Am Sonntag findet in Polen die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen statt. Der momentane Präsident, Andrzej Duda, konnte nicht mehr antreten, da in Polen nur eine Wiederwahl in das Amt möglich ist.
Nachdem in der ersten Wahlrunde kein Kandidat die absolute Mehrheit erzielen konnte, tritt in der Stichwahl Rafał Trzaskowski von der Bürger-Koalition, der auch der seit Ende 2023 amtierende Ministerpräsident, Donald Tusk, angehört, gegen den Parteilosen Karol Nawrocki an, der von der PiS-Partei unterstützt wird. Drei Tage vor der zweiten Runde führt Trzaskowski laut einer Ipsos-Umfrage knapp vor Nawrocki. Da die möglichen Messfehler der Umfrage jedoch bei +/- 3% liegen, bezeichnen die Wahlforschenden es als unmöglich, den Favoriten zu bestimmen. Die Wahl ist für die Reformen Polens auf dem Weg zurück in den Rechtsstaat entscheidend.
Die Befugnisse des Präsidenten der Republik
Der bisherige Präsident, Andrzej Duda, hat die Reformen bislang blockiert. Nach der gültigen Verfassung (Verf) von 1997 ist der Präsident der Republik der oberste Vertreter des Staates und Gewährsmann für die Fortdauer der Staatsgewalt (Art. 126 Abs. 1 Verf). Er vertritt den polnischen Staat in den auswärtigen Beziehungen und steht den Streitkräften vor. Er hat zudem das Recht, die Staatsangehörigkeit zu verleihen, Begnadigungen auszusprechen und Orden zu verleihen.
Seine Amtsakte bedürfen nach Art. 144 Verf in der Regel der Gegenzeichnung des Ministerpräsidenten, es besteht jedoch ein Ausnahmekatalog von 30 Punkten. An der Regierungsbildung ist der Präsident insofern beteiligt, als er nach Art. 154 Verf den Ministerpräsidenten beruft, zusammen mit den übrigen Mitgliedern des Ministerrats. Die Verfassung sieht zudem die Mitwirkung des Staatsoberhaupts am konstruktiven Misstrauensvotum vor. Auch ein Misstrauensvotum gegen einzelne Minister ist zulässig.
Bei der Gestaltung der Außenpolitik wirkt der Präsident mit dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister zusammen (Art. 133 Abs. 3 Verf). Das bedeutet, dass die drei Personen bei der Formulierung und Implementierung der polnischen Außenpolitik eng zusammenarbeiten müssen. Es hat sich gezeigt, dass sich die faktische Kompetenzverteilung in außenpolitischen Fragen fast mit jeder personellen Veränderung innerhalb des Dreiecks Präsident – Ministerpräsident – Außenminister geändert hat. Nach amerikanischem Vorbild berät den Präsidenten ein Nationaler Sicherheitsrat für innen- und außenpolitische Fragen. Der Präsident ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Hinsichtlich der Gesetzgebung hat er nach Art. 118 Abs. 1 Verf das Recht, Gesetzesvorschläge einzubringen. Vom Sejm, dem polnischen Unterhaus, verabschiedete Gesetze unterzeichnet das Staatsoberhaupt nach Art. 122 Verf innerhalb von 21 Tagen und ordnet ihre Veröffentlichung im Gesetzblatt an. Er hat das Recht, eine präventive Normenkontrolle beim VerfGH einzureichen. Entscheidet der VerfGH, dass das Gesetz verfassungsmäßig ist, muss der Präsident es ausfertigen. Außerdem kann er eine abstrakte (nachträgliche) Normenkontrolle einlegen. Alternativ kann der Präsident ein Gesetz auch mit einem Veto belegen. Um dieses zu überstimmen, bräuchte der Sejm eine Dreifünftelmehrheit (Art. 122 Abs. 5 Verf). Ein Veto gegen den Staatshaushalt ist unzulässig.
Die Reformbemühungen der Regierung
Seit im Dezember 2023 in Polen die neue Regierung unter Donald Tusk ins Amt gekommen ist, die aus den demokratischen Kräften besteht, die den Rechtsstaat wiederherstellen wollen, setzt Präsident Andrzej Duda alles daran, das zu verhindern.
Während der neunjährigen Regierungszeit der PiS wurden viele staatliche Institutionen politisch besetzt und neue Gesetze beschlossen, die dies ermöglichten. Besonders im Justizbereich ist die Erosion des Rechtsstaats weit fortgeschritten, wie zahlreiche EGMR- und EuGH-Urteile feststellten.
Unmittelbar nach Amtsantritt begann die neue Regierung mit der Wiederherstellung der öffentlichen Institutionen. Einen ersten wichtigen Schritt markiert die Wiederherstellung der Unparteilichkeit der polnischen öffentlich-rechtlichen Medien. Außerdem tauschte der Justizminister, Adam Bodnar, die Führungsspitze der Staatsanwaltschaft aus, die mit Staatsanwältinnen und Staatsanwälten besetzt war, die politisch dem PiS-Lager angehören. Dazu brauchte es keine Gesetze, die Regierung konnte das unmittelbar durch Personalentscheidungen umsetzen.
Weitere Reformen brachte sie durch Gesetzentwürfe auf den Weg. Besonders wichtig sind der Gesetzentwurf über den Landesjustizrat und die Berufung von Richtern und Richterinnen sowie das Verfassungsänderungsgesetz hinsichtlich des VerfGH und zweier Gesetze über den VerfGH, die auch von der Venedig-Kommission begutachtet wurden.
Der Vorwand des Präsidenten für seine Blockaden
Präsident Duda begründete seine Blockade von Gesetzesprojekten unter anderem damit, dass die neue Regierung Begnadigungen von PiS-Politikern für rechtswidrig erachtete, die er im Jahr 2015 vorgenommen hatte, und das Verfahren fortsetzte.
Im Jahr 2015 waren der spätere Innenminister der PiS-Regierung, Marius Kamiński, und der spätere Staatssekretär im Innenministerium, Maciej Wąsik, von einem Warschauer Bezirksgericht wegen Überschreitung ihrer Befugnisse in der sogenannten Grundstücksaffäre zu drei Jahren Freiheitsstrafe und einem Amtsverbot verurteilt worden. Das Urteil wurde jedoch nie rechtskräftig.
2007 hatten die beiden Politiker als Leiter der Zentralen Antikorruptionsbehörde eine inszenierte Schmiergeldzahlung vorbereitet, um den damaligen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper der Bestechung zu überführen. Bevor das Urteil gegen sie rechtskräftig wurde, begnadigte Präsident Duda sie. Diese Begnadigung war rechtlich fragwürdig, denn nach herrschender Meinung kann eine Begnadigung erst nach einem Urteil erfolgen. Das bestätigte im Fall der beiden Angeklagten auch das Oberste Gericht (OG) im Jahr 2017.
Auf diesen Beschluss stützte sich die neue Regierung unter Donald Tusk, als sie im Dezember 2023 das Verfahren gegen beide Angeklagte weiterführte. Das Bezirksgericht Warschau verurteilte sie zu zwei Jahren Freiheitsstrafe und zum Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter. Kamiński und Wąsik waren zu diesem Zeitpunkt beide Sejmabgeordnete der PiS-Partei und konnten aufgrund des Urteils ihr Amt nicht mehr ausüben. Im Januar 2024 traten sie ihre Haftstrafen an.
Präsident Duda aber bestand darauf, dass seine ursprüngliche Begnadigung rechtsgültig sei und sie somit widerrechtlich in Haft genommen worden seien. Er begnadigte die Verurteilten erneut. Ihr Sejmmandat konnten sie danach allerdings nicht mehr antreten, obwohl der Präsident – entgegen der herrschenden Meinung - auch den Verlust von öffentlichen Ämtern als von der Begnadigung umfasst ansah.
Die Blockaden des Präsidenten
Das Haushaltsgesetz legte Duda deshalb mit der Begründung dem VerfGH zur Prüfung vor, dass es verfassungswidrig zustande gekommen sei, weil diese beiden Abgeordneten widerrechtlich nicht zum Sejm zugelassen worden seien und daher nicht abstimmen konnten.
Diesen Vorwand nutzte der Präsident, um weitere Gesetzesvorhaben der neuen Regierung zu blockieren. Vor allem der Wiederherstellung des Rechtsstaats stellt er sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln entgegen. Die Anzahl der Vetos, die er eingelegt, und der Normenkontrollverfahren, die er anhängig gemacht hat, ist für die erste kurze Amtszeit der liberal-konservativen Regierung unter Donald Tusk außergewöhnlich hoch.
Sonderregelungen für die Durchführung des Haushaltsgesetzes 2024 blockiert er dabei ebenso wie die Novellierung des Pharmazierechts, Änderungen des Gesetzes über nationale und ethnische Minderheiten und Regionalsprachen und das Gesetz über die Aufhebung des Gesetzes über die Staatliche Kommission zur Untersuchung des russischen Einflusses auf die innere Sicherheit der Republik Polen 2007-2022. Erst im Mai legte der Präsident ein Veto über das Gesetz über die aus öffentlichen Mitteln finanzierten Gesundheitsdienstleistungen ein.
Präventive und nachträgliche (abstrakte) Normenkontrollen vor dem VerfGH sind aktuell anhängig gegen das Haushaltsgesetz für das Jahr 2025 (K 2/25), das Gesetz zur Erhöhung der Zahl der Handelssonntage vor Weihnachten (K 1/25), das Gesetz zur Änderung des StGB, das Hassrede pönalisieren soll (Kp 3/25), das Gesetz über den Status von zu Freiheitsstrafen verurteilten Abgeordneten des Sejm oder Senats (Kp 2/25), die Novelle des Sportgesetzes (Kp 1/25) und das Änderungsgesetz zum Landesjustizrat (Kp 2/24).
Veto zur Wahlprüfung
Ein Veto hat Duda auch gegen das sogenannte Nebengesetz eingelegt. Nach dem Gesetz soll die Gültigkeit der jetzt anstehenden Präsidentschaftswahlen von den 15 dienstältesten Richtern und Richterinnen am OG überprüft werden, und nicht - wie bisher - von der Obersten Kontrollkammer am OG, die vollständig mit Richterinnen und Richtern besetzt ist, die nach der sogenannten Justizreform der PiS-Regierung berufen wurden. Neben der Europäischen Kommission hält auch der EuGH die Kontrollkammer für nicht ordnungsgemäß besetzt.
Die Vetos und Normenkontrollverfahren sind nur die Spitze des Eisbergs der Blockade der Regierung. Der weitaus größere Teil passiert auf politischer Ebene. Mit Andrzej Duda behindert ein Präsident, der der PiS-Partei nahesteht, die Arbeit der Regierung. Die demokratischen Parteien Polens, die aktuell die Regierung stellen, werden ihre Ziele künftig nur dann effektiv erreichen können, wenn am Sonntag ein Kandidat der Partei zum Präsidenten gewählt wird, die auch den jetzigen Ministerpräsidenten stellt. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, nicht zuletzt im Bereich der Justiz.
Die Autorin Tina de Vries ist Rechtsanwältin in Regensburg und Kiel und Referentin für polnisches Recht am Institut für Ostrecht in Regensburg.