OLG Hamm: Kaskoversicherung – Klauseln der AKB 2008 zur Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung sind wirksam

VVG §§ 6 III, 28, 32 Satz 1; AKB 2008 E.1

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Urteil entschieden, dass die Bedingungen zur Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung der AKB 2008 in der Fassung der GDV-Musterbedingungen wirksam sind. Der Umstand, dass die Regelung des § 28 Abs. 4 VVG (Hinweis des Versicherers nach Versicherungsfall) dort nicht erwähnt ist, führe nicht zur Unwirksamkeit der Bedingungen. Mit dieser Sichtweise weicht das Gericht von der Rechtsprechung des Landgerichts Berlin (Urteil vom 02.12.2016 – 42 O 199/16, r+s 2017, 344) ab. Als weiteren Aspekt führt das Oberlandesgericht Hamm in der Entscheidung aus, dass eine Lüge vor Gericht bei der Geltendmachung eines Kaskoanspruchs wegen Diebstahls dazu führen könne, dass die für den Versicherungsnehmer streitende «Redlichkeitsvermutung» widerlegt ist (hier Widerlegung bejaht).

OLG Hamm, Urteil vom 09.08.2017 - 20 U 184/15 (LG Bielefeld), BeckRS 2017, 120542

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 17/2017 vom 24.08.2017

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Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Kaskoversicherung auf Entschädigung für einen behaupteten Teilediebstahl am versicherten Porsche 911 in Anspruch. Die hier relevanten Klauseln der vereinbarten Versicherungsbedingungen entsprechen den Musterbedingungen AKB 2008 des GDV.

Der Kläger behauptete, er habe das Fahrzeug am 27.03.2014 gegen 20.00 Uhr an einer Straße in der Nähe einer von ihm angemieteten Garage unversehrt stehen gelassen. Gegen 23.00 Uhr habe er einen anonymen Anruf auf seinem Mobiltelefon erhalten. Der Anrufer habe gesagt: „P. Weg Felgen Backsteine“. Der Kläger sei etwa 20 Minuten später am Abstellplatz eingetroffen. Dritte hätten Räder und Scheinwerfer des Porsche entwendet. Der Kläger habe das Fahrzeug danach in Eigenleistung repariert und in einer Werkstatt lackieren lassen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Im ersten Termin vor dem OLG gab der Kläger an, der von der Beklagten beauftragte Zeuge V habe eine Nachbesichtigung des Fahrzeugs verlangt, als sich dieses in einer Werkstatt befunden habe. Er habe den Standort des Wagens nicht mitteilen wollen, weil er befürchtet habe, der Zeuge V werde den Werkstattbetreiber gegen sich aufbringen. Sein Rechtsanwalt habe ihm dazu gesagt, er müsse den Wagen nicht ein zweites Mal vorführen. Darauf habe er vertraut.

Im zweiten Termin berichtete der Kläger zunächst, er habe sich entgegen des anwaltlichen Rates entschlossen, eine Untersuchung des Fahrzeugs nicht zuzulassen. Ihm seien die Nachforschungen des Zeugen V schlicht «zuviel» gewesen. Nach dem Hinweis des Senats, dass hiernach die Klage schon wegen einer Obliegenheitsverletzung unbegründet sein dürfte, behauptete der Kläger nach einer Verfahrensunterbrechung, er habe das Geschehen «aus Nervosität» nicht richtig dargestellt. Tatsächlich habe er den vereinbarten Besichtigungstermin abgesagt, weil er an dem Tag keine Zeit gehabt habe. Danach habe ihm sein Rechtsanwalt von einer Nachbesichtigung abgeraten.

Rechtliche Wertung

Das OLG Hamm wies die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Weder habe er den Vollbeweis für einen Diebstahl führen können noch sei das äußere Bild eines Teilediebstahls erwiesen. Den Nachweis des äußeren Bildes habe der Senat im ersten Termin aufgrund der zugunsten des Klägers eingreifenden Redlichkeitsvermutung zwar zunächst noch angenommen. Im zweiten Termin sei diese Vermutung jedoch widerlegt worden. Nach Überzeugung des Senats sind die abweichenden Angaben des Klägers nach der Verhandlungsunterbrechung bewusst wahrheitswidrig gewesen. Der Kläger habe nach eigenen Angaben von seiner Mitwirkungsobliegenheit gewusst. Er könne sich nicht mit Erfolg auf einen Rat seines Rechtsanwalts berufen.

Unabhängig davon sei die Beklagte leistungsfrei, weil der Kläger vorsätzlich, sogar arglistig die Obliegenheit verletzt habe, das Fahrzeug von der Beklagten noch einmal näher untersuchen zu lassen (§ 28 VVG, E.1.3 der AKB). Die Regelung zur Leistungsfreiheit in E.6 der AKB sei wirksam. Dies gelte, auch wenn dort auf § 28 Abs. 4 VVG nicht hingewiesen wird. Der Senat halte fest an der bisherigen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 21.11.2012 – IV ZR 97/11, VersR 2013, 175) und folge nicht dem Urteil des LG Berlin vom 02.12.2016 (Az.: 42 O 199/16, r+s 2017, 344). Die Regelung in E.6 AKB weiche nicht von § 28 VVG ab. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erwarte keine vollständige Darstellung der Rechtslage. Dies gelte jedenfalls in Fällen, in denen eine solche Darstellung zumindest sehr schwierig ist.

Auch sonst bestehe kein Grund, die Regelung dahin zu verstehen, dass § 28 Abs. 4 VVG abbedungen sein soll. Die Regelung folge dieser Vorschrift, gebe sie nur eben nicht vollständig wieder. Etwas anderes folge auch nicht aus dem vom LG Berlin zitierten Urteil des BGH vom 02.04.2014 (r+s 2015, 347). Dieses Urteil sei zu Bedingungen aus dem Jahre 2005 ergangen, welche insgesamt noch auf den Vorgaben des § 6 Abs. 3 VVG a.F. beruhten.

Die Klausel der AKB 2008 genüge auch § 307 BGB und den diesbezüglichen Anforderungen des § 28 VVG. Eine Information über das Belehrungserfordernis des § 28 Abs. 4 VVG sei nicht geboten. Das Belehrungserfordernis gelte unter anderem nicht bei Arglist. Leistungsfreiheit wäre aber auch im Übrigen anzunehmen. Denn dann wäre eine Vertragsergänzung geboten, nach welcher hier Leistungsfreiheit eintritt. Der Kläger habe arglistig gegen eine vereinbarte Obliegenheit verstoßen, nachdem er (unstreitig) gemäß § 28 Abs. 4 VVG über seine Aufklärungspflichten informiert worden war.

Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen.

Praxishinweis

Das OLG Hamm kommt unter mehreren Aspekten zum zutreffenden Ergebnis der Leistungsfreiheit des Versicherers.

1. Im Hinblick auf die Fragen der Wirksamkeit der einschlägigen AKB-Klausel und der Zulässigkeit einer Vertragsergänzung zeigt das Urteil auf, wie sowohl Versicherungsbedingungen als auch Entscheidungen des BGH mitunter von Gerichten unterschiedlich interpretiert werden. Da es auch im Fall des zitierten Urteils des LG Berlin um AKB ging, die erst nach der VVG-Reform 2008 galten, während die vom LG Berlin angeführte Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 02.04.2014 - IV ZR 124/13 r+s 2014, 282; auch Urteil vom 02.04.2014 – IV ZR 58/13, r+s 2015, 347) die Frage der Bedingungsanpassung vom alten auf das neue VVG betraf, ist die Entscheidung des LG Berlin bereits ähnlich wie im vorliegenden Urteil kritisiert worden (s. Schreiner, r+s 2017, 344).

2. Hinsichtlich des Aspekts eines fehlenden Belehrungserfordernisses nach § 28 Abs. 4 VVG bei arglistigem Verhalten des Versicherungsnehmers schließt sich der Senat der herrschenden Meinung an (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski/Felsch, VVG, 3. Aufl. 2015, § 28 Rn. 226; Langheid/Rixecker/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 28 Rn. 115; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.3.2014 – IV ZR 306/13, NJW 2014, 1452 zu § 19 VVG).

Redaktion beck-aktuell, 7. September 2017.