"Eine gut aufgestellte, funktionierende und unmittelbar reagierende Strafverfolgung ist kein Luxus, sondern gehört zum Kernbereich staatlichen Handelns", heißt es in einer Pressemitteilung der Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins, Ariane Abayan und Sebastian Koltze. Darin macht der Verein auf die steigende Zahl unerledigter Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aufmerksam – ein "nicht mehr zu überhörendes Warnsignal an die Politik".
Denn laut dem Verein bleiben in Hamburg immer mehr Akten liegen: Waren es 2023 noch knapp 40.000 offene Verfahren, so sind inzwischen 56.957 Ermittlungsverfahren unerledigt. Die Gründe seien struktureller Art, so der Richterverein. Stellen blieben zu lange unbesetzt, die unterdurchschnittliche Vergütung sei für den Nachwuchs unattraktiv. Der Politik wirft er Untätigkeit vor.
Politischer Wille "nicht erkennbar"
Personalmangel ist in der Justiz kein unbekanntes Thema. Erst kürzlich hatte auch der Bremische Richterbund deswegen Alarm geschlagen. Nun stimmt die Hamburgische Berufsvertretung ein: Seit Jahren werde es schwieriger, Bewerberinnen und Bewerber für eine Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft zu gewinnen, heißt es in der Mitteilung. Die unbesetzten Stellen erhöhten die Arbeitslast der verbliebenen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Das führe wiederum zu einem erhöhten Krankenstand, Kündigungen und vorzeitigen Pensionierungen.
Als Grund für den Nachwuchsmangel nennt der Verein die "verfassungswidrig niedrige" Besoldung. Er fordere seit Jahren Anpassungen dieser "verfehlten Personalpolitik", doch "ein politischer Wille dazu ist derzeit nicht erkennbar". Die Staatsanwaltschaft müsse auf allen Ebenen personell so ausgestattet werden, dass sie ihrer Aufgabe in vollem Umfang gerecht werden könne, fordern Abayan und Koltze. "Dazu gehören neben einer ausreichenden Anzahl von Stellen für Staats- und Amtsanwälte und Servicekräften auch die schnelle und konsequente Besetzung der geschaffenen Stellen mit qualifiziertem Personal."
E-Akte bindet Ressourcen
Der Verein hat außerdem noch einen anderen Grund für die langen Verfahrensdauern identifiziert. Es sei die E-Akte, die ab 2026 für Gerichte verpflichtend genutzt werden muss, die in ihrer Pilotphase zu viele Ressourcen binde. Die priorisierte Bearbeitung vorrangiger Haftsachen bedeute, dass Tausende in Papierform zugelieferte Verfahren zurückgestellt würden, "insbesondere in der Amtsanwaltschaft und in den Jugendabteilungen, da die Polizei diese Akten bislang nicht elektronisch zuliefert. Die erneute Verlängerung der Bearbeitungszeiten ist dann eine logische Folge", heißt es vom Verein.
"Die Kolleginnen und Kollegen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg arbeiten am Rande der Belastungsgrenze und oft genug auch darüber hinaus", so Abayan und Koltze. "Es bleibt zu hoffen, dass die Politik den erneuten immensen Anstieg der Zahlen als Warnsignal begreift und die bestehenden Vollzugsdefizite endlich angeht."
Richterbund: Es fehlen 2.000 Staatsanwälte und Strafrichter
Der Hamburgische Richterverein ist nicht der einzige, der personelle Missstände in Richterschaft und Staatsanwaltschaft beklagt. Erst in der vergangenen Woche hat der Deutsche Richterbund (DRB) die Politik gedrängt, die Justiz personell zu verstärken und digitaler aufzustellen. Deutschland fehlten über 2.000 Staatsanwälte und Strafrichter. Strafverfahren dauerten immer länger, Ermittlungen müssten immer öfter vorzeitig eingestellt werden. Bundeweit stapelten sich fast eine Million unerledigte Fälle bei den Staatsanwaltschaften.
Auch bei der Justizministerkonferenz vergangene Woche im sächsischen Bad Schandau war die Personalnot Thema. Dort haben die Ressort-Chefs der Länder die Bundesjustizministerin Stefanie Hubig dazu aufgefordert, den Pakt für den Rechtsstaat zu erneuern, zusätzliche Justiz-Stellen zu schaffen und mindestens 200 Millionen Euro vom Bund in Digitalisierungsprojekte fließen zu lassen.