Anwaltskanzleien: Fremdbesitzverbot ist unionsrechtskonform
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Das Verbot der Beteiligung von Finanzinvestoren an Kanzleien hält vor dem EuGH stand. Der Eingriff in die Niederlassungsfreiheit sei durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, so der Gerichtshof. Er sähe ansonsten die anwaltliche Unabhängigkeit in Gefahr.

Ein Mitgliedstaat darf die Beteiligung reiner Finanzinvestoren am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft verbieten. Das hat der EuGH am heutigen Donnerstag in einem von der Rechtsbranche mit Spannung erwarteten Urteil verkündet (Urteil vom 19.12.2024 - C-295/23). Eine solche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs sei durch das Ziel gerechtfertigt, zu gewährleisten, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung ihrer Berufs- und Standespflichten ausüben könnten, so das Gericht.

"Der EuGH gelangt zu einem – in dieser Klarheit doch überraschenden – Ergebnis: Das deutsche Fremdbesitzverbot ist unionrechtskonform", sagt der akademische Oberrat am Institut für Anwaltsrecht der Universität zu Köln, Dr. Christian Deckenbrock. Der EuGH habe in seiner Entscheidung wiederholt die Bedeutung der anwaltlichen Unabhängigkeit betont und dabei dem nationalen Gesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt.

"Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich nachteilig auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken, weil er geneigt sein könnte, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken", erläutert Deckenbrock die Argumentation des EuGH.

Die wirtschaftlichen Interessen eines Investors seien nach dem EuGH unvereinbar mit der anwaltlichen Tätigkeit. "Allein die mögliche Androhung des Investors, andernfalls seine Investition zurückziehen, stelle eine nicht hinnehmbare mittelbare Einflussmöglichkeit dar."

In dem Fall, der in der Rechtsbranche für erhebliches Aufsehen gesorgt hatte, hatte 2021 der Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer 51 % der Anteile an seiner Rechtsanwaltsgesellschaft – einer UG – an eine österreichische Beteiligungsgesellschaft abgetreten. Durch eine Satzungsänderung sollte sichergestellt sein, dass der Mehrheitseigener keinen Einfluss auf die anwaltliche Tätigkeit nehmen könne. Da die BRAO in ihrer damals geltenden Fassung in § 59e (wie auch in der aktuell geltenden Fassung) eine solche Fremdbeteiligung verbot, hatte die RAK München Halmers Berufsausübungsgesellschaft daraufhin die Zulassung entzogen. Dagegen wehrte sich die UG vor dem Bayerischen AGH und erreichte, was mutmaßlich bereits von Beginn an Ziel der der strategischen Klage gewesen war: eine Vorlage an den EuGH, der das Fremdbesitzverbot an unionsrechtlichen Maßstäben prüft.

"Der EuGH schweigt sich zu den spannenden Problemen aus"

Mit ihrem Urteil folgt die große Kammer beim EuGH nicht der Ansicht des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona. In seinen Schlussanträgen vom 4. Juli 2024 hatte Campos Sánchez-Bordona Beschränkungen beim Fremdbesitz zum Schutz von Allgemeingütern zwar für möglich gehalten. Er hatte jedoch bemängelt, dass die Regelungen in der BRAO inkohärent und damit ungeeignet seien, dieses Ziel zu erreichen. Als Maßstab hatte er dafür Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 (Dienstleistungsrichtlinie) angelegt. Dieser legt fest, welche Anforderungen Mitgliedstaaten an Dienstleistungserbringer stellen dürfen und verlangt unter anderem, dass diese Anforderungen verhältnismäßig sein müssen. Der EuGH ist in seiner Entscheidung auf die Frage der Inkohärenz derweil nicht eingegangen.

"Erstaunlich und in gewisser Form auch enttäuschend ist, dass der EuGH auf die vom Anwaltsgerichtshof und vom Generalanwalt aufgeworfene Frage, ob das deutsche Berufsrecht dem Kohärenzgebot genügt, gar nicht eingeht", so Wissenschaftler Deckenbrock. "Der Gerichtshof schweigt sich zu den eigentlich spannenden Problemen aus, vielleicht mit Blick auf den von ihm wiederholt betonten Beurteilungsspielraum des nationalen Gesetzgebers."

Für Deckenbrock ist die Begründung des EuGH nicht befriedigend. "Auch ich halte die anwaltliche Unabhängigkeit für ein sehr hohes Gut, hätte mir aber schon gewünscht, dass der EuGH diesen Begriff stärker konturiert und auch im Lichte der Einschränkungen, die der Gesetzgeber ohnehin schon hinnimmt, auslegt."

EuGH geht nicht auf aktuelle deutsche Rechtslage ein

Das Urteil des EuGH befasst sich nicht mit den aktuell geltenden Vorschriften der BRAO, sondern mit der Rechtlage, wie sie vor der großen BRAO-Reform, also bis 31. Juli 2022 galt. Danach konnten Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Anwältinnen und Anwälte sowie wenige andere Berufsträger – etwa Steuerberaterinnen und Wirtschaftsprüfer – sein und das auch nur, wenn sie tatsächlich in der Kanzlei beruflich tätig waren und obendrein die Mehrheit der Geschäftsanteile Anwältinnen und Anwälten zustand (§ 59e BRAO a.F.).

Mit der BRAO-Reform 2022 hat der Gesetzgeber diese Regelung zwar etwas gelockert und den Kreis der sozietätsfähigen Berufe auf alle freien Berufe nach § 1 Abs. 2 PartGG ausgeweitet (§59c Abs. 1 Nr. 4 BRAO). An dem Fremdbesitzverbot hat sich aber grundsätzlich nichts geändert. Insbesondere reine Finanzinvestoren und Versicherer – für die dieses Modell besonders interessant wäre – dürfen sich auch nach der aktuellen Rechtslage nicht an Kanzleien beteiligen.

Auf die neue Rechtslage ist der EuGH derweil in seinem Urteil gar nicht eingegangen. Deckenbrock: "Der Umstand, dass heute interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften mit allen freien Berufen bei einem nur schwach ausgestalteten Gebot der Mitarbeit zulässig sind, scheint für den EuGH keine Rolle zu spielen."

"Großer Sieg für die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft"

Der Prozessvertreter der beklagten Rechtsanwaltskammer München, Prof. Dr. Christian Wolf, zeigte sich nach der Urteilsverkündung erfreut. "Die Rechtsanwaltskammer München hat einen großen Sieg für die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft und den Rechtsstaat erzielt", sagte er gegenüber beck-aktuell. "Die Entscheidung des EuGH ist glasklar und fügt sich in eine lange Reihe von Entscheidungen ein, in welchen er die besondere Bedeutung der Rechtsanwälte für den Rechtsstaat betont."

Über das Fremdbesitzverbot wird in der Rechtsbranche seit Jahren gestritten. Die einen argumentieren, Kanzleien bräuchten Kapital für Investitionen etwa im Legal-Tech-Bereich, um kostendeckend auch Fälle mit kleinem Streitwert bearbeiten und so den Zugang zum Recht sichern zu können. Die anderen sehen dagegen die anwaltlichen core values in Gefahr: Wer den Interessen von Finanzinvestoren unterworfen sei, könne nicht unabhängig anwaltlich tätig sein, so die Argumentation.

Wolf sieht die Verfechter des Fremdbesitzverbots nun bestätigt: "Deutlicher hätte der EuGH den vor allem in Deutschland vorangetriebenen Bestrebungen, Fremdkapital zuzulassen, nicht eine Absage erteilen können."

Inzwischen hat sich auch der DAV zu der Entscheidung geäußert. In einem Statement der Präsidentin Dr. h.c. Edith Kindermann heißt es: "Die Unabhängigkeit ist ein entscheidender Kernwert der Anwaltschaft. Und diese ist – nun auch mit ausdrücklichem ‚Segen‘ des EuGH hinsichtlich des Beteiligungsverbots reiner Finanzinvestoren – nicht verhandelbar".

Schlusspunkt der Debatte?

Hätte der EuGH das Fremdbesitzverbot gekippt, wäre das ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber gewesen, auch bei der aktuellen Rechtslage nachzubessern. Das hält Deckenbrock nun für unwahrscheinlich. Zwar stünde das EuGH-Urteil einem Tätigwerden des Gesetzgebers nicht entgegen. "Es spricht meines Erachtens aber viel dafür, dass diese Überlegungen nun vorerst vom Tisch sind und das EuGH-Urteil von vielen nicht nur als Bekenntnis zur Rechtmäßigkeit, sondern auch zur Notwendigkeit des Fremdbesitzverbots verstanden wird." Er selbst heißt das gut: "Die Anwaltschaft sollte ihre Berufspflichten nicht immer nur als Fessel, sondern auch als Vorzug begreifen, der sie am Markt von anderen Dienstleistern abhebt."

Dennoch sollte das Urteil nach Ansicht des Berufsrechtlers nicht der Schlusspunkt der Debatte sein: "Meines Erachtens sollte man aber auch oder erst recht nach dem EuGH-Urteil sorgsam die Diskussion weiterführen, ob wirklich jeder Zipfel des Berufsrechts mit Blick auf die rasanten Entwicklungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt noch zeitgemäß ist. Das Thema bewegt ja auch andere freie Berufe wie Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und sollte daher nicht nur aus der Perspektive der Anwaltschaft diskutiert werden. Richtig ist aber auch, dass nach dem EuGH-Urteil der Druck auf den Gesetzgeber verschwunden ist, so dass mir persönlich der Glaube an kurzfristige Reformen fehlt."

Anmerkung der Redaktion: Artikel umfangreich ergänzt am Tag der Veröffentlichung [dd, 13:40, 16:30].

EuGH, Urteil vom 19.12.2024 - C‑295/23

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 19. Dezember 2024.