BGH verhandelt zu Verlusten bei unerlaubten Sportwetten
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Vor dem I. Zivilsenat des BGH hat am Donnerstag die lang erwartete mündliche Verhandlung zur Erstattung von Spielverlusten aus illegalen Online-Sportwetten stattgefunden. Das Verfahren wird mit einer richtungsweisenden Grundsatzentscheidung beendet werden, meint Thomas Dünchheim.

Das Glücksspielrecht gilt als Nischengebiet, doch in Wahrheit produziert es eine Flut von gerichtlichen Entscheidungen: In den vergangenen Jahren ergingen über 50 Entscheidungen des BVerwG, über 350 Judikate der OVG und VGH sowie mehrere tausend Entscheidungen der VG und ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Sportwette stand dabei oftmals im Fokus des Geschehens. War sie einst privaten Sportwettanbietern vollends versagt, führte im Gefolge der Rechtsprechung des EuGH die Experimentierklausel des § 10a GlüStV 2012 zu einer wenig tauglichen Öffnung. Erst mit dem GlüStV 2021 wurde die Veranstaltung von Sportwetten nach den §§ 4a ff. grundsätzlich und endgültig erlaubnisfähig.

Dabei ist der deutsche Sportwettenmarkt in wirtschaftlicher Hinsicht mehr als bedeutsam. Allein die Wetteinsätze in Deutschland für die Fußball-Europameisterschaft werden auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt. Laut dem Jahresreport der Glücksspielaufsichtsbehörden 2022 macht der Marktanteil der Sportwettenanbieter 10,4% des gesamten deutschen Glückspielmarkts aus. Der illegale Marktanteil der Anbieter liegt indes im Dunkeln. Während Sportwettanbieter einen illegalen Marktanteil von über 50% annehmen, liegt dieser laut dem Jahresreport der Glückspielaufsichtsbehörden bei lediglich 4%.

Rückzahlung: Bisher keine höchstrichterliche Entscheidung

In der Vergangenheit klagten zahlreiche Spielende gegen Sportwettenanbieter auf Rückerstattung ihrer Wetteinsätze, die ohne gültige Konzession Online-Sportwetten in Deutschland angeboten haben. Es ergingen gerichtliche Entscheidungen, die völlig unterschiedlich ausfielen. Eine höchstrichterliche Entscheidung blieb bislang allerdings aus, auch, weil die Wettanbieter sich in der Vergangenheit lieber verglichen haben, als ein höchstrichterliches Urteil zu riskieren. Mit der zu erwartenden Grundsatzentscheidung wird der BGH nun Klarheit schaffen.

Die Anspruchsgrundlage für eine mögliche Erstattung zugunsten des Spielenden ergibt sich bereicherungsrechtlich aus der Leistungskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB. Umstritten ist die Frage, ob ein Rechtsgrund vorliegt. Diskutiert wurde insbesondere, ob ein Verstoß der Sportwettanbieter gegen § 4 GlüStV 2012 – das Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele ohne die erforderliche Erlaubnis – zur Nichtigkeit der Wettverträge führe. Darüber hinaus stand vorrangig die Frage im Raum, ob die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB auch dann eingreife, wenn der Sportwettenanbieter im maßgeblichen Zeitraum bereits eine Konzession beantragt habe, das geltende Konzessionserteilungsverfahren aber unionsrechtswidrig gewesen sei.

Vorinstanzen hielten Wettvertrag für wirksam

Dem nun vor dem BGH verhandelten Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die beklagte Sportwettenanbieterin tipico mit Sitz in Malta bot im Internet auf einer deutschsprachigen Webseite Sportwetten an, an denen der Kläger von 2013 bis 2018 teilnahm. Tipico verfügte zwar über eine Lizenz der maltesischen Glücksspielaufsichtsbehörde, nicht aber über eine Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten der deutschen Behörde. Sie hatte eine solche Konzession bereits im Jahr 2012 beantragt. Diese wurde ihr durch die zuständige Behörde allerdings erst mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 erteilt.

Ein Kunde der Wettanbieterin machte mit seiner Klage vor dem Hintergrund der fehlenden Konzession die Unwirksamkeit seiner Wettverträge geltend. Er forderte die Rückzahlung seiner an die Beklagte geleisteten Zahlungen in Höhe von 3.719,26 Euro nebst Zinsen sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.

In erster Instanz wurde die Klage vom AG Geislingen abgewiesen. In der zweiten Instanz wies das LG Ulm die Berufung zurück. Beide Gerichte vertraten die Auffassung, dass zwar mangels Konzession ein Verstoß gegen den Erlaubnisvorbehalt für öffentliche Glücksspiele im Internet aus § 4 Abs. 4, 5 GlüStV 2012 vorgelegen habe. Dies hätte indes nicht die Nichtigkeit der Wettverträge mit dem Kläger zur Folge. Denn im Rahmen des § 134 BGB sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei einem einseitigen Verstoß gegen eine Verbotsnorm die Wirksamkeit eines zweiseitigen Rechtsgeschäfts grundsätzlich unberührt bleiben solle.

Das OLG Frankfurt a.M. lehnte in einem ähnlich gelagerten Fall ebenfalls einen Rückforderungsanspruch eines Spielers ab. In einem Hinweisbeschluss aus Januar 2023 (Az.: 8 U 102/22) verneinte das Gericht schon einen Verstoß der Beklagten gegen § 134 BGB. Die damals geltenden Regelungen nach dem GlüStV 2012 zur Konzessionserteilung seien intransparent und daher unionsrechtswidrig gewesen. Tipico hingegen habe alle möglichen Schritte unternommen, um eine Konzession zu erlangen. Aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit des Konzessionsvergabeverfahrens dürfe sie weder straf- noch verwaltungsrechtlich sanktioniert werden. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung wirke sich auch auf die Wirksamkeit der Verträge aus mit der Folge, dass auch der privatrechtliche Vertrag wirksam bleibe.

Hinweisbeschluss: BGH auf Seiten der Spielenden

Obwohl eine höchstrichterliche Entscheidung bislang ausblieb, ließ der BGH im März 2024 bereits eine erste Tendenz erkennen: Der I. Zivilsenat hat sich in einem sehr ausführlichen Hinweisbeschluss (Az.: I ZR 88/23) deutlich auf die Seite der Spielenden gestellt. Eine Entscheidung erging in diesem gleich gelagerten Verfahren nicht, da der Sportwettenanbieter die Revision zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hatte. Der Senat bejahte die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB für die Wettverträge bei einem Verstoß gegen den Erlaubnisvorbehalt aus dem GlüStV 2012. Er trat der Argumentation der Gerichte entgegen, indem er darlegte, dass auch ein einseitiger Verstoß gegen eine Verbotsnorm die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts zur Folge habe, sofern der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen sei. Der Zweck des Erlaubnisvorbehalts im öffentlichen Glücksspiel sei unter anderem der Schutz der Bevölkerung vor den von öffentlichen Glücksspielen ausgehenden Gefahren. Gerade über das Internet angebotene Spiele würden aufgrund des Fehlens eines unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbrauchenden und Anbietenden ein besonderes Gefährdungspotential für jugendliche und spielsuchtgefährdete oder spielsüchtige Verbrauchende aufweisen. Dieser Verbotszweck erfordere auch die Nichtigkeit der geschlossenen Wettverträge.

Offen blieb in dem Hinweisbeschluss hingegen die Frage, ob die grundsätzliche Nichtigkeitsfolge eingeschränkt werden müsse, wenn der Sportwettenanbieter im Zeitpunkt der Wettverträge bereits eine Konzession beantragt habe, das Konzessionserteilungsverfahren aber unionsrechtswidrig sei. In diesem Verfahren, so der BGH, hätten die Voraussetzungen einer Konzessionserteilung ohnehin nicht vorgelegen. § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 habe seinerzeit für eine Konzessionserteilung vorgesehen, dass der Höchsteinsatz des Spielers auf 1.000 Euro begrenzt sei. Dies sei bei dem beklagten Anbieter gerade nicht der Fall gewesen.

Erste Einschätzung: Verträge wohl nichtig

Zu Beginn der Verhandlung am Donnerstag erklärte der Vorsitzende Richter, Thomas Koch, der Senat neige nach vorläufiger Einschätzung dazu, die Verträge als nichtig anzusehen, auch wenn eine Konzession schon beantragt worden war.

Der Verkündungstermin ist noch nicht bekannt. Sollte der BGH auch vor dem Hintergrund des gestellten Konzessionsantrags einen Erstattungsanspruch bejahen, ist mit einer Klagewelle zu rechnen, die die Sportwettenbranche mit hohen Rückzahlungen konfrontieren wird.

Es ist davon auszugehen, dass das letzte Wort in dieser Sache in Luxemburg gesprochen wird. In einem Hinweisbeschluss aus Mai 2024 kündigte die Achte Zivilkammer des LG Erfurt (Az.: 8 O 391/23) an, dem EuGH in ähnlich gelagerten Fällen sämtliche entscheidungserhebliche Fragen zur Anwendung und Auslegung des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vorzulegen. Die Kammer kritisierte den BGH dafür, dass eine eigene Anrufung des EuGH bislang nicht erfolgte. Koch erklärte nun am Donnerstag, 27. Juni 2024, zum Ende der Verhandlung, dass eine entsprechende Vorlage denkbar sei.

Thomas Dünchheim ist Partner der internationalen Sozietät Hogan Lovells International LLP und leitet dort die weltweite Gaming & Gambling Initiative. Er ist Honorarprofessor an der EBS Universität in Wiesbaden und Herausgeber des Frankfurter Kommentars zum Glücksspielrecht. Er betreut eine Vielzahl von staatlichen und privaten Mandanten in glücksspielrechtlichen Fragestellungen national und international.

Redaktion beck-aktuell, Thomas Dünchheim, 28. Juni 2024.