Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 3/2018 vom 08.02.2018
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Sachverhalt
Der Kläger begehrt von der Beklagten Invaliditätsleistungen aus einer privaten Unfallversicherung. Er hatte 2009 im Alter von 56 Jahren bei einem Tauchgang in etwa 12–15 Metern Tiefe das Bewusstsein verloren und wäre fast ertrunken, nachdem er zuvor signalisiert hatte, dass sein Luftvorrat zur Neige gehe. Im Krankenhaus wurde eine Hirnblutung diagnostiziert, die zu einer dauerhaften halbseitigen Lähmung führte. Der Kläger behauptet, er habe das Bewusstsein verloren, weil sein Tauchpartner ihn mit der Flosse am Kopf getroffen habe, wodurch seine Maske verrutscht sei und er in Panik beim Ausblasen der Maske das Mundstück verloren habe. Die Beklagte macht geltend, dass die Hirnblutung ohne äußeres Ereignis eingetreten sei.
Nach den Versicherungsbedingungen besteht Unfallversicherungsschutz für unfreiwillige tauchtypische Gesundheitsschädigungen (z.B. Caissonkrankheit, Trommelfellverletzungen) und für den unfreiwilligen Ertrinkungs- bzw. Erstickungstod unter Wasser (Ziff. 1.5). Ausgeschlossen sind dagegen unter anderem Gehirnblutungen, sofern nicht ein äußeres Unfallereignis die überwiegende Ursache war (Ziff. 5.2.1). Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, der Kläger habe die Invalidität nicht gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB innerhalb von 15 Monaten ärztlich feststellen lassen.
Das OLG wies die Berufung des Klägers zurück, allerdings mit einer völlig anderen Begründung.
Rechtliche Wertung
Der Arztbericht vom 12.08.2009 enthalte eine Invaliditätsfeststellung im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB, so das OLG. Dort sei als Ursache des «mit hoher Wahrscheinlichkeit» prognostizierten Dauerschadens eine Stammganglienblutung mit dem Datum des Tauchgangs angegeben. Dies sei eine sowohl hinsichtlich der medizinischen Ausprägung als auch in zeitlicher Hinsicht ausreichend konkrete Bezeichnung. Unschädlich sei, dass diese Ursache nicht explizit als «Unfall» bezeichnet und der ihr zugrunde liegende Lebenssachverhalt nicht angegeben sei.
Eine derartige Qualifizierung sei einem behandelnden Arzt aus eigenem Wissen im Allgemeinen gar nicht möglich, da er regelmäßig den (gegebenenfalls) als Unfall zu beurteilenden Sachverhalt nicht selbst wahrgenommen habe und dessen begriffliche Einordnung als «Unfall» eine rechtliche Subsumtion des - dem Arzt aus eigener Wahrnehmung nicht bekannten - Lebenssachverhalts unter diesen Rechtsbegriff erfordere. Beides unterfalle nicht der medizinischen Kompetenz des Arztes und entspreche auch nicht dem Zweck der ärztlichen Feststellung einer Invalidität.
Ein Unfallereignis oder eine tauchtypische Gesundheitsschädigung könnten jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit (§ 286 ZPO) festgestellt werden. Ein Ertrinkungstod sei nicht eingetreten. Die Klausel könne nicht auf Ereignisse ausgedehnt werden, die potentiell zum Ertrinken führen können, in concreto aber nicht geführt haben. Dass die Hirnblutung durch ein äußeres Ereignis (z.B. Tritt mit der Flosse oder Panikreaktion) eingetreten sei, habe der Kläger nicht nachgewiesen.
Auch eine tauchtypische Gesundheitsschädigung habe der beweisbelastete Kläger nicht nachgewiesen. Es könne nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht mit der gebotenen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Hirnblutung unabhängig von dem Tauchgang aufgetreten sei (wobei auch das Lebensalter des Klägers zu berücksichtigen sei).
Sei in Versicherungsbedingungen für die Unfallversicherung der Ertrinkungstod einem Unfall gleichgestellt, so bestehe damit nicht auch für solche Ereignisse Versicherungsschutz, welche sich als «Beinahe-Ertrinken» darstellen.
Sei in Versicherungsbedingungen für die Unfallversicherung eine «tauchtypische Gesundheitsschädigung» versichert, so müsse das Schadensereignis nicht gleichzeitig die allgemeinen Voraussetzungen eines «Unfalls» erfüllen.
Schließlich entschied das OLG, dass es nicht den Anscheinsbeweis einer «tauchtypischen Gesundheitsschädigung» im Sinne der Versicherungsbedingungen begründe, wenn der Versicherte bei einem Tauchgang eine Hirnblutung erleide.
Praxishinweis
Bei den Erwägungen des OLG zur Begründung der Zurückweisung der Berufung handelt es sich um Fragen des Einzelfalls sowie der Verteilung der Beweislast (die das OLG zutreffend beim Kläger gesehen hat).
Von allgemeiner Bedeutung sind die Ausführungen des OLG zu den Anforderungen an die ärztliche Feststellung der Invalidität. Die fristgerechte Feststellung stellt eine Anspruchsvoraussetzung für eine Invaliditätsleistung dar. Sie muss sich zu den Voraussetzungen der Invalidität verhalten, also dazu Stellung nehmen, ob und in welchem Bereich eine dauerhafte Beeinträchtigung vorliegt und diese kausal auf einen Unfall zurückzuführen ist (Dörner in MüKo-VVG 2. Aufl. § 178 Rn. 219 mit weiteren Nachweisen). Zu letztgenanntem Punkt hat nun das OLG entschieden, dass es unschädlich sei, wenn der Arzt das ursächliche Ereignis nicht explizit als Unfall bezeichnet und auch keinen konkreten Lebenssachverhalt angibt. Die Begründung, dass der Arzt bei dem Ereignis in aller Regel nicht dabei war (es sich also typischerweise um Hörensagen aufgrund der Angaben des Patienten/Versicherungsnehmers handelt) und auch nicht die fachliche Kompetenz zu einer rechtlichen Subsumtion hat, erscheint nachvollziehbar.
Für die anwaltliche Beratungspraxis bei der Vertretung von Versicherungsnehmern sei nach dem Gebot des sichersten Weges dennoch empfohlen, dem Mandanten anzuraten, auf eine möglichst umfassende Formulierung der ärztlichen Feststellung zu dringen.