OLG Karlsruhe: «Ewiges» Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. bei unterlassener Information über Zugehörigkeit zu Sicherungseinrichtung (Sicherungsfonds)

VVG §§ 78 II 1, 86 I 1; VAG a.F. § 10a I

Die Widerspruchsfrist des § 5a VVG a. F. beginnt nicht zu laufen, wenn mit dem Versicherungsschein eine gebotene Verbraucherinformation über die Zugehörigkeit zu einer Sicherungseinrichtung (Sicherungsfonds) nicht erteilt wurde. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden. Weiter beschäftigten sich die Richter mit der Zulässigkeit einer Berufung, wenn nach erstinstanzlicher Abweisung einer Feststellungsklage auf Feststellung des Nichtzustandekommens (§ 5a VVG a.F.) eines Lebensversicherungsvertrags nunmehr mit der Berufung auf eine Leistungsklage (Stufenklage) umgestellt wird.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.06.2019 - 12 U 134/17 (LG Karlsruhe), BeckRS 2019, 19886

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 20/2019 vom 02.10.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt in der Berufungsinstanz (nach erstinstanzlicher Klage auf Feststellung des Nichtbestehens des Vertrages) zuletzt noch Auskunft und Zahlung aus einem Rentenversicherungsvertrag, den die Klägerin zum 01.08.2007 nach dem sogenannten Policenmodell abgeschlossen hatte. Anfang 2016 erklärte die Klägerin den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages, da die ihr erteilte Verbraucherinformation unvollständig gewesen sei.

Das Landgericht wies die Klage wegen fehlenden Feststellungsinteresses ab, da eine Leistungsklage, jedenfalls in Verbindung mit einem Auskunftsbegehren, möglich und zumutbar gewesen sei. Das OLG hob das LG-Urteil auf und gab der Klage teilweise statt.

Rechtliche Wertung

Die Berufung sei trotz der Umstellung der Klageanträge von einer Feststellungsklage in eine Stufenklage zulässig, da mit ihr das erstinstanzliche Begehren weiterverfolgt werde, so das OLG. Das erstinstanzliche Feststellungsbegehren habe der Vorbereitung des in der Berufung verfolgten Leistungsbegehrens gedient. Beide resultierten aus demselben Klagegrund, das Feststellungsbegehren könne neben der Stufenklage als Inzidentfeststellungsklage weiterverfolgt werden.

Die Klägerin habe dem Vertrag noch 2016 wirksam widersprechen können, da die bei Abschluss erteilten Verbraucherinformationen nicht vollständig gewesen seien bzw. eine nach § 10a VAG a.F. zu erteilende Information unterlassen worden sei. Gefehlt habe eine Angabe über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds) gemäß § 10a VAG in Verbindung mit Abschnitt I Teil D Nr. 1 i. Die Bestimmung erfordere auch die Mitteilung, dass die Versicherung einer solchen Einrichtung nicht angehöre bzw. der Versicherungsnehmer sei in Kenntnis zu setzen, dass bei der konkreten Versicherung kein solcher Sicherungsfonds bestehe.

Eine Unterscheidung nach der Vertragsrelevanz sei im Gesetz nicht getroffen worden und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt. Für den Versicherungsnehmer sei es gerade auch von Bedeutung, zu wissen, ob eine Zugehörigkeit besteht oder nicht. Dies sei maßgeblich für die Absicherung der mit dem Versicherungsvertrag seitens des Versicherers abgegebenen Vertragsversprechen. Keineswegs könne davon ausgegangen werden, dass insoweit kein berechtigtes Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers bestehe.

Die Vertragsrelevanz ergebe sich schon daraus, dass der Gesetzgeber diese Angabe in den Katalog aufgenommen und damit festgelegt habe, dass diese Angabe neben den ansonsten geforderten Informationen relevant ist. Der Versicherungsnehmer sei auch daran interessiert, zu wissen, ob seine Ansprüche gesichert sind und an wen er sich im Fall einer Insolvenz oder wirtschaftlichen Notlage des Versicherers wenden kann. Dies sei in jedem Fall ein vertragsrelevanter Gesichtspunkt.

Praxishinweis

Das OLG ließ die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu, da es bei der Frage der Relevanz fehlender Verbraucherinformationen in Bezug auf Angaben zum Sicherungsfonds von der Entscheidung mehrerer anderer Oberlandesgerichte abweicht. Die Revision ist beim BGH anhängig unter dem Az. IV ZR 186/19.

Die Gegenansicht vertritt die Auffassung, ein Widerspruchsrecht werde nicht ausgelöst, wenn die unterlassene einen Punkt betreffe, der außerhalb des Vertrags liege oder nicht zur Disposition des Versicherers stehe (vgl. Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 5a Rn. 21) bzw. wenn es sich um eine Information handle, die dem Versicherungsnehmer keinen Anlass bieten könne, vom Abschluss des Vertrags abzusehen (OLG Köln, Urteil vom 29.04.2016 – I-20 U 4/16, BeckRS 2016, 117188; OLG München, Beschluss vom 16.11.2017 – 25 U 3439/17, BeckRS 2017, 144381; OLG Saarbrücken, Urteil vom 21.02.2018 – 5 U 45/17, BeckRS 2018, 3965). Das Bestehen einer Sicherungseinrichtung sei für den Versicherungsnehmer ausschließlich vorteilhaft. Ohne Information werde er nicht irrtümlich vom Vorliegen einer solchen Sicherung ausgehen.

Der Senat des OLG Karlsruhe hatte bereits mit Urteil vom 20.10.2015 - 12 U 439/14 so entschieden. Eine dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen (Beschluss vom 21.03.2018 - IV ZR 512/15; beide nicht veröffentlicht).

Der BGH hat mit Urteil vom 18.07.2018 (Az.: IV ZR 68/17, r+s 2018, 472) zur Antragsbindung (nicht zum Widerspruchsrecht) des Versicherungsnehmers entschieden, dass das Fehlen einer vorgeschriebenen Einzelinformation irrelevant sei, wenn dies konkret keinem berechtigten Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers diene. Für die Frage der Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds hat er diese Relevanz offengelassen.

Redaktion beck-aktuell, 15. Oktober 2019.