OVG Weimar: Während Corona-Pandemie erlaubter Lebensmittelhandel nicht auf Grundversorgung beschränkt

Die Stadt Suhl durfte einem Ladenbesitzer, der neben einem umfangreichen Sortiment alkoholischer Getränke unter anderem Schokoladenprodukte, Kaffee, Tee, Kakao, Gebäck und verschiedene Feinkostartikel anbietet und der sein Ladengeschäft trotz der zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus erlassenen Allgemeinverfügung der Stadt nicht geschlossen hatte, kein Zwangsgeld androhen. Dies hat das Thüringer Oberverwaltungsgericht in Weimar mit Beschluss vom 07.04.2020 entschieden und die Beschwerde der Stadt gegen einen Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen zurückgewiesen. Der Mann sei nicht verpflichtet, sein Ladengeschäft zu schließen, heißt es in der Begründung. Der Begriff des Lebensmittelhandels sei nicht auf die Versorgung mit Lebensmitteln des Grundbedarfs eingeengt (Az.: 3 EO 236/20).

Allgemeinverfügung durch höherrangiges Landesrecht ersetzt

Die Allgemeinverfügung der Stadt vom 19.03.2020 entfalte keine eigenständige Wirksamkeit mehr, stellt das OVG Weimar zunächst klar. Sie sei hinsichtlich der hierin geforderten Ladenschließung durch höherrangiges Recht, nämlich die Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (ThürSARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung) des Thüringer Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie vom 26.03.2020 ersetzt worden. Sie sei wort- und inhaltsgleich mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Thüringer Verordnung, sodass sich kein eigener, weitergehender Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung in diesem Teil mehr finde.

Nicht nur Lebensmittelgeschäfte der Grundversorgung erfasst

Soweit die Stadt ihrer Allgemeinverfügung einen anderen Sinn und Zweck beimessen wolle als der wortgleichen Rechtsverordnung des Landes, nämlich, dass nur Lebensmittelgeschäfte der Grundversorgung von der Ausnahmevorschrift der ansonsten geltenden Schließungsanordnung für Einzelhandelsgeschäfte erfasst seien, sei dafür im Wortlaut der Allgemeinverfügung kein Anknüpfungspunkt zu erkennen, so das OVG. Auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sei der Begriff des Lebensmittelhandels auch vor dem Hintergrund anderweitiger lebensmittelrechtlicher nationaler und europarechtlicher Vorschriften nicht auf die Versorgung mit Lebensmitteln des Grundbedarfs eingeengt. Ein solcher Begriff sei dem geltenden Recht fremd.

Getränkeläden ausdrücklich benannt

Einem einengenden Verständnis stünden überdies die in der Vorschrift genannten Beispiele, wie Bäckereien, Fleischereien und Hofläden, entgegen. Insbesondere zeige die ausdrückliche Benennung von Getränkeläden, dass auch ein Angebot alkoholischer Waren einer Qualifikation als Lebensmittelhandel nicht entgegenstehe. Da der Ladenbesitzer nach alldem nach Landesrecht und nach den örtlichen Vorschriften nicht verpflichtet sei, sein Geschäft zu schließen, könne er auch nicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs dazu angehalten werden. Daher sei die Zwangsgeldandrohung rechtswidrig und das VG habe im Ergebnis zu Recht die aufschiebende Wirkung des dagegen gerichteten Widerspruchs angeordnet. Der Beschluss ist unanfechtbar.

OVG: Weitere Eilanträge liegen vor

Das Thüringer OVG weist in seiner Mitteilung darauf hin, dass noch zwei Eilanträge nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen die Thüringer SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung vorliegen. Zum einen wende sich eine ökumenische Klostergemeinschaft dagegen, dass nach der Verordnung unter anderem Veranstaltungen in Kirchen untersagt sind. Sie sieht sich dadurch in ihrer grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit verletzt (Az.: 2 EN 238/20). Zum anderen wende sich der Betreiber eines Fitnessstudios gegen die Verordnung. Dieser berufe sich auf eine Verletzung seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG (Az.: 2 EN 232/20).

Redaktion beck-aktuell, 8. April 2020.