Ur­teil gegen Lina E. nach An­grif­fen auf Neo­na­zis im März

Lina E. ist nicht dabei, aber zwei­ein­halb Stun­den geht es am BGH nur um sie. Das höchs­te deut­sche Straf­ge­richt prüft, ob das OLG Dres­den An­grif­fe auf Rechts­ex­tre­me kor­rekt be­wer­tet hat. Das Ur­teil soll am 19. März fal­len.

Es geht um bru­ta­le An­grif­fe vor­wie­gend auf Rechts­ex­tre­me, kri­mi­nel­le Struk­tu­ren mit Aus­spä­hun­gen po­ten­zi­el­ler Opfer und Kampf­trai­nings sowie die Rolle von Lina E.: Unter stren­gen Si­cher­heits­vor­keh­run­gen hat der BGH in Karls­ru­he über die Ver­ur­tei­lung der Links­ex­tre­mis­tin ver­han­delt. Es könn­te sein, dass sich das OLG Dres­den noch ein­mal zu­min­dest mit Tei­len des Falls be­fas­sen muss.

Es hatte E. 2023 nach meh­re­ren teils le­bens­ge­fähr­li­chen An­grif­fen auf tat­säch­li­che und ver­meint­li­che An­hän­ger der rech­ten Szene in Sach­sen und Thü­rin­gen unter an­de­rem wegen der Mit­glied­schaft in einer kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gung und ge­fähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung schul­dig ge­spro­chen. Das Ur­teil lau­te­te: Frei­heits­stra­fe von fünf Jah­ren und drei Mo­na­ten.

So­wohl die Bun­des­an­walt­schaft als auch die Ver­tei­di­gung der heute 29-Jäh­ri­gen, die nicht nach Karls­ru­he kam, leg­ten Re­vi­si­on ein. Am BGH be­an­trag­ten beide Sei­ten, un­ter­schied­li­che Teile des mehr als 400 Sei­ten lan­gen Ur­teils auf­zu­he­ben und zur neuen Ent­schei­dung zu­rück­zu­ver­wei­sen.

War Lina E. eine Rä­dels­füh­re­rin?

Ein Ar­gu­ment dabei ist, dass der BGH im ver­gan­ge­nen Jahr - also nach dem Dres­de­ner Ur­teil - seine Recht­spre­chung zur Mit­glied­schaft in kri­mi­nel­len Ver­ei­ni­gun­gen ge­än­dert hat. Es geht dabei darum, wie wei­te­re Taten wie Kör­per­ver­let­zun­gen oder Sach­be­schä­di­gun­gen recht­lich zu be­wer­ten sind. Diese neue Sicht­wei­se spra­chen so­wohl die Ver­tei­di­gung und die Bun­des­an­walt­schaft als auch der Vor­sit­zen­de Rich­ter Jür­gen Schä­fer an.

Am höchs­ten deut­schen Straf­ge­richt ging es zudem um die Frage, ob Lina E. als Rä­dels­füh­re­rin agier­te. Das OLG hatte ihr zwar eine her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung in der Grup­pe at­tes­tiert, eine Rä­dels­füh­rer­schaft aber ver­neint. Da­ge­gen wehr­te sich die Bun­des­an­walt­schaft in ihrer Re­vi­si­ons­be­grün­dung. Am BGH wech­sel­te die Be­hör­de aber den Kurs. Eine reine Be­tei­li­gung von E. an "Sze­na­rio­trai­nings" und An­grif­fen rei­che für die Ein­stu­fung nicht aus, so Bun­des­an­walt Mat­thi­as Krauß. "Sie muss an der Füh­rung mit­wir­ken, sie muss sagen, wo es lang geht, und das schei­nen hier die Ur­teils­fest­stel­lun­gen nicht her­zu­ge­ben."

Er sprach schon in der Ein­füh­rung von einem sehr kom­ple­xen, kom­pli­zier­ten Sach­ver­halt. Es gehe um ein grö­ße­res Per­so­nen­ge­flecht und ver­schie­de­ne Taten. Das OLG habe schau­en müs­sen, wer an wel­cher Ak­ti­on be­tei­ligt war.

"Das Ober­lan­des­ge­richt hat hier eine sehr sorg­fäl­ti­ge Be­weis­wür­di­gung ge­macht, hat alle In­di­zi­en be- und ent­las­tend ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen und ist mei­nes Er­ach­tens in allen Fäl­len bis auf einen Aus­nah­me­fall zu zu­tref­fen­den Er­geb­nis­sen ge­kom­men", sagte Krauß nach rund zwei­ein­halb Stun­den Ver­hand­lung. Bei der Aus­nah­me geht es um einen Teil­frei­spruch für eine Tat.

Ur­teil soll im März fal­len

Rich­ter Schä­fer sagte zum Ab­schluss der Sit­zung, die Ver­hand­lung habe si­cher dem einen oder an­de­ren im De­tail an man­cher Stel­le zu den­ken ge­ge­ben. Sein Ur­teil will der drit­te Straf­se­nat am BGH am 19. März spre­chen.

Vor dem Ge­richts­ge­bäu­de ver­sam­mel­ten sich ei­ni­ge Dut­zend Sym­pa­thi­san­ten von E. Unter an­de­rem hatte die Karls­ru­her Orts­grup­pe der "Roten Hilfe" zu einer Kund­ge­bung auf­ge­ru­fen, "um den Pro­zess durch so­li­da­ri­sche Prä­senz zu be­glei­ten". Auf Pla­ka­ten war der Schrift­zug "Free Lina" zu sehen. Die Teil­neh­mer for­der­ten laut ru­fend "Frei­heit für alle po­li­ti­schen Ge­fan­ge­nen".

Zahl­rei­che Po­li­zis­ten waren im Ein­satz, die Zu­fahr­ten zum BGH ab­sperr­ten. Die­ser hatte für die Ver­hand­lung die An­mel­de- und Zu­gangs­re­ge­lun­gen für Pres­se­ver­tre­ter und Zu­schau­er ver­schärft. Bis alle im Saal waren, dau­er­te es ent­spre­chend. Das Ver­fah­ren star­te­te mit einer hal­ben Stun­de Ver­spä­tung.

E. ist der­zeit auf frei­em Fuß. Der Haft­be­fehl gegen sie wurde mit dem Dres­de­ner Ur­teil nach zwei­ein­halb Jah­ren in Un­ter­su­chungs­haft unter Auf­la­gen außer Voll­zug ge­setzt. Die Rest­stra­fe muss sie erst ver­bü­ßen, wenn das Ur­teil rechts­kräf­tig wer­den soll­te. In der Regel kli­cken dann nicht so­fort die Hand­schel­len, son­dern es folgt eine La­dung zum Haft­an­tritt.

Wei­te­re mut­ma­ß­li­che Kom­pli­zen in Un­ter­su­chungs­haft

Die Grup­pe um E. hat zu­letzt häu­fi­ger Schlag­zei­len ge­macht. Im No­vem­ber ließ die Bun­des­an­walt­schaft einen lange un­ter­ge­tauch­ten mut­ma­ß­li­chen Kom­pli­zen fest­neh­men: Jo­hann G. Auch er soll laut der Be­hör­de in­ner­halb der Grup­pe eine her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung ein­ge­nom­men und unter an­de­rem im Fe­bru­ar 2023 mit an­de­ren in der un­ga­ri­schen Haupt­stadt Bu­da­pest Men­schen an­ge­grif­fen haben, die aus ihrer Sicht zum rech­ten Spek­trum zähl­ten.

Im Zu­sam­men­hang mit dem Über­fall stell­ten sich sie­ben un­ter­ge­tauch­te Per­so­nen im Ja­nu­ar den Be­hör­den. Ihre Ver­tei­di­ger wol­len eine Aus­lie­fe­rung nach Un­garn ver­hin­dern und for­dern Straf­ver­fah­ren in Deutsch­land. Denn: Ihren Man­dan­ten drohe in Un­garn eine Ver­ur­tei­lung zu einer "über­lan­gen Haft­stra­fe" von bis zu 24 Jah­ren, das dor­ti­ge Ver­fah­ren ge­nü­ge rechts­staat­li­chen Grund­sät­zen nicht, die Haft­be­din­gun­gen seien men­schen­un­wür­dig.

Auf­se­hen er­reg­te im Som­mer ein wei­te­rer Fall in dem Kom­plex. Eine Per­son, die sich als non-binär iden­ti­fi­ziert und als "Maja" be­kannt ist, wurde Ende 2023 in Ber­lin ver­haf­tet und im Juni nach Un­garn aus­ge­lie­fert. Das BVerfG un­ter­sag­te dies zwar im Eil­ver­fah­ren - doch da war "Maja" schon kurz zuvor den un­ga­ri­schen Be­hör­den über­ge­ben wor­den. Heute er­klär­te das Ge­richt auch in der Haupt­sa­che: Die Aus­lie­fe­rung war un­zu­läs­sig.

Redaktion beck-aktuell, zav, 6. Februar 2025 (dpa).

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