Noch Mitte Oktober, also vor dem Scheitern der Regierung, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Entscheidung über die Einstufung der AfD noch im Jahr 2024 angekündigt. Der damalige Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte, mit einer Entscheidung "wird noch in diesem Jahr zu rechnen sein".
Doch nur einen Monat später hieß es aus der Behörde, wegen der Neuwahlen sei eine Bekanntgabe der Bewertung nun nicht mehr vor den Wahlen möglich. Man habe sich am Prinzip der Chancengleichheit der Parteien zu orientieren, hieß es zunächst. Daraus entspringe auch das Mäßigungsgebot vor Wahlen, das den Staat zur Neutralität verpflichte. Je näher die Einstufung einer Partei an die Wahl rücke, desto eher sei eine Verletzung der aus Art. 21 Abs. 1 GG abgeleiteten Chancengleichheit der Parteien zu befürchten.
Diese rechtliche Begründung hatten gleich mehrere Staatsrechtler öffentlich angezweifelt, sie sahen den Verfassungsschutz als nicht am Wahlkampf beteiligte Behörde als gar nicht vom Neutralitätsgebot erfasst. In dem nun von dem Recherchenetzwerk Correctiv vor dem VG angestrengten Eilverfahren dürfte es auch um eine Tatsachenfrage gehen. Nachdem die Behörde sich zunächst auf das Neutralitätsgebot berufen hatte, hieß es später nämlich, das Gutachten, dessen Veröffentlichung Haldenwang bereits angekündigt hatte, sei doch noch gar nicht fertig.
Correctiv: Gerade vor Wahlen erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit
Correctiv will nun per Eilantrag, dessen Eingang das VG Köln gegenüber beck-aktuell bestätigt hat, eine Offenlegung der BfV-Bewertung erreichen. Die Investigativjournalistinnen und -journalisten stützen sich dabei nach eigenen Angaben unter anderem auf Art. 5 GG. Dieser verleihe der Presse einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch gegen Bundesbehörden, so das Medienhaus. § 16 Abs. 1 BVerfGG verpflichte darüber hinaus die Behörde zur Information der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen. Soweit die Informationen nicht dem Geheimhaltungsschutz unterliegen, seien sie zu veröffentlichen.
Das Recherchenetzwerk sieht ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit gerade auch mit Blick auf die Bundestagswahl. Der Leiter des Rercherchezentrums, David Schraven, erklärte, die Menschen in Deutschland müssten wissen, ob das BfV die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft, "bevor sie ihre Wahlentscheidung treffen". Nach Informationen von beck-aktuell versuchen die Journalisten und Journalistinnen dabei auch, Zeugen dafür zu finden, die bestätigen, dass das Gutachten sehr wohl hinreichend finalisiert ist für eine Veröffentlichung.
In Berlin bemühen sich derweil Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien weiterhin auf dem Verhandlungsweg um die Veröffentlichung des Gutachtens. Die Abgeordneten, die der Gruppe um den CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz angehören, die die Einleitung eines AfD-Verbotsantrags inittieren will, wurden nach Informationen von beck-aktuell von Bundesinnenministerin Nancy Faeser an den stellvertretenden Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Sinan Selen, verwiesen, mit dem sie nun weitere Gespräche führen wollen.
Beobachter halten Hochstufung für wahrscheinlich
Die Abgeordneten wollen die umstrittene Einleitung eines AfD-Verbotsantragsverfahrens noch vor den Neuwahlen im Bundestag auf die Tagesordnung setzen, die Neubewertung des Verfassungsschutzes sehen sie dafür als wesentlich an. Unklar ist noch, ob der Antrag in der Sitzungswoche vor Weihnachten oder im Januar auf die Tagesordnung kommen soll.
Aktuell - und sowohl vom VG Köln als auch vom OVG Münster bestätigt - führt der Inlandsgeheimdienst die Bundespartei der AfD als sogenannten Verdachtsfall, der zweiten von drei Beobachtungsstufen. Dabei könnte es bleiben, auch eine Herabstufung ist möglich. Aus öffentlichen Äußerungen des Ex-Präsidenten des Verfassungsschutzes, der sich unter anderem auf die Geschehnisse bei der konstiuierenden Sitzung im Thüringer Landtag berief, als der AfD-Alterspräsident sich über Stunden geweigert hatte, über einen Antrag abstimmen zu lassen, schlossen Beobachterinnen und Beobachter aber, dass eine Hochstufung zur "gesichert extremistischen Bestrebung" bevorstehen könnte.