Ausnahmen davon sieht das Gesetz nur vor, wenn das Leben der betroffenen Frau in Gefahr ist. Inwieweit das Gesetz vollstreckt werden wird, ist allerdings unklar. So setzte das Gericht zunächst eine 14-tägige Frist, um möglicherweise noch offene verfassungsrechtliche Fragen vor einer unteren Instanz klären zu lassen. Innerhalb dieser Zeitspanne tritt das Gesetz erst einmal nicht in Kraft. Wegen einer separat laufenden Klage könnte diese Zeitspanne dann noch einmal um weitere 45 Tage verlängert werden. Zudem kündigte die Generalstaatsanwältin von Arizona an, das Gesetz nicht vollstrecken zu wollen. Ich sage deutlich: Solange ich Generalstaatsanwältin bin, wird in diesem Bundesstaat keine Frau oder kein Arzt wegen dieses drakonischen Gesetzes strafrechtlich verfolgt", teilte die in ihr Amt gewählte Demokratin Kris Mayes mit. Strafverfolgungsbehörden auf lokaler Ebene würde dies aber nicht unbedingt davon abhalten, dem Gesetz folge zu leisten, hieß es in US-Medien.
Abtreibungsbefürworter warnten davor, dass allein diese Unsicherheit schon zu einem stark eingeschränkten Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in dem Bundesstaat führen werde. Demnach würden Kliniken die Prozedur aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung schlichtweg nicht mehr durchführen. Bereits jetzt ist Abtreibung in Arizona ab der 15. Schwangerschaftswoche verboten, es sei denn, das Leben der Mutter ist in Gefahr.
Schwangerschaftsabbrüche in 16 Bundesstaaten praktisch verboten
Das Verbot aus dem 19. Jahrhundert kriminalisiert nicht direkt die Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen, sondern Personen, die ihnen dabei helfen. So könnte etwa ein Arzt oder eine Ärztin zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden. Zwar war das Gesetz 1973 mit dem landesweit verfassungsmäßig geschützten Recht auf Abtreibung in den USA ungültig geworden, es wurde aber nie wirklich abgeschafft. Rund 50 Jahre später – im Juni 2022 – kippte der Supreme Court dann das wichtige Grundsatzurteil zum landesweiten Abtreibungsrecht. Seitdem liegt die Hoheit über die Gesetzgebung wieder bei den einzelnen Bundesstaaten. Es ist ein rechtlicher Flickenteppich entstanden.
So sind Schwangerschaftsabbrüche in 16 Bundesstaaten inzwischen praktisch verboten, während andernorts eine für deutsche Verhältnisse weiterhin recht liberale Gesetzgebung gilt. In Arizona trat zunächst das fast gänzliche Verbot ab der 15. Schwangerschaftswoche in Kraft, dem dann viel juristisches Tauziehen folgte. Mit der Entscheidung vom Dienstag könnte nun das noch viel striktere Gesetz von 1864 wieder Gültigkeit erlangen.
Abtreibung als Wahlkampfthema
US-Präsident Joe Biden äußerte umgehend Kritik. Das "grausame Verbot" sei erlassen worden, "bevor Arizona überhaupt ein Bundesstaat war und lange bevor Frauen das Wahlrecht erhielten", hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Das Urteil sei "das Ergebnis der extremen Agenda republikanischer Amtsträger, die sich dafür einsetzen, Frauen ihre Freiheit zu nehmen". Umfragen zufolge unterstützt eine Mehrheit der Menschen in den USA ein begrenztes Recht auf Abtreibung.
Das Thema spielt im Präsidentschaftswahlkampf eine große Rolle – erst am Montag hatte Bidens republikanischer Konkurrent Donald Trump bei Abtreibungsgegnern für Enttäuschung gesorgt, weil er sich entgegen der Erwartung seiner rechtskonservativen Basis nicht explizit für ein nationales Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen aussprechen wollte.
Die Entscheidung des Obersten Gerichts in Arizona ist auch deshalb brisant, weil der Bundesstaat als sogenannter Swing State gilt, der weder Demokraten noch Republikanern fest zugerechnet werden kann. Schon vor dem Urteil von Dienstag hatten Abtreibungsbefürworter angestrebt, das Thema im November auf den Wahlzettel zu bringen. Sollten sie Erfolg haben – womit Beobachter rechnen – würde in Arizona auch über die Frage abgestimmt werden, ob das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Bundesstaats verankert werden soll. Bidens Demokraten könnte ein solches Votum in dem Swing State also als wichtige Wahlkampfhilfe dienen.