Bisher wird ein Pflichtverteidiger bzw. eine Pflichtverteidigerin nur auf Antrag der Beschuldigten beigeordnet. Nun ist eine "Pflichtverteidigung ab der ersten Stunde" geplant. "Dadurch würden Beschuldigte vor suggestiven Einflüssen geschützt, auf eine Verteidigung zu verzichten", lobt Ali B. Norouzi, Stellvertretender Vorsitzender des DAV-Ausschusses Strafrecht. Die Rechtslage dürfe nicht darauf ausgerichtet sein, möglichst schnelle Geständnisse zu erreichen, sagt er – auch wenn das "vielleicht im Interesse der Ermittelnden" sei. Ein Rechtsstaat aber könne hieran nicht interessiert sein.
Der Entwurf will auch weitere Beschuldigtenrechte stärken, z.B. will er frühzeitig und umfassend Rechtsschutz gegen die Versagung der Akteneinsicht gewähren sowie das Überwachungsverbot für Kommunikation bei der Mandatsanbahnung stärken. Beides begrüßt Norouzi ebenso wie ein erweitertes Recht auf eine Eröffnungserklärung. Solche Opening Statements zu Beginn der Hauptverhandlung setzten "dem einseitigen Narrativ der Anklage" ein Gegengewicht und hätten sich in der Praxis bewährt, so das DAV-Experte.
Für DAV wichtig: Hinweis auf vorläufige Bewertung der Rechtslage
Für besonders wichtig hält der DAV die angedachte Hinweispflicht, nach der ein Gericht künftig darauf aufmerksam machen muss, wenn seine vorläufige Bewertung der Rechtslage deutlich von der erklärten Einschätzung eines Verfahrensbeteiligten abweicht. Damit könnten Missverständnisse vermieden und Verfahren gerechter und transparenter werden, meint Norouzi. Eine "zielführende und konstruktive Verteidigung" werde erleichtert.
Auch die angedachten Änderungen im Revisionsverfahren hält Norouzi für sinnvoll. Er wünscht sich aber darüber hinaus, dass das Revisionsgericht vor der Revisionshauptverhandlung verpflichtet werden soll, auf die Rechtsfragen hinzuweisen, die im Termin erörtert werden sollen. Das fordere der Anwaltverein schon seit langem.
Verfahren nicht weiter verzögern
Kritisch sieht Norouzi den Plan des Ministeriums, Unterbrechungsfristen und -tatbestände von Verfahren auszudehnen. "Der Gesetzgeber hat hier bereits in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Änderungen geschaffen, die mehr Flexibilität gewährleisten. Ein noch weiter gestreckter Prozess ist nur dann noch transparent und nachvollziehbar, wenn endlich auch die Dokumentation der Hauptverhandlung eingeführt wird", so das DAV-Experte. Doch das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz, durch das ein genaues Protokoll der Aussagen vor Gericht ermöglicht werden soll, hänge seit Anfang des Jahres im Vermittlungsausschuss fest. Ohne dieses Gesetz aber könne bei langen Verfahren mit Unterbrechungen am Ende "kaum wirksam rekonstruiert werden, was genau eigentlich im Vorfeld vorgetragen wurde", fürchtet Norouzi.
Die Reformen im Jugendgerichtsgesetz bewertet er positiv. "Bei Jugendlichen muss Prävention und Erziehung im Vordergrund stehen. Die kompromisslose Anwendung der Vermögenseinziehung bei ihnen lief dem bislang entgegen". Deswegen sei es richtig, Härtefälle zu berücksichtigen, wenn den Betroffenen ansonsten negative Folgen durch eine starke finanzielle Belastung drohen.