BAG-Präsidentin hofft auf mehr Flexibilität im Arbeitszeitrecht
© nmann77 / Adobe Stock

In einem ungewöhnlichen Schritt hat sich BAG-Präsidentin Inken Gallner zu einer rechtspolitischen Forderung positioniert. Wenn CDU/CSU und SPD wie in ihren Sondierungsgesprächen angepeilt von einer täglichen auf eine wöchentliche Grenze der gesetzlichen Höchstarbeitszeit übergingen, würde sie das begrüßen, sagte sie vor Journalisten.

Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten sind normalerweise höchst vorsichtig mit Kommentaren zur Rechtspolitik. Das gebietet schon der Respekt vor dem Gesetzgeber, also der "Ersten Gewalt" im Staat. Und groß ist zudem die Sorge, womöglich einmal wegen einer solchen Äußerung als befangen abgelehnt zu werden. Doch auf ihrer jährlichen Pressekonferenz sagte BAG-Chefin Inken Gallner am heutigen Mittwoch: Einen Wechsel der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von einer Definition, die auf einzelne Tage abstellt, zu einem Deckel auf Wochenbasis würde sie begrüßen – "auch wenn ich mir damit wohl viel Ärger einhandeln werde". Sie hofft, dass das in einen etwaigen Koalitionsvertrag von Union und Sozialdemokraten Eingang finden werde.

Der bisherige maximale Achtstundentag (nur ausnahmsweise sind zehn Stunden erlaubt) nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz gelte übrigens auch jetzt schon für höchstens sechs Werktage, also mit dem Samstag – nicht nur für fünf Arbeitstage von Montag bis Freitag, wie Gallner ergänzte. Das Europarecht ist da flexibler: Danach darf die durchschnittliche Arbeitszeit für jeden Sieben-Tage-Zeitraum 48 Stunden einschließlich Überstunden nicht überschreiten. Ruhepausen und -zeiten müssten aber im Interesse der Arbeitnehmer-Gesundheit selbstverständlich weiter vorgeschrieben bleiben, so Deutschlands oberste Arbeitsrichterin. Aus gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen wisse man: "Es ist schlecht, wenn man zu viel arbeitet." Das Berufsleben solle kein Marathon sein.

Weniger Arbeit, spannende Aussichten

Die Zahl der Eingänge beim höchsten deutschen Arbeitsgericht ist demnach im vergangenen Jahr geringfügig um 76 Verfahren bzw. 5,46% auf 1.315 Sachen zurückgegangen. Im Jahr 2016 trafen in Erfurt noch 2.376 neue Akten ein. 26,77% der Eingänge betrafen Revisionen und Rechtsbeschwerden im Beschlussverfahren, weitere 66,46% entfielen auf Nichtzulassungsbeschwerden. 2024 wurden 1.602 Prozesse abgeschlossen (2023: 1.503). Damit überstieg die Zahl der Erledigungen die der Eingänge um 287 Verfahren. Die durchschnittliche Dauer der abgeschlossenen Verfahren hat sich dementsprechend verkürzt: Sie betrug im abgelaufenen Geschäftsjahr acht Monate und 26 Tage (Vorjahr: neun Monate und sechs Tage). Am häufigsten ging es um Kündigungsschutz (22,6%), gefolgt von Streitigkeiten um Arbeitsentgelt (20,8%), Ruhegeld einschl. Vorruhestand und Altersteilzeit (17,8%), Tarifverträge (10,8%) und Betriebsverfassung bzw. Personalvertretung (10,7%).

Als nächsten spannenden Fall verhandeln die Bundesrichter am 20.3. den eines seit 2002 freigestellten Betriebsrats. Ein strenges Strafurteil des BGH zum Gehalt von Vollzeit-Belegschaftsvertretern hatte Unternehmensleitungen aufgescheucht, woraufhin ihn der Autobauer Volkswagen zurückstufte. Bis dahin war der Lohn des Kfz-Mechanikers mit Abschluss als Industriemeister regelmäßig erhöht worden; ein Angebot für eine Beförderungsstelle lehnte er 2015 ab. Nun soll er sogar einen Teilbetrag zurückzahlen. Der Mann meint hingegen, seine Vergütung entspreche einer hypothetischen Karriereentwicklung.

Auch steht auf der Erfurter Agenda erneut die Klage eines wiederverheirateten Chefarztes eines katholischen Krankenhauses gegen seine Entlassung wegen seiner zweiten Eheschließung: Der EuGH hat mittlerweile eine Vorlagefrage aus Erfurt zu diesem Prozess und der Rolle des kirchlichen Arbeitsrechts beantwortet. Und schließlich wartet man auf dem Petersberg der thüringischen Landeshauptstadt auf zwei Verdikte des EGMR. So hatte das BAG der "DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V." die Berechtigung zu Tarifauseinandersetzungen abgesprochen, weil es ihr mittlerweile an Durchsetzungskraft und Organisationsgrad mangele, wogegen diese sich nun in Straßburg wehrt. Um dieselbe Konstellation geht es im Fall der "Neuen Assekuranz Gewerkschaft e.V.".

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 12. März 2025.

Mehr zum Thema