an der Teilhabe gehindert. Auch könne man sich nach aktueller Rechtslage mit bis zu 100% an Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzleien beteiligen. Ob hier die Einhaltung der Berufsregeln nicht in Gefahr sei, fragt Römermann etwas ironisch. Gleiches gelte für Inkasso-Dienstleister, die nach dem RDG ebenfalls Rechtsdienstleistungen erbringen.
Im Kontrast dazu steht jedoch das Urteil des EuGH – und dem Gutachter ist anzumerken, dass er enttäuscht ist. Nicht, weil die Große Kammer nicht in seinem Sinne entschieden hat, sondern weil die Kohärenz-Erwägungen im Urteil gar nicht vorkommen. Die Begründung sei denkbar knapp, ja undifferenziert. Wichtige Argumente habe der EuGH schlicht außer Acht gelassen, moniert Kämmerer. "Der EuGH widerspricht sich nicht selbst und das ist schon das Beste, was man über dieses Urteil sagen kann."
BRAK duldet Umgehungsmodelle
Von den Anwaltsorganisationen haben die Streiter für Fremdkapitalbeteiligung keine Unterstützung zu erwarten, erst recht keine rechtspolitische Initiative. Bei den Kammern hat man aufgeatmet, als das Urteil kam. Christian Lemke, Präsident der Rechtsanwaltskammer (RAK) Hamburg und Vize der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), zeigte sich bei der Paneldiskussion erfreut über die Entscheidung und nimmt für sich den Rückhalt in der Anwaltschaft in Anspruch. Eine Studie des Bundesjustizministeriums habe 2023 ergeben, dass eine Mehrheit der Anwältinnen und Anwälte das Verbot befürworte: "Die Anwaltschaft will das nicht", macht es Lemke kurz. Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte das Urteil nach der Verkündung gelobt.
Dabei zeigt die Praxis, dass die aktuellen Beschränkungen bereits zu kreativen Lösungen führen, um Kanzleien dennoch Kapital zuzuführen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kanzleien – etwa mit Lizenzmodellen – faktisch und wirtschaftlich denselben Effekt erzielen, den auch Fremdkaptalbeteiligung hätte. Bei der Diskussion sprechen sie freimütig darüber. Die BRAK weiß um diese Modelle, scheint sie aber weitgehend zu dulden. In Zukunft, so der Tenor der Diskussion, würden solche Umgehungen aufblühen, denn Digitalisierung und Kapitalbedarf gingen Hand in Hand. Von so profanen Dingen wie berufsrechtlichen Verboten lasse sich die Praxis nicht von Innovationen abhalten.
Kämmerer: "Das BVerfG könnte die Sache deutlich anders sehen"
Für Gutachter Kämmerer besteht deshalb weiter Handlungsbedarf, schon, weil die Rechtslage sich 2022 geändert habe. Mit einer Reform der BRAO hatte der Gesetzgeber damals die Beteiligungsmöglichkeiten für Freiberufler ausgeweitet. Das habe der EuGH vernachlässigt – und fairerweise auch vernachlässigen müssen, denn das Gericht könne nur Fragen beantworten, die ihm auch gestellt würden.
"Das Bundesverfassungsgericht könnte die Sache deutlich anders sehen als der EuGH", sagt Kämmerer und deutet damit einen Weg an, den viele für den einzig gangbaren halten, um das Fremdbesitzverbot doch noch zu kippen. In seinem Gutachten macht er zwar auch Vorschläge, wie eine moderate Öffnung des Verbots gestaltet sein könnte, dass der Gesetzgeber nach dem EuGH-Urteil von sich aus tätig wird, scheint jedoch unrealistisch – Inkohärenz hin oder her. Es bräuchte den höchstrichterlichen Anstoß.
Kippen die Rechtsschutzversicherer das Fremdbesitzverbot?
Doch wie gelangt das Fremdbesitzverbot nach Karlsruhe? Es bräuchte einen Fall, ganz ähnlich dem, den Daniel Halmer, Rechtsanwalt und Gründer der Verbraucherrechtsplattform Conny, vor den EuGH gebracht hatte und mit dem er dort gescheitert ist. Unter den potenziellen Interessenten sticht eine Gruppe heraus: die Rechtsschutzversicherer. Obwohl, wie Thomas Kohlmeier von Nivalion erklärt, die Investitionen in Anwaltskanzleien risikoreich und deshalb für die meisten Player am Kapitalmarkt uninteressant seien, sehe die Sache für Rechtsschutzversicherungen anders aus. Sie brächten selbst Mandate – und damit Gewinn – in die Kanzlei und minderten so das Risiko für ihre Investition.
Rechtsschutzversicherer wollen also in Kanzleien investieren, jedenfalls in bestimmte Kanzleien mit den richtigen Strukturen und skalierbaren Leistungen. Vielleicht so sehr, dass sie ein Urteil aus Karlsruhe provozieren würden? Das bleibt vorerst Spekulation. Bei der Vorstellung des Gutachtens am Donnerstag waren jedenfalls zahlreiche im Publikum vertreten.