Ex­per­ten­kom­mis­si­on: Ab­trei­bun­gen in den ers­ten 12 Wo­chen sol­len recht­mä­ßig wer­den
v.l.n.r Claudia Wiesemann, Liane Woerner, Kommissionsmitglieder, Karl Lauterbach, Marco Buschmann, Lisa Paus, Friederike Wapler und Frauke Brosius-Gersdorf, Kommissionsmitglieder / © epd-bild | Christian Ditsch

Ab­trei­bun­gen sind in Deutsch­land grund­sätz­lich straf­bar. Eine von der Bun­des­re­gie­rung ein­ge­setz­te Ex­per­ten­kom­mis­si­on möch­te das än­dern - in be­stimm­ten Fäl­len. Auch bei den The­men Ei­zell­spen­de und Leih­mut­ter­schaft hält sie eine Li­be­ra­li­sie­rung für mög­lich.

Die Ex­per­ten­kom­mis­si­on emp­fiehlt, dass Ab­trei­bun­gen in Deutsch­land künf­tig nicht mehr grund­sätz­lich straf­bar sein soll­ten. "In der Früh­pha­se der Schwan­ger­schaft (...) soll­te der Ge­setz­ge­ber den Schwan­ger­schafts­ab­bruch mit Ein­wil­li­gung der Frau er­lau­ben", heißt es in einem Kurz­be­richt, den die Kom­mis­si­on zur re­pro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung und Fort­pflan­zungs­me­di­zin am Mon­tag in Ber­lin vor­ge­legt hat.

Zwar sind Schwan­ger­schafts­ab­brü­che fak­tisch auch heute in der Früh­pha­se – also in­ner­halb der ers­ten zwölf Schwan­ger­schafts­wo­chen – mög­lich, wenn die Frau sich zuvor hat be­ra­ten las­sen. Al­ler­dings ist dies bis­her als Aus­nah­me­re­ge­lung im Straf­ge­setz­buch ge­re­gelt, das Ab­trei­bun­gen an­sons­ten ganz grund­sätz­lich unter Stra­fe stellt. Und: Der Ab­bruch bleibt in die­sen Fäl­len den­noch rechts­wid­rig. Wei­te­re Aus­nah­men gel­ten bei be­stimm­ten me­di­zi­ni­schen Grün­den oder nach einer Ver­ge­wal­ti­gung.

Die für das Thema zu­stän­di­ge Ko­or­di­na­to­rin in der Kom­mis­si­on, die Straf­recht­le­rin Liane Wör­ner von der Uni­ver­si­tät Kon­stanz, möch­te eine grund­sätz­li­che Än­de­rung: "Hier soll­te der Ge­setz­ge­ber tätig wer­den und den Schwan­ger­schafts­ab­bruch recht­mä­ßig und straf­los stel­len", sagte Wör­ner am Mon­tag in Ber­lin. Auch die stell­ver­tre­ten­de Ko­or­di­na­to­rin, Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf, kri­ti­siert die gel­ten­de Regel. Ein Ab­bruch sei ak­tu­ell zwar unter be­stimm­ten Be­din­gun­gen straf­frei, "aber er ist nach wie vor als rechts­wid­rig, als Un­recht ge­kenn­zeich­net". Eine Än­de­rung sei nicht ein­fach nur eine For­ma­lie. Für die be­trof­fe­nen Frau­en mache es einen gro­ßen Un­ter­schied, ob das, was sie täten, Un­recht sei oder Recht.

"Au­ßer­dem hat das Aus­wir­kun­gen auf die Leis­tungs­pflicht der ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen", so Bro­si­us-Gers­dorf wei­ter. Ent­schei­de sich der Ge­setz­ge­ber dafür, den straf­frei­en Ab­bruch künf­tig nicht mehr als rechts­wid­rig zu be­han­deln, soll­te er dies fol­ge­rich­tig auch in an­de­ren Rechts­be­rei­chen um­set­zen – ins­be­son­de­re in dem der Ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung, heißt es in dem Kurz­be­richt der Kom­mis­si­on. Das er­ge­be sich aus dem ver­fas­sungs­recht­li­chen Kon­sis­tenz­ge­bot.

Völ­ker­recht könn­te neue BVerfG-Ent­schei­dung er­for­der­lich ma­chen

Die Ex­per­ten ste­cken auch den Ver­fas­sungs­rah­men für eine Neu­re­ge­lung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs ab – und pro­pa­gie­ren dabei zu­nächst ein "Kon­zept des prä­na­tal ge­rin­ge­ren Le­bens­schut­zes", des­sen Schutz­in­ten­si­tät mit fort­schrei­ten­der em­bryo­na­ler/fe­ta­ler Ent­wick­lung zwi­schen Ni­da­ti­on und Ge­burt zu­neh­me. Den Grund­rech­ten der Schwan­ge­ren komme bei der Ab­wä­gung mit dem Le­bens­recht des Em­bry­os/Fetus dem­entspre­chend zu Be­ginn der Schwan­ger­schaft star­kes und mit Fort­schrei­ten des Ge­sta­ti­ons­al­ters ge­rin­ge­res Ge­wicht zu. Eine Re­ge­lung müsse daher drei ver­schie­de­nen Pha­sen der Schwan­ger­schaft in den Blick neh­men.

Auch die glo­bal-völ­ker­recht­li­che Ebene müsse ein­be­zo­gen wer­den. Hier gebe es zu­neh­mend grund- und men­schen­recht­lich ba­sier­te For­de­run­gen nach einer Ent­kri­mi­na­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs. Die­sen dürfe sich der Ge­setz­ge­ber nicht ver­schlie­ßen – habe er doch die Pflicht, die Spiel­räu­me, die ihm das Grund­ge­setz er­öff­net, im Lich­te der ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­ge­be­nen grö­ßt­mög­li­chen Ver­ein­bar­keit von in­ner­staat­li­chem Recht mit völ­ker­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen Deutsch­lands aus­zu­fül­len.

Auch das BVerfG müsse sich ge­ge­be­nen­falls zu den Ent­kri­mi­na­li­sie­rungs­for­de­run­gen neu äu­ßern. Der Ge­setz­ge­ber soll­te daher nicht mit Ver­weis auf die die §§ 218 ff. StGB bis­her prä­gen­den Ent­schei­dun­gen des BVerfG die völ­ker­recht­li­che Ent­kri­mi­na­li­sie­rungs­for­de­rung als ge­setz­ge­be­risch ir­rele­vant ein­ord­nen, rät die Kom­mis­si­on. 

Le­ga­li­sie­rung der Ei­zell­spen­de und Leih­mut­ter­schaft mög­lich

Eine Le­ga­li­sie­rung der Ei­zell­spen­de in Deutsch­land sehen die Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten als zu­läs­sig, "so­fern sie auf einer ge­setz­li­chen Grund­la­ge be­ruht, die ins­be­son­de­re den not­wen­di­gen Schutz der Spen­de­rin­nen und das Kin­des­wohl ge­währ­leis­tet", heißt es in dem Be­richt wei­ter. Deutsch­land sei neben Lu­xem­burg das ein­zi­ge EU-Land, in dem die Ei­zell­spen­de noch ver­bo­ten sei, sagte die Ko­or­di­na­to­rin für das Thema in der Kom­mis­si­on, Clau­dia Wie­se­mann von der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen. Wich­tig sei, so wie bei der Sa­men­spen­de auch, das Recht des Kin­des auf Kennt­nis sei­ner Her­kunft zu si­chern.

Leih­mut­ter­schaft könne der Ge­setz­ge­ber in be­stimm­ten Fäl­len zu­las­sen, heißt es von der Kom­mis­si­on, "so­fern ins­be­son­de­re der Schutz der Leih­mut­ter und das Kin­des­wohl hin­rei­chend ge­währ­leis­tet wer­den". Ge­gen­stand der Un­ter­su­chung war le­dig­lich die al­tru­is­ti­sche Leih­mut­ter­schaft, bei der die Leih­mut­ter keine fi­nan­zi­el­le Ge­gen­leis­tung er­hält. Eine Le­ga­li­sie­rung die­ser Form der Leih­mut­ter­schaft sei unter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen mög­lich. Der Leih­mut­ter müsse es unter an­de­rem mög­lich sein, sich ei­gen­ver­ant­wort­lich für diese Art der Schwan­ger­schaft zu ent­schei­den. Wäh­rend der Schwan­ger­schaft und der Ge­burt müsse sie selbst über ihren Kör­per be­fin­den kön­nen. Die Ei­ni­gung mit den Wunsch­el­tern müsse vor Her­bei­füh­rung der Schwan­ger­schaft statt­fin­den. Die per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten der Leih­mut­ter müss­ten do­ku­men­tiert wer­den und das Kind einen ent­spre­chen­den Aus­kunfts­an­spruch haben. 

Grund­la­ge für wei­te­re Dis­kus­si­on

Der Ab­schluss­be­richt der Kom­mis­si­on soll nun hel­fen, die Ent­schei­dung zu tref­fen, "in­wie­weit es mög­lich wäre, den Schwan­ger­schafts­ab­bruch au­ßer­halb des Straf­ge­setz­buchs zu re­geln", kom­men­tier­te Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP). Es han­de­le sich um eine "äu­ßerst an­spruchs­vol­le recht­li­che, aber vor allem auch ethisch äu­ßerst sen­si­ble und be­deut­sa­me Frage", die es zu prü­fen gelte – nicht zu­letzt mit Blick auf den "so­zia­len Frie­den in un­se­rem Land". Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach (SPD) sagte, für eine Neu­re­ge­lung brau­che es "am Ende" einen "brei­ten ge­sell­schaft­li­chen und na­tür­lich auch par­la­men­ta­ri­schen Kon­sens". Fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus (Grüne) ging auf die Emo­tio­na­li­tät der The­men Schwan­ger­schafts­ab­bruch und un­er­füll­ter Kin­der­wunsch ein – not­wen­dig sei daher ein of­fe­ner und fak­ten­ba­sier­ter Dis­kurs, für den der Kom­mis­sons­be­richt die Grund­la­ge lie­fe­re.

Jüngst für Ab­trei­bungs­rech­te stark ge­macht hatte sich das EU-Par­la­ment. In Frank­reich soll das Recht auf Ab­trei­bung gar in der Ver­fas­sung ver­an­kert wer­den, ent­schie­den beide Par­la­ments­kam­mern An­fang März. An­ders in den USA: Nach­dem der Su­pre­me Court das Recht auf Schwan­ger­schafts­ab­brü­che Ende Juni 2022 ge­kippt hat, sind dort in­zwi­schen in 16 Bun­des­staa­ten Ab­trei­bun­gen prak­tisch ver­bo­ten.

Redaktion beck-aktuell, bw, 15. April 2024 (ergänzt durch Material der dpa).

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