Sechs Jahre Haft wegen sexuellen Kindesmissbrauchs für Kardinal Pell

Sechs Jahre Haft wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Chorknaben lautet das Strafmaß, das Richter Peter Kidd am 13.03.2019 in Melbourne gegen den australischen Kardinal George Pell verhängt hat. Pell, ehemaliger Papst-Vertrauter, der Rang drei in der Hierarchie des Vatikans bekleidete, ist der ranghöchste Geistliche, der jemals wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Der Schuldspruch war bereits im Dezember 2018 erfolgt. Pell hat Berufung eingelegt.

Entlassung frühestens Ende 2023

In einem schmucklosen Saal mit 120 Leuten verkündet der Richter am 13.03.2019 das Verdikt gegen den einstmals sehr mächtigen Mann mit zwei künstlichen Kniegelenken: Sechs Jahre soll der australische Kurienkardinal George Pell ins Gefängnis, weil er vor langer Zeit, noch als Erzbischof der Millionenstadt Melbourne, zwei Chorknaben sexuelle Gewalt angetan hat. Frühester Entlassungstermin: Ende 2023. Jeder weiß, was das für einen Mann von 77 Jahren bedeuten kann: Haft bis zum Ende des Lebens. Pell verzieht trotzdem keine Miene. Eine Frau ruft "Halleluja!" in den Saal.

Zwei Chorknaben in den 1990er Jahren sexuell missbraucht

Die Fälle, um die es geht, liegen mehr als 20 Jahre zurück. Kurz vor Weihnachten 1996, so das Gericht, ertappte Pell in Melbournes St.Patrick's-Kathedrale zwei Chorknaben dabei, wie sie Messwein tranken. Richter Peter Kidd liest das noch einmal in aller Ausführlichkeit vor. Wie Pell zu den 13-Jährigen sagte: "Jetzt seid Ihr in Schwierigkeiten", sie in die Sakristei holte, sie sexuell belästigte. Wie er einen der beiden ein paar Wochen später nochmals anging. Pell hört sich das alles ohne sichtbare Regung an.

Pell war Nummer drei in der Hierarchie des Vatikans

Damit ist ein Prozess zu Ende, wie es ihn in der Geschichte der australischen Justiz und auch der katholischen Kirche noch nie gegeben hat. Pell – mit fast zwei Metern immer noch von riesiger Statur, auch wenn er inzwischen am Stock geht – ist der ranghöchste Geistliche, der jemals wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt wurde. Als Finanzchef von Papst Franziskus war er noch bis in den Februar 2019 hinein die Nummer drei des Vatikans.

Papst ernannte Pell trotz Gerüchte zu Präfekt des Wirtschaftssekretariats

Im Lauf der Jahre gab es immer wieder Gerüchte, auch über andere Dinge, die auch in den Vatikan gelangten. Trotzdem machte ihn Franziskus 2014 zum Präfekten des Wirtschaftssekretariats. Pell gehörte zum konservativen Lager. Mit seinen Meinungen zu Abtreibung, künstlicher Befruchtung oder Homosexualität war er für manche eine Hassfigur. Einmal sagte er: "Abtreibung ist ein schlimmerer moralischer Skandal als Priester, die Kinder sexuell missbrauchen."

Pell wies Vorwürfe zurück

Im Prozess schwieg er dann jedoch – abgesehen davon, dass er sich als "nicht schuldig" bekannte. Aus taktischen Gründen verzichtete Pell darauf, vor den Geschworenen in den Zeugenstand zu gehen. Auch nachdem im Jahr 2018 eine neue Jury eingesetzt wurde, weil sich die erste nicht auf ein Urteil verständigen konnte. Ob aus eigener Überzeugung oder auf Anraten seiner Anwälte, weiß man nicht. Grundlage für seine Sicht der Dinge war somit das Video einer Vernehmung. Darin wies er alle Vorwürfe barsch zurück.

Geschworene sprachen Pell einstimmig schuldig

Demgegenüber ließ sich einer der beiden einstigen Chorknaben vom Gericht vier Tage lang ausführlich befragen. Der andere konnte nicht mehr angehört werden: Er starb vor einigen Jahren an einer Überdosis Rauschgift. Der Hauptbelastungszeuge – inzwischen Mitte 30, im Prozess nur "J" genannt – machte offenbar einen sehr glaubwürdigen Eindruck. So stand Aussage gegen Aussage: "J" gegen den Kardinal. Die Entscheidung fiel eindeutig aus. Von zwölf Geschworenen sprachen alle zwölf Pell schuldig, in insgesamt fünf Punkten.

Alter, Gesundheit und Lebensleistung strafmildernd berücksichtigt

Auch Richter Kidd lässt in seiner Urteilsbegründung keinen Zweifel daran, dass Pells Schuld für ihn erwiesen ist. Er nennt Pells Vorgehen "dreist" und "atemberaubend arrogant". Trotzdem bleibt er deutlich unter der möglichen Höchststrafe von 50 Jahren – wegen des Alters, der Gesundheit, der Lebensleistung und auch weil "kein Risiko einer Wiederholungstat" bestehe. Den Vorwurf von Pells verschiedenen Fürsprechern, der Kardinal werde zum "Sündenbock" für Verfehlungen der gesamten Kirche gemacht, weist er scharf zurück.

Entscheidung noch nicht rechtskräftig

Der Kardinal kann jetzt nur noch auf ein Berufungsverfahren hoffen. Vermutlich im Juni 2019 fällt die Entscheidung, ob es dazu kommt. Tatsächlich halten es viele für möglich, dass das Ganze doch noch mit einem Freispruch endet. Auch "J" zweifelt, ob das Urteil Bestand haben wird. In einer Erklärung, die er über seine Anwälte verbreiten lässt, heißt es: "Alles wird überschattet von der bevorstehenden Berufung. Ich warte wie jeder andere darauf, wie sie ausgehen wird." Einstweilen hat das Urteil aber Bestand. Noch im Saal wird Pells Name ins australische Register der verurteilten Sexualstraftäter eingetragen. Er selbst muss unterschreiben. Dann bringen ihn sechs Beamte ins Gefängnis. Auf Handschellen, wie das sonst üblich ist, verzichten sie.

Redaktion beck-aktuell, Christoph Sator und Subel Bhandari, 13. März 2019 (dpa).