Gescheitertes Compact-Verbot: "Habe mich gefragt, warum man gleich die Bazooka rausholt"
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Das BVerwG hat das Verbot des rechten Magazins Compact gekippt, weil es auch genügend nicht extreme Inhalte liefert. Marc Liesching erklärt im Gespräch, was ihn an der Entscheidung nicht überzeugt und warum sich AfD und Co. trotzdem nicht zu früh freuen sollten.

beck-aktuell: Nachdem es das Verbot bereits im Eilverfahren im August des vergangenen Jahres einstweilen gestoppt hatte, hat nun das BVerwG dem Compact-Magazin im Rechtsstreit mit dem Bundesinnenministerium auch in der Hauptsache Recht gegeben. Herr Professor Liesching, ist die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit dem Verbot ein zu großes Risiko eingegangen?

Marc Liesching: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber es war schwer, das zu antizipieren, zumal es auch noch nicht viel einschlägige Judikatur gab zu einem Vereinsverbot, das sich in erster Linie gegen eine Medienorganisation richtet.

beck-aktuell: Worauf stützt das Gericht denn nun seine Entscheidung?

Liesching: Soweit wir jetzt die Urteilsgründe kennen, folgt das Gericht im Wesentlichen der vorherigen Eilentscheidung und sagt im Ergebnis: Hinsichtlich der Inhalte des Magazins reicht es einfach nicht aus. Es gebe zwar einzelne Inhalte, die möglicherweise die Menschenwürde verletzten, doch diese seien nicht prägend für das Gesamtangebot, was nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit notwendig wäre für ein Verbot nach dem Vereinsgesetz, das in seinen Wirkungen ja sehr weitreichend ist.

"Menschenwürdeverletzung, aber nicht rechtswidrig – das passt nicht zusammen"

beck-aktuell: Gleichzeitig führt das BVerwG breit aus, dass die Inhalte für ein solches Verbot nicht zwingend strafbar sein müssten. In der Pressemitteilung heißt es: "Auch wenn die die Grundüberzeugung der Vereinigung zum Ausdruck bringenden Äußerungen als solche weder strafbar noch rechtswidrig sind, können sie als Indizien für ein Vereinsverbot herangezogen werden." Ist das nicht ein ziemlich weiter Spielraum für das Bundesinnenministerium?

Liesching: Ja, aber das folgt im Grunde aus § 3 VereinsG, der differenziert: Entweder die Inhalte verstoßen gegen das Strafgesetz oder sie richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Und letzteres impliziert nicht unbedingt, dass man dafür eine konkrete Rechtsverletzung bräuchte.

Trotzdem finde ich diesen Satz spannend. Denn so, wie das Gericht argumentiert, dass Teile der Inhalte gegen die Menschenwürde verstoßen, wäre das ein Verstoß gegen die Verbotstatbestände im Medienrecht. Dieses verbietet Verstöße gegen die Menschenwürde in § 4 Abs.1 S. 1 Nr. 8 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags. Die Aussagen, Inhalte verletzten die Menschenwürde, sie seien aber noch nicht rechtswidrig, passen für mich daher nicht zusammen, soweit diese Inhalte als Telemedien online verfügbar sind.

beck-aktuell: Das BVerwG konzentriert sich stark auf das Remigrationskonzept des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner, dem Compact breiten Raum gegeben habe. Ist es nicht verwunderlich, dass das Gericht hierauf so ausführlich eingeht, wenn es am Ende doch anders abbiegt und das Verbot für unzulässig erachtet?

Liesching: Das war möglicherweise eine Art obiter dictum, weil es am Ende nicht entscheidungserheblich war. Wahrscheinlich wollte man aufgrund der politischen Brisanz des Falls eine gewisse Ausgewogenheit und Verständnis für das Vorgehen des Innenministeriums signalisieren.

Dass man das gerade über diesen Remigrationsbegriff und die Politik von Sellner begründet, scheint mir etwas zweifelhaft. Die Bundesregierung hat etwa über Monate den nicht weniger drastischen Begriff der "Abschiebungsoffensive" benutzt. Nun kann man sich über die Semantik streiten, aber hieran eine tragfähige Begründung für eine Menschenwürdeverletzung zu koppeln, dürfte jedenfalls schwierig werden. Denn diese erfordert nach der bisherigen Definition eine Degradierung des Menschen zum Objekt. Das BVerwG behilft sich hier mit einem gewissen Workaround, indem es die Ungleichbehandlung und Diskriminierung zum Merkmal der Menschenwürdeverletzung macht. Daran habe ich Zweifel.

"Die Instrumentarien sind da, sie wurden nur bisher nicht ausgeschöpft"

beck-aktuell: Was Compact offenbar gerettet hat, waren die nicht extremen Inhalte, die das Magazin publiziert. Es ist offenbar auch gefüllt mit anderen Inhalten journalistischer Natur. Das wirft die Frage auf: Ist das nun die Rezeptur für extremistische Medien, um nicht verboten zu werden?

Liesching: Ja, so könnte man das sehen. Es gibt damit in gewisser Weise ein Skript, wie man Rechtsverletzungen umgeht. Aber das ist nichts Neues, Umgehungsmöglichkeiten gibt es z. B. auch beim strafrechtlichen Verbot verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Und hier sagt der Senat auch zutreffend: Das muss man aushalten in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auch die Feinde der Freiheit, wie das BVerfG es einmal gesagt hat, haben die Freiheit, sich zu äußern. Und das ist die Stärke unserer freiheitlichen Verfassung.

beck-aktuell: Nun ist großer Jubel ausgebrochen bei Herrn Sellner, aber auch bei der AfD. Gibt es jenseits des Vereinsgesetzes noch eine andere Handhabe gegen Compact?

Liesching: Ich habe mich schon während dieses Verfahrens gefragt, warum man mit einem vereinsgesetzlichen Verbot gleich die Bazooka herausholt, wo ja gerade die Möglichkeit besteht, nach dem Medienrecht gegen Einzelinhalte vorzugehen, und zwar auf verschiedenen Wegen.

Eine Möglichkeit wäre, dass die zuständigen Landesmedienanstalten ein Aufsichtsverfahren eröffnen wegen Einzelinhalten auf der Compact-Seite. Wenn das BVerwG davon ausgeht, dass sie gegen die Menschenwürde verstoßen, wäre das ein Unzulässigkeitstatbestand, um ein Beanstandungs- und Untersagungsverfahren durchzuführen. Der zweite Weg wäre ein Indizierungsverfahren, also eine Listenaufnahme wegen Jugendgefährdung, was die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz macht. Und da gibt es gerade bei Verletzungen der verfassungsmäßigen Ordnung weitreichende Tatbestände, die eine Listenaufnahme ermöglichen. In der Rechtsfolge würde das zu einer recht starken Verbreitungsbeschränkung führen. Daneben gibt es natürlich noch die Strafverfolgung, sofern bei Inhalten etwa der Verdacht der Volksverhetzung oder der Legitimation der NS-Herrschaft besteht.

Die Einzelfallinstrumentarien sind also da. Sie sind nur aus meiner Sicht bisher nicht ausgeschöpft worden.

"Wirkung des Verbots vielleicht sogar stärker als behördliche Vorzensur"

beck-aktuell: Viele Kritikerinnen und Kritiker haben moniert, das Verbot von Compact verstoße gegen das grundgesetzliche Zensurverbot. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Liesching: Mit dieser Kritik hat sich das BVerwG mit nur einem Satz sehr apodiktisch befasst. Eine behördliche Vorzensur, wie sie manche hier sahen, versteht man in der Tat erst einmal als eine Kontrolle vorab: Man muss als Medienanbieter seine Inhalte vor einer staatlichen Behörde vorlegen und diese gibt sie dann frei oder zensiert sie. Im engeren Sinne haben wir das hier also nicht. Aber die zensorischen Wirkungen, die sich bei einem Vereinsverbot entfalten, sind schon vergleichbar. Man könnte sagen, sie sind vielleicht sogar etwas stärker, weil beim Verbot einer Medienorganisation von vornherein klar ist, dass sie in Zukunft überhaupt nichts mehr publizieren darf.

Vor dem Hintergrund könnte man schon diskutieren, ob das eine zensurgleiche Wirkung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG ist. Daher finde ich, würde es der Urteilsbegründung gut zu Gesicht stehen, wenn man das etwas tiefer behandeln würde.

beck-aktuell: Können wir also davon ausgehen, dass wenn das Verbot gehalten worden wäre, die Sache noch beim BVerfG gelandet wäre?

Liesching: Es hätte eine große Chance dafür bestanden, ja.

beck-aktuell: Herr Professor Liesching, vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Marc Liesching lehrt an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig Medienrecht und Medientheorie.

Die Fragen stellte Dr. Hendrik Wieduwilt.

Das Gespräch in voller Länge hören Sie in der kommenden Folge 59 von Gerechtigkeit & Loseblatt – Die Woche im Recht, dem Podcast von NJW und beck-aktuell.

Redaktion beck-aktuell, Dr. Hendrik Wieduwilt, 25. Juni 2025.

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