Wahl­pro­gramm-Check III: Was die Par­tei­en rechts­po­li­tisch aus­macht
© Andreas Prott / stock.adobe.com

Im ihrem Wahl­pro­gramm ver­kau­fen die Par­tei­en mehr als nur die har­ten The­men. Sie sen­den Bot­schaf­ten und set­zen Ak­zen­te, die auch rechts­po­li­tisch die Rich­tung vor­ge­ben. Unser Blick auf diese Zwi­schen­tö­ne: Mit wel­chem Uni­que Sel­ling Point tre­ten die Par­tei­en zur Wahl an?

In Teil I und Teil II un­se­res Wahl­pro­gramm-Checks haben wir die rechts­po­li­ti­schen Pläne der grö­ß­ten Par­tei­en, die bei der Bun­des­tags­wahl an­tre­ten, unter die Lupe ge­nom­men. Doch die The­men sind im Wahl­pro­gramm eben nicht alles. Ab­seits ein­zel­ner Wahl­ver­spre­chen: Wo liegt ihr je­wei­li­ger Mar­ken­kern?

SPD: un­auf­ge­regt – aber er­wart­bar

Ob­wohl sie be­reits auf Seite eins ihres Wahl­pro­gramms an­er­kennt, dass "wir in schwie­ri­gen Zei­ten leben", gibt sich die SPD be­tont op­ti­mis­tisch, auf­ge­schlos­sen und zu­kunfts­ge­wandt. Jedes Ka­pi­tel ihres Pro­gramms be­ginnt mit den Wor­ten "Wir kämp­fen". In­ves­ti­ti­ons­freu­dig, pro-eu­ro­pä­isch und ge­wohnt so­li­da­risch schei­nen die So­zi­al­de­mo­kra­ten ihrem Mar­ken­kern treu zu blei­ben. Das Thema so­zia­le Ge­rech­tig­keit do­mi­niert – aber auch Bü­ro­kra­tie­ab­bau und Di­gi­ta­li­sie­rung haben ihren Weg in das Wahl­pro­gramm der SPD ge­fun­den.

Auf­fäl­lig: Bei ihrem rechts­po­li­ti­schen Pro­gramm setzt die SPD auf Har­mo­ni­sie­rung und wen­det sich gegen Al­lein­gän­ge der Bun­des­län­der. So müsse etwa die Di­gi­ta­li­sie­rung der Jus­tiz un­be­dingt mit­hil­fe bun­des­weit ein­heit­li­cher oder je­den­falls kom­pa­ti­bler Sys­te­me er­fol­gen. Auch beim Thema Be­fug­nis­se von Er­mitt­lungs­be­hör­den dringt die SPD auf Ein­heit. Fö­de­ra­le Un­ter­schie­de im Be­reich des Po­li­zei- und Ver­samm­lungs­rechts müss­ten har­mo­ni­siert wer­den. Mit der zu­neh­men­den Zahl an Rechts­ak­ten der EU und er damit ein­her­ge­hen­den Bü­ro­kra­tie hat die SPD – an­ders als an­de­re Par­tei­en – kein Pro­blem. Immer wie­der be­kennt sie sich zu ver­schie­de­nen eu­ro­päi­schen Vor­ha­ben und plant, ak­tu­el­le Rechts­ak­te eins zu eins um­zu­set­zen. Ins­ge­samt ein Pro­gramm, das in vie­len Tei­len er­wart­bar, oft er­fri­schend un­auf­ge­regt und manch­mal ein klein wenig un­in­spi­riert wirkt – in Sa­chen Rechts­po­li­tik aber viele wich­ti­ge The­men auf dem Zet­tel hat.

Bünd­nis 90/Die Grü­nen: Bür­ger­lich, eu­ro­pä­isch, di­gi­tal

Einen kon­struk­ti­ven An­gang wählt auch die zwei­te ak­tu­el­le Noch-Re­gie­rungs­par­tei im bis­lang vor­lie­gen­den Ent­wurf ihres Wahl­pro­gramms. Die Grü­nen legen dar, was sie tun wol­len – nicht, was es nicht mehr geben soll. Da­hin­ter scheint mehr Messa­ge zu ste­cken als der na­tur­ge­mä­ße Wunsch nach Fort­set­zung der ei­ge­nen Re­gie­rungs­ar­beit: Die ehe­ma­li­ge Öko­par­tei be­tont Kraft und Zu­sam­men­halt, for­mu­liert po­si­tiv und zu­kunfts­ge­rich­tet.

Ihr tra­di­tio­nel­ler Mar­ken­kern zieht sich zwar durch alle The­men, wird aber bei wei­tem nicht mehr so stark be­tont wie bis­her. Der Klima- und Um­welt­schutz ist die Ba­sis­li­nie des grü­nen Pro­gramms, die Vor­schlä­ge stel­len aber die un­mit­tel­ba­ren Be­dürf­nis­se der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in den Vor­der­grund: eine star­ke Wirt­schaft in einem funk­tio­nie­ren­den und si­che­ren So­zi­al­staat für alle, das ist das Ver­spre­chen der Grü­nen. Der Ent­wurf zum "Re­gie­rungs­pro­gramm" unter dem Motto "Zu­sam­men wach­sen" will das Pro­gramm einer bür­ger­li­chen Par­tei nur knapp links von der Mitte sein.

Neben dem Klima- und Um­welt­schutz zie­hen sich zwei Ideen durch den ge­sam­ten Wahl­pro­gramm­ent­wurf. Die Grü­nen set­zen in fast allen Kon­tex­ten auf eine star­ke Eu­ro­päi­sche Union. Sie wol­len mehr Kräf­te bün­deln, an ei­ni­gen Stel­len auch mehr Kom­pe­ten­zen für die EU und ihre In­sti­tu­tio­nen. Eine an­de­re auf­fäl­li­ge Rolle spielt die Di­gi­ta­li­sie­rung, und zwar als Chan­ce wie als Ri­si­ko. Die Not­wen­dig­keit, die deut­schen Struk­tu­ren zu di­gi­ta­li­sie­ren und so an­schluss­fä­hig zu hal­ten, be­tont die Par­tei eben­so sehr wie die Ri­si­ken (von Cy­ber­an­griff bis Hass­kri­mi­na­li­tät), die der di­gi­ta­le Raum birgt und gegen die das Land mehr Re­si­li­enz auf­bau­en müs­sen – ein ekla­tan­ter Un­ter­schied zu Pro­gram­men an­de­rer Par­tei­en, von denen man­che in punc­to Di­gi­ta­li­sie­rung wei­ter­hin eher an An­ge­la Mer­kels "Neu­land In­ter­net" aus dem Jahr 2013 er­in­nern.

CDU/CSU: Fokus Mi­gra­ti­on

Wie be­reits in Teil eins un­se­rer Serie be­schrie­ben ist die Si­cher­heit der Mar­ken­kern der Uni­ons­par­tei­en. Dem­entspre­chend pro­mi­nent steht sie auch dies­mal wie­der im Pro­gramm für die an­ste­hen­de Bun­des­tags­wahl und trifft damit – nicht erst seit dem An­schlag von Mag­de­burg – den Zeit­geist so genau wie schon lange nicht mehr. Dabei geht es nicht nur um Si­cher­heit im en­ge­ren (be­hörd­li­chen) Sinne, denn die Welt hat sich zu­letzt ra­sant ver­än­dert, was das all­ge­mei­ne Un­si­cher­heits­ge­fühl in der Be­völ­ke­rung hat wach­sen las­sen. Hier­auf zielt auch die Union mit einem un­aus­ge­spro­che­nen Ver­spre­chen: Für uns bleibt im We­sent­li­chen alles, wie es ist: ge­sell­schafts-, außen- und si­cher­heits­po­li­tisch.

Das führt auch zum zwei­ten Mar­ken­kern der Union, einem Be­reich, in dem man hofft, gegen die ver­blie­be­nen Re­gie­rungs­par­tei­en punk­ten zu kön­nen: die Mi­gra­ti­on. Hier will man die alte Re­gie­rung für ihre ver­meint­lich ver­fehl­te Po­li­tik stel­len, die mehr­heit­li­che Mei­nung in der Be­völ­ke­rung, die Mi­gra­ti­on müsse bes­ser unter Kon­trol­le ge­bracht wer­den, auf­grei­fen und damit auch der AfD das Was­ser ab­gra­ben. Letz­te­res hat je­den­falls in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht funk­tio­niert, ve­he­men­te Asyl­kri­ti­ker schei­nen eher nach Rechts­au­ßen ab­zu­wan­dern. Mit dem Ver­spre­chen, die il­le­ga­le Mi­gra­ti­on durch Zu­rück­wei­sun­gen an der Gren­ze, mehr Sach­leis­tun­gen und zü­gi­ge Rück­füh­run­gen zu stop­pen, ver­sucht man es nun aufs Neue.

AfD: Weg damit

Ein Leit­mo­tiv zieht sich deut­lich durch das ge­sam­te Wahl­pro­gramm der AfD. Nach der Lek­tü­re von 85 Sei­ten weiß jeder Leser und jede Le­se­rin: Die AfD wird ab­schaf­fen. Be­en­den, stop­pen, Schluss ma­chen. Aus­tre­ten, kün­di­gen, zu­rück­neh­men. Kaum ein Ge­setz der Am­pel­re­gie­rung, das die AfD un­an­ge­tas­tet las­sen möch­te. Das Ver­pa­ckungs­ge­setz, das Selbst­be­stim­mungs­ge­setz und das Hei­zungs­ge­setz sind nur drei Bei­spie­le dafür, was unter der AfD alles passé wäre. Zudem werde man un­zäh­li­ge Rechts­ak­te der EU "ab­schaf­fen". Aber die AfD will auch an Alt­ge­dien­tes ran. Sie will die Erb­schafts­steu­er, die Grund­steu­er und ganz über­wie­gen­de Teile der Grund­er­werbs­steu­er ab­schaf­fen, die Strom- und En­er­gie­steu­er auf ein Mi­ni­mum re­du­zie­ren. Ver­mö­gens­steu­er? Ab­schaf­fen. EEG-Um­la­ge, Rund­funk­bei­trag, Brief­wahl? Raten Sie mal.

Die AfD will kei­nen Stein auf dem an­de­ren las­sen und igno­riert dabei nicht nur die Ver­pflich­tun­gen, die sich für Deutsch­land als Mit­glied der EU er­ge­ben, son­dern an vie­len Stel­len (ins­be­son­de­re beim Bür­ger­geld und in Auf­ent­halts­fra­gen) auch die Fest­stel­lun­gen des BVerfG zur ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung gel­ten­den Rechts.

FDP: Kein Bü­ro­kra­tie-Bur­nout

Pa­pier­kram, For­mu­la­re und Vor­schrif­ten sind den Frei­de­mo­kra­ten ein be­son­de­rer Dorn im Auge. Sie wol­len den "Bü­ro­kra­tie-Bur­nout" be­en­den und rufen nach einem "so­for­ti­gen drei­jäh­ri­gen Mo­ra­to­ri­um" für neue Re­gu­la­ri­en (so­fern nicht zu­gleich ge­nau­so viele Be­stim­mun­gen ge­stri­chen wer­den). Ge­for­dert wird zudem ein bü­ro­kra­tiefrei­es Jahr für Be­trie­be, in dem diese keine Be­richts­pflich­ten er­fül­len müs­sen. Jedes Jahr soll ein "Jah­res­bü­ro­kra­tie­ent­las­tungs­ge­setz" einen "Abbau-Pfad" für über­flüs­si­ge Nor­men schaf­fen, etwa im Da­ten­schutz- und im Ver­ga­be­recht. Als Ver­ur­sa­cher dafür wird über­dies die EU an­ge­spro­chen. Und um all das zu top­pen, soll eine "Bü­ro­kra­tie­brem­se" im Grund­ge­setz die Ent­rüm­pe­lung des Bun­des­rechts si­cher­stel­len.

BSW: Da­ge­gen

Auch das BSW ist vor allem: da­ge­gen. Gegen die dro­hen­de De­indus­tria­li­sie­rung, gegen hohe Strom­prei­se, die ma­ro­de In­fra­struk­tur, das "Ver­bren­ner-Ver­bot", das Hei­zungs­ge­setz, Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukrai­ne, Steu­er­schlupf­lö­cher für Kon­zer­ne, zu viel Eu­ro­pa, zu viel Mi­gra­ti­on und zu viel Bü­ro­kra­tie.

Das noch neue Bünd­nis setzt voll auf die stei­gen­de Un­zu­frie­den­heit im Land und baut sein erst Mitte Ja­nu­ar im Ent­wurf vor­ge­leg­tes Wahl­pro­gramm vor allem auf dem auf, was die Deut­schen ak­tu­ell tag­täg­lich stört. Da dazu nur we­ni­ge rechts­po­li­ti­sche The­men­fel­der ge­hö­ren, gibt der Ent­wurf des Pro­gramms über das, was vom BSW in Sa­chen Rechts­po­li­tik zu er­war­ten wäre, eher wenig Auf­schluss.

Die Linke: wie man sie kennt

Dass so­zia­le Ge­rech­tig­keit den Mar­ken­kern der Lin­ken bil­det, ist keine son­der­lich krea­ti­ve Bot­schaft, stimmt aber nach wie vor. So fin­den sich in ihrem Pro­gramm For­de­run­gen nach mehr so­zia­lem Woh­nungs­bau, hö­he­ren Ren­ten oder dem Weg­fall der pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rung. Auch Su­pe­r­yach­ten über 60 Me­tern Länge will die Par­tei ver­bie­ten. 

Be­son­ders steht je­doch das Steu­er­recht im Fokus: Es ist für Die Linke nicht – wie für CDU/CSU oder FDP – bloß eine not­wen­di­ge, aber be­grün­dungs­pflich­ti­ge staat­li­che Ein­nah­me­quel­le, son­dern ein Werk­zeug zum Umbau der Ge­sell­schaft. Pas­send dazu ist das drit­te Ka­pi­tel des noch vor­läu­fi­gen Wahl­pro­gramms mit "Um­steu­ern" über­schrie­ben. Neben einer Wie­der­ein­füh­rung der Ver­mö­gens­steu­er und einem Spit­zen­steu­er­satz von 53% will man vor allem "Schlupf­lö­cher für die Rei­chen schlie­ßen". Ab einem zu ver­steu­ern­den Erbe von drei Mil­lio­nen Euro soll ein Spit­zen­steu­er­satz der Erb­schaft­steu­er von 60% grei­fen und in der Grund­er­werb­steu­er will man Steu­er­vor­tei­le für Im­mo­bi­li­en­in­ves­to­rin­nen und -in­ves­to­ren ab­bau­en. Au­ßer­dem sol­len alle deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen in Deutsch­land be­steu­ert wer­den, un­ab­hän­gig davon, wo sie leben oder ihr Geld ver­die­nen.

Auch Un­ter­neh­men will man ans Porte­mon­naie, be­son­ders im Auge hat man dabei in­ter­na­tio­nal agie­ren­de Gro­ß­kon­zer­ne. So will man nicht nur die Kör­per­schafts­steu­er auf 25% er­hö­hen (per­spek­ti­visch auch glo­bal), son­dern auch trans­na­tio­na­le Kon­zer­ne dazu ver­pflich­ten, Daten zu ihrer Wert­schöp­fung, Um­sät­zen, Ge­win­nen und Steu­er­zah­lun­gen län­der­wei­se of­fen­zu­le­gen, um so zu ver­hin­dern, dass Geld­strö­me – etwa über Brief­kas­ten­fir­men – ver­schlei­ert wer­den. Um zu ver­hin­dern, dass Kon­zer­ne von Kri­sen­si­tua­tio­nen wirt­schaft­lich pro­fi­tie­ren, for­dert die Linke auch eine Über­ge­winn­steu­er in Höhe von 90% auf alle Kri­sen­pro­fi­te.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, Denise Dahmen, Joachim Jahn, Pia Lorenz, 10. Januar 2025.

Mehr zum Thema