OLG Stuttgart: Entreicherungseinwand des Versicherers bei Widerspruch gegen fondsgebundene Lebensversicherung

VVG a. F. § 5a II 4; VVG § 215 I; BGB §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II; EGBGB a. F. Art. 37 Nr. 4

Bei der Rückabwicklung von nach dem Policenmodell geschlossenen, aber wirksam widerrufenen Verträgen über eine fondsgebundene Lebensversicherung steht das europarechtliche Effektivitätsgebot im Fall eines erheblichen und nicht nur geringen Verlustes oder auch im Fall eines Totalverlustes der Sparanteile der Prämien einer Berufung des Versicherers auf die sich nach nationalem Recht ergebende Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB nicht entgegen. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden.

OLG Stuttgart, Urteil vom 22.05.2017 - 7 U 34/17 (LG Ravensburg), BeckRS 2017, 118011

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 16/2017 vom 10.08.2017

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Sachverhalt

Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine liechtensteinische Versicherungsgesellschaft, Ansprüche aufgrund bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung einer 2005 abgeschlossenen fondsgebundenen Lebensversicherung in Folge eines 2016 erklärten Widerspruchs geltend. Für den Fonds wurde 2009 die Liquidation eingeleitet. Nach deren Abschluss teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass kein Policenguthaben mehr vorhanden sei. Unstreitig war der Kläger beim Abschluss nicht korrekt über sein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a. F. belehrt worden.

Nachdem die Beklagte in der Ersten Instanz einen Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Abschluss- und Verwaltungskosten anerkannt hat, macht der Kläger noch einen Anspruch auf Rückzahlung der gesamten restlichen eingezahlten Einmalprämie abzüglich des Risikoanteils geltend. Die Fondsverluste seien von der Beklagten zu tragen, da sonst das Widerspruchsrecht entwertet werde. Die Beklagte beruft sich insofern auf Entreicherung. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb (abgesehen von zugesprochenen Zinsen auf den von der Beklagten anerkannten Betrag) erfolglos.

Rechtliche Wertung

Grundsätzlich könne der Kläger aufgrund des wirksam erklärten Widerspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung die Rückzahlung der eingezahlten Einmalprämie verlangen, so das OLG. Dies ergebe sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung von § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11, BeckRS 2014, 10269, Anmerkung Grams in FD-VersR 2014, 358482).

Der Kläger müsse sich jedoch bereicherungsmindernd anrechnen lassen, dass der Fonds, in den die Sparanteile der von ihm gezahlten Prämie angelegt worden seien, einen Totalverlust erlitten habe, so dass die Anteile des Klägers zum Zeitpunkt des Widerspruchs wertlos gewesen seien. Die Fondsverluste seien insoweit adäquat-kausal durch die Prämienzahlung des Klägers entstanden, als der Sparanteil der Prämie vereinbarungsgemäß in Fonds angelegt worden ist. Damit beruhten die Vermögensnachteile der Beklagten adäquat-kausal auf der Bereicherung.

Der Lebensversicherungsvertrag sei nach dem wirksam erklärten Widerspruch rückwirkend (ex tunc) und nicht erst ab der Widerspruchserklärung (ex nunc) rückabzuwickeln. Im Falle der Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB seien die rechtsgrundlos erlangten Leistungen grundsätzlich ab dem Zeitpunkt ihres Erhalts zurück zu gewähren. Nach dem zum Ausdruck kommenden Willen der Vertragsparteien sei das Verlustrisiko dem Versicherungsnehmer zugewiesen. Bei der fondsgebundenen Lebensversicherung entscheide sich der Versicherungsnehmer für ein Produkt, bei dem die Höhe der Versicherungsleistung - abgesehen von der Todesfallleistung - nicht von vornherein betragsmäßig festgelegt sei, sondern vom schwankenden Wert des Fondsguthabens abhänge. Dies rechtfertige es, ihm das Verlustrisiko auch dann zuzuweisen, wenn der Versicherungsvertrag nicht wirksam zu Stande kommt und rückabgewickelt werden muss.

Dem stehe auch das europarechtliche Effektivitätsgebot im Hinblick auf die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a VVG a. F. nicht entgegen. Es sei auch europarechtlich unbedenklich, einem Versicherungsnehmer und Verbraucher diejenigen Risiken zuzuweisen, die unmittelbar mit der von ihm selbst gewählten Kapitalanlage und der Anlagestrategie verbunden seien. Umgekehrt wäre es dem Kläger auch zugutegekommen, wenn der Fonds Gewinne erwirtschaftet hätte. Diese hätte der Versicherer aufgrund des Widerspruchs an den Versicherungsnehmer auskehren müssen.

Praxishinweis

Das OLG ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Der Kläger hat Revision zum BGH eingelegt; diese wird dort unter dem Az. IV ZR 151/17 geführt.

Der BGH hat zwar mit Urteil vom 11.11.2015 - IV ZR 513/14 (BeckRS 2015, 19296) ebenfalls bereits entschieden, dass das Verlustrisiko vom Versicherungsnehmer zu tragen ist, hat dabei aber nicht explizit zu der Vereinbarkeit mit dem europarechtlichen Effektivitätsgebot Stellung genommen.

Redaktion beck-aktuell, 23. August 2017.