Am heutigen Freitag jährt sich der Tag des brutalen Mordes an vier Gewerkschaftsanwälten und einem Kanzleiangestellten in Madrid 1977. Seit 2010 erinnern die europäischen Anwaltsorganisationen an dieses Ereignis mit dem internationalen Tag des bedrohten Anwalts – so auch am heutigen Freitag. Es ist ein Tag, der den Angriffen auf Anwältinnen und Anwälte in Ausübung ihrer Tätigkeit für den Rechtsstaat gewidmet ist, Sichtbarkeit schafft und Missstände anprangert.
Zunehmend richtet sich der besorgte Blick der europäischen Anwaltsorganisationen auch nach innen. Denn in den vergangenen Jahren haben sich die Fälle von Gewalt, Bedrohung und Aggression gegen Anwältinnen und Anwälte auch in Europa verdichtet. Fälle etwa wie der einer Dresdener Anwältin, die den späteren mutmaßlichen Attentäter von Solingen in aufenthaltsrechtlichen Fragen vertreten hatte und dafür von der Bild-Zeitung und anderen Medien an den Pranger gestellt wurde. Der hetzerischen Berichterstattung folgten Drohungen und Beleidigungen und eine Kundgebung vor den Kanzleiräumen der Migrationsrechtlerin, bei der Rechtsextreme unter anderem künstliche Gräber aufschütteten.
Europäische Anwaltskammern reagieren
Dass solche Einzelschicksale ein Hinweis auf eine negative Gesamtentwicklung sein könnten, legt auch eine neue Umfrage der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) nahe. Darin geben knapp 50% der 3.500 befragten deutschen Anwältinnen und Anwälte an, in den vergangenen zwei Jahren mindestens einmal Opfer verbaler Aggression geworden zu sein. Knapp ein Drittel hatte Belästigung erlebt, 30% Drohungen und knapp 7% körperliche Aggression. Zudem waren knapp 40% der Befragten der Meinung, dass aggressives Verhalten gegenüber der Anwaltschaft in den vergangenen Jahren zugenommen habe (50% konnten dazu keine Einschätzung abgeben).
Diesen Eindruck bestätigen auch Anwältinnen und Anwälte aus anderen europäischen Ländern. Der CCBE hat die jeweiligen Umfrage-Ergebnisse der Staaten in einem Report zusammengefasst. Danach waren insbesondere die Berufsträgerinnen und -träger in Belgien (72%), der Slowakei (63%), Irland (61%), Polen (59%) und Österreich (48%) der Meinung, Angriffe hätten in ihrem Land zugenommen. In Portugal dominierte sogar die Ansicht, sie hätten "stark zugenommen" (43,6%). Einige europäische Anwaltsorganisationen haben auf diese besorgniserregenden Zahlen mit Maßnahmen reagiert, um ihre Mitglieder zu schützen und Betroffene zu unterstützen.
Niederlande: Notfall-Hotline und Resilienz-Trainings
So hat etwa der niederländische orde van advocaten (Nova) eine ganze Taskforce gegen die Bedrohung von Anwältinnen und Anwälten eingerichtet. Unter anderem steht ihnen rund um die Uhr ein Notfalltelefon zur Verfügung, wenn sie sich akut bedroht fühlen. Geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Fachstelle beraten sie am anderen Ende der Leitung vertraulich und leiten, wenn nötig, zur Polizei weiter, heißt es auf der Website der Nova. Die Juristinnen und Juristen können auch einen Notrufknopf erhalten, der die Polizei und Rettungskräfte alarmiert. Außerdem hat die niederländische Kammer ein Team von Vertrauenspersonen zusammengestellt, die alle Mitglieder jederzeit kontaktieren können. Darüber hinaus bietet sie psychologische Beratung und ein spezielles Resilienz-Training an.
Wer Mitglied der niederländischen Kammer ist, kann zudem seine Kanzlei einem kostenlosen Sicherheitscheck unterziehen, bei dem die Räume auf physische Schwachstellen geprüft und individuelle Sicherheitstipps gegeben werden. Zudem weist die Kammer auf ihrer Website auf eine Gerichtsmeldestelle hin, bei der Anwältinnen und Anwälte kritische Gerichtsbesuche mit dem Sicherheitsdienst besprechen können.
Norwegische Kammer bietet psychologische Beratung
Auch in Norwegen setzt man auf Prävention. Die dortige Anwaltskammer bietet regelmäßig Kurse zum Konfliktmanagement und zur Deeskalation an, wie Baard Amundsen von der Norwegischen ADVOKATFORENINGEN auf beck-aktuell-Anfrage schreibt. Die Kammer habe zudem einen Leitfaden für den Umgang mit Bedrohungen an alle Mitglieder herausgegeben.
Zudem verstehe man sich als Leitstelle, die Betroffene jederzeit mit Ermittlungsbehörden, Gesundheits- oder psychologischen Beratungsstellen vernetze. Dafür, so Amudsen, habe man einen Rahmenvertrag mit verschiedenen Psychologen und Psychologinnen geschlossen, die den norwegischen Anwältinnen und Anwälten schnell und günstig zur Verfügung stünden.
Schweden, Estland und Österreich setzen auf Training und Aufklärung
Auf beck-aktuell-Anfrage bestätigen auch die Kammern in Österreich, Estland und in Schweden, dass die Lage sich zuspitze. Für Bernhard Hruschka von der österreichischen Anwaltskammer ist es deshalb wichtig, auf das Thema aufmerksam zu machen, unter anderem mit einer Social-Media-Kampagne. Zudem habe die Kammer Wien einen Vertrauens-Checkpoint für Mitglieder eingerichtet.
Merit Aavekukk-Tamm von der estländischen Anwaltskammer berichtet ebenfalls von einem Training, das die Kammer 2024 zum Umgang mit verbaler Aggression organisiert habe. Daraus sei auch ein Leitfaden für Konfliktmanagement entstanden. "Weil das Training so überbucht war, haben wir entschieden, es bald zu wiederholen", schreibt Aavekukk-Tamm. Die Situation für Anwältinnen und Anwälte habe sich stark verschlechtert.
Einen umfassenden Leitfaden hat auch die schwedische Kammer an ihre Mitglieder herausgegeben. Darin wird unter anderem auf ein besonderes Angebot der Kammer verwiesen: Alle Mitglieder können sich an einen Sicherheitsexperten wenden, der sie kostenlos und entsprechend der individuellen Lage berate. Außerdem hat die Kammer auch eine Liste nützlicher Links und Kontakte beigefügt, von der örtlichen Polizei bis hin zu Opfer-Beratungsstellen.
Spanische Kammer erkämpft neues Gesetz
Dem spanischen Consejo General de la Abogacía Española ist es sogar gelungen, den Schutz der Anwaltschaft in ein neues Gesetz schreiben zu lassen, wie der Delegierte Julen Fernandez Conte auf beck-aktuell-Anfrage schreibt. Das "Ley Orgánica del Derecho de Defensa" ist ein größeres Regelwerk, das das Recht auf Verteidigung festschreibt. In der Präambel heißt es etwa: "Das Recht auf Verteidigung ist eng mit der Rechtsstaatlichkeit verbunden. Es gehört neben einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu den Grundschutzrechten der Bürger."
Art. 21 schreibt aber auch die institutionelle Rolle der Kammer als Beschützerin der Berufsangehörigen fest, die in Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder belästigt werden dürfen. Die spanische Kammer habe die Regelung vorgeschlagen und dabei geholfen, "dieses europäische Pionier-Gesetz" auf den Weg zu bringen, so Fernandez Conte. Es gilt seit Dezember 2024.
Auch BRAK sieht Handlungsbedarf
Auch bei der BRAK ist das Problembewusstsein da. Auf beck-aktuell-Anfrage zu Angriffen auf Anwältinnen und Anwälte sagte Pressesprecherin Stephanie Beyrich: "Die Situation hat sich, wie sich auch vereinzelten Presseberichten entnehmen ließ, massiv verschärft. Es steht zu befürchten, dass die Dunkelziffer weitaus höher ist." Es bestehe Handlungsbedarf. "Wir sind nicht bereit, Anwältinnen und Anwälte in dieser Situation alleine zu lassen", so Beyrich.
Bisher hat die BRAK sich dem Thema allerdings vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit angenähert. Sie bezog Stellung, etwa im Fall der Dresdener Migrationsrechtlerin, aber auch in früheren Fällen. "Wir arbeiten kontinuierlich an der Sichtbarmachung des Problems, um möglichst viele Kolleginnen und Kollegen, aber auch Bürgerinnen und Bürger zu sensibilisieren", so Beyrich, die BRAK werde sich dem Thema weiterhin intensiv widmen.
Tatsächlich etwas kommen könnte bald aus der Anwaltskammer Sachsen. Dort hat Rechtsanwältin und Vorstandmitglied Dr. Kati Lang gemeinsam mit dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt einen Workshop organisiert, um Migrationsrechtlerinnen und -rechtlern Tipps und Selbstschutzmöglichkeiten an die Hand zu geben. Der daraus entstandene Leitfaden soll bald auch der BRAK und damit allen Anwältinnen und Anwälten zugänglich gemacht werden.