OLG Hamm: Blasenschwäche schützt bei Geschwindigkeitsüberschreitung regelmäßig nicht vor Fahrverbot

Ein plötzlich auftretender starker Harndrang infolge einer krankheitsbedingt schwachen Blase rechtfertigt bei einer dadurch verursachten Geschwindigkeitsüberschreitung in der Regel kein Absehen von einem Regelfahrverbot. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit rechtskräftigem Beschluss vom 10.10.2017 entschieden. Ob eine Ausnahme gerechtfertigt sei, müsse der Bußgeldrichter im Einzelfall feststellen (Az.: 4 RBs 326/17, BeckRS 2017, 129512).

Bußgeld und Fahrverbot wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verhängt

Der damals 61 Jahre alte Betroffene überschritt auf einer Bundesstraße die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h. Dafür sanktionierte ihn die Bußgeldbehörde mit einer Geldbuße von 80 Euro und verhängte ein einmonatiges Fahrverbot, weil der Betroffene bereits im November 2016 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 28 km/h außerorts mit einem Bußgeld belegt worden war.

Geschwindigkeitsüberschreitung durch starken Harndrang infolge krankheitsbedingter Blasenschwäche verursacht

In der Verhandlung der Bußgeldsache vor dem Amtsgericht trug der Betroffene - unwiderlegt - vor, er verfüge nach einer Prostataoperation nur noch über eine eingeschränkte Kontinenz. Zu der Geschwindigkeitsüberschreitung sei es gekommen, als er während der Fahrt einen starken, schmerzhaften Harndrang verspürt habe, so dass er nur noch darauf fokussiert gewesen sei, "rechts ran fahren" zu können. Aufgrund des dichten Verkehrs auf der Bundesstraße habe er allerdings zunächst keine Gelegenheit zum Anhalten finden können.

AG bestätigte Bußgeld und Fahrverbot

Das AG bestätigte die Geldbuße von 80 Euro und das angeordnete Regelfahrverbot. Der Betroffene habe keine Tatsachen vorgetragen, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnten. Der Betroffene legte gegen Urteil Rechtsbeschwerde ein.

OLG: Starker krankheitsbedingter Harndrang kann ausnahmsweise Absehen von Regelfahrverbot rechtfertigen

Die Rechtsbeschwerde war - vorläufig - erfolgreich. Das OLG hat das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen. Die Begründung des angefochtenen Urteils zum Rechtsfolgenausspruch weise einen Erörterungsmangel zulasten des Betroffenen auf, so das OLG. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch eine besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt und der ursächlich für die Geschwindigkeitsüberschreitung sei, einen Grund darstellen könne, vom Regelfahrverbot abzusehen. Dies sei aber keineswegs der Normalfall. Der bloße Umstand einer bestimmten körperlichen Disposition reiche insoweit noch nicht, andernfalls erhalte der betroffene Personenkreis gleichsam einen "Freibrief" für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr.

Betroffener muss Vorkehrungen treffen

Wie das OLG weiter ausführt, müsse ein Betroffener mit einer solchen körperlichen Disposition grundsätzlich seine Fahrt entsprechend planen, gewisse Unwägbarkeiten (wie etwa Stau, Umleitungen) in seine Planungen einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen oder gegebenenfalls auf anfänglich aufgetretenen Harn- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren, damit ihn ein starker Drang zur Verrichtung der Notdurft nicht zu pflichtwidrigem Verhalten verleite. Ausgehend hiervon müsse der Bußgeldrichter die näheren Umstände einer solchen Fahrt auch in die Erwägungen zur Rechtsfolgenbemessung einbeziehen, was das angefochtene Urteil im vorliegenden Fall nicht erkennen lasse.

Häufiger auftretender dringender Harndrang kann Maß der Pflichtwidrigkeit sogar erhöhen

Laut OLG muss der Tatrichter bei der erneuten Verhandlung der Bußgeldsache die Umstände berücksichtigen, unter denen sich der Betroffene zu der Fahrt entschlossen hatte, und klären, wie der Betroffene auf seinen Harndrang während der Fahrt hätte reagieren können. Weiter werde auch zu prüfen sein, ob das Auftreten eines dringenden Harndrangs eine Situation sei, in welche der Betroffene häufiger komme. In diesem Fall müsse er sich hierauf entsprechend einstellen und es würde das Maß seiner Pflichtwidrigkeit geradezu erhöhen, wenn er gleichwohl ein Fahrzeug führe, obwohl er - wie er selbst angegeben habe - wegen quälenden Harndrang so "abgelenkt" gewesen sei, dass er der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keine Beachtung mehr habe schenken können.

OLG Hamm, Beschluss vom 10.10.2017 - 4 RBs 326/17

Redaktion beck-aktuell, 3. November 2017.