Die CDU-Fraktion hat das Verfassungsgericht angerufen, um dort die Abläufe klären zu lassen. Der Streit war schon im Vorfeld absehbar gewesen. Und darum geht es: Als stärkste Fraktion hat die AfD das Vorschlagsrecht für das Amt des Landtagspräsidenten, aber keinen Anspruch darauf, dass ihre Kandidatin auch gewählt wird. CDU und BSW wollen vor der Wahl die Geschäftsordnung ändern, damit gleich von Anfang an auch andere Fraktionen Kandidaten vorschlagen können.
In der Sitzung am Donnerstag vertrat der Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) die Rechtsauffassung der AfD-Fraktion, ignorierte Anträge der Abgeordneten, versuchte ihnen das Wort zu entziehen und ließ mehrfach Wortmeldungen nicht zu. Dafür erntete er scharfe Kritik. Die Sitzung endete nach etlichen Unterbrechungen, Zwischenrufen und verbalen Auseinandersetzungen mit einem Eklat. Es gelang dem Parlament nicht einmal, seine Beschlussfähigkeit festzustellen.
Die Abgeordneten von CDU, BSW, Linke und SPD lasten das Treutler an und sehen damit ihre Rechte unzulässig beschnitten sowie das Mehrheits- und Demokratieprinzip angegriffen. Die AfD wiederum wirft den anderen Fraktionen vor, sich nicht an parlamentarische Gepflogenheiten zu halten. Björn Höcke warf ihnen Taschenspielertricks vor.
Den Verfassungsrichtern wurde von der CDU ein Eilantrag vorgelegt, über den sie entscheiden sollen. Nach Angaben aus der CDU-Fraktion werden sich an dem Antrag auch die drei anderen Fraktionen beteiligen. Im Grunde geht es um die Regeln, an die sich Alterspräsident Treutler beim zweiten Anlauf halten muss - dazu gehört beispielsweise, dass er sich an die Tagesordnung hält und den Änderungsantrag von CDU und BSW nicht ignoriert. Am Freitag um 12 Uhr lief eine Stellungnahmefrist für Treutler aus, in der Folge will das Gericht beraten und entscheiden. Weil es sich um ein Eilverfahren handelt, werden die Richter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Der Zeitdruck liege in der Natur der Sache, aber der Landtag könne das Verfassungsgericht nicht zeitlich binden.
Experte: Verfassungsverstoß
Die AfD wollte ein "bisschen die Demokratie, die Geschäftsordnung und vielleicht auch die Thüringer Verfassung vorführen und die Grenzen austesten", sagte der Professor für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er habe das Agieren des AfD-Alterspräsidenten als ein inszeniertes Schauspiel empfunden. "Ich würde vor allem einen Verstoß gegen das freie Mandat der Abgeordneten sehen. Weil dieses Mandat auch das Recht beinhaltet, am parlamentarischen Prozess teilnehmen zu können, Anträge stellen zu können, Reden halten zu können", sagte Brenner.
Den Abgeordneten sei durch das Agieren des Alterspräsidenten ihr ureigenes Recht, die Ausübung des freien Mandats, vorenthalten worden, so der Jurist weiter. Man könne aber durchaus auch Verstöße gegen das Demokratieprinzip und das Mehrheitsprinzip erkennen. "Ich kenne keinen Vorgängerfall, der ähnliches Ausmaß hat." Brenner machte klar, dass er die Rechtsauffassung der AfD nicht teilt. "Wenn man der Auffassung Treutlers folgen würde, müssten sich die neu gewählten Abgeordneten einer Geschäftsordnung unterwerfen, die die alten Abgeordneten des siebten Landtags aufgestellt haben. Das kann nicht sein. Wenn der neue Landtag zusammengekommen ist, dann hat der das Recht, sich selber zu organisieren", sagte der Experte.
Er rechnet damit, dass die Verfassungsrichter zu dem Schluss kommen, dass durch das Verhalten des Alterspräsidenten gegen die Verfassung verstoßen wurde. "Ich würde mir wünschen, dass das Verfassungsgericht auch einige Sätze sagt zur Rolle des Alterspräsidenten, um zu verhindern, dass am Samstag ähnliche Spielchen gespielt werden", sagte Brenner weiter.