OLG Dresden: Vollkaskoversicherung – AKB bedürfen keines «Hinweises auf Hinweispflicht» nach § 28 Abs. 4 VVG

VVG §§ 28 IV, 32 S. 1; VVG a. F. § 6 III; BGB § 307 I 2; StGB § 142 I Nr. 2 und II; ZPO §§ 139 V, 525 S. 1

Das Oberlandesgericht Dresden hat in einem Urteil entschieden, dass eine Obliegenheitsklausel in den AKB eines Vollkasko-Versicherungsvertrages auch dann wirksam ist, wenn darin nicht explizit auf den Regelungsgehalt des § 28 Abs. 4 VVG hingewiesen wird, wonach Leistungsfreiheit bei Verletzung von Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach dem Versicherungsfall grundsätzlich eine vorherige Belehrung des Versicherungsnehmers in Textform voraussetzt.

OLG Dresden, Urteil vom 17.04.2018 - 6 U 1480/17 (LG Chemnitz), BeckRS 2018, 9496

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 12/2018 vom 14.06.2018

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Sachverhalt

Zwischen den Parteien bestand ein Vollkasko-Versicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) mit Stand 01.09.2014 zugrunde lagen. Nach den Klauseln Teil B Ziff. (1) in Verbindung mit Teil A Ziff. 3.2 (1) und Ziff. 3.3 (3) oblag es dem Kläger, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen konnte, insbesondere durfte er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Bei einer vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit sehen die AKB die Leistungsfreiheit des Versicherers vor.

An einem Samstagmorgen verursachte der Kläger mit seinem PKW einen Sachschaden an einem Geländer. Nach unbestrittener Aussage wartete er etwa 10 Minuten am Unfallort. Er meldete den Unfall im Weiteren nicht dem Eigentümer des beschädigten Geländers, was ihm nach eigenen Angaben auch nicht möglich war. Von der Möglichkeit, die Polizei zu verständigen, hat der Kläger bis in die Mittagsstunden, als die Polizei ihn als Unfallverursacher bereits ermittelt hatte und ihn auf dem Gelände des Autohauses, zu dem das Unfallfahrzeug abgeschleppt worden war, angesprochen hat, ebenfalls keinen Gebrauch gemacht. Gegen 13:30 Uhr am Unfalltag informierte der Kläger die Beklagte telefonisch über das Schadensereignis.

Das LG gab der Klage statt.

Rechtliche Wertung

Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG Dresden die Klage ab. Der Senat urteilte, dass die Beklagte aufgrund einer vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung des Klägers leistungsfrei sei. Entgegen der Ansicht des LG seien die Obliegenheitsklauseln in den AKB, insbesondere jene in Teil B Ziff. 2 (1) der AKB, wirksam, obwohl darin auf den Regelungsgehalt des § 28 Abs. 4 VVG, wonach Leistungsfreiheit bei Verletzung von Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten nach dem Versicherungsfall grundsätzlich eine vorherige Belehrung des Versicherungsnehmers in Textform voraussetzt, nicht explizit hingewiesen wird.

Insoweit schließt sich das Gericht dem OLG Hamm an (Urteil vom 09.08.2017 – 20 U 184/15, BeckRS 2017, 120542, Anmerkung Günther in FD-VersR 2017, 394049). Die AKB-Regelung weiche nicht im Sinne von § 32 Satz 1 VVG von § 28 VVG ab. Die Klausel könne nicht dahin verstanden werden, dass sie die Leistungsfreiheit unabhängig von dem gesetzlichen Belehrungserfordernis aus § 28 Abs. 4 VVG anordne. Vielmehr sei sie dahin zu verstehen, dass zusätzlich § 28 Abs. 4 VVG zu beachten ist. Diese Vorschrift solle nicht etwa abbedungen sein. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 02.04.2014 (Az.: IV ZR 58/13, BeckRS 2014, 08783, Anmerkung Günther in FD-VersR 2014, 358119). Auch mit Blick auf das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sei eine Information über das Belehrungserfordernis des § 28 Abs. 4 VVG nicht geboten.

Der Leistungsfreiheit stehe eine fehlende Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG nicht entgegen. Eine solche Belehrung sei bei spontan zu erfüllenden Obliegenheiten nicht erforderlich.

Des Weiteren stellt der Senat heraus, dass die Klauseln dahingehend auszulegen seien, dass derjenige, der durch das Verlassen der Unfallstelle den Tatbestand des § 142 StGB erfüllt, grundsätzlich auch seine Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung verletzt. Eine darüber hinausgehende Reichweite der Obliegenheiten ergebe sich aus den genannten Klauseln der AKB hingegen nicht.

Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass der Kläger zwar eine angemessene Zeit im Sinn des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewartet habe. Allerdings habe er den Straftatbestand dadurch verwirklicht, dass er dem Geschädigten bzw. der Polizei die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht habe. Auch habe der Kläger die Beklagte nicht fristgerecht über das Schadensereignis unterrichtet. Davon wäre zwar die Strafbarkeit unberührt geblieben, der Obliegenheit aus dem Vertrag wäre aber gleichwohl genüge getan worden.

Den grundsätzlich möglichen Kausalitätsgegenbeweis habe der Kläger nicht rechtzeitig angetreten.

Praxishinweis

Das OLG Dresden ist der zutreffenden Auffassung, dass es in AVB keines «Hinweises auf die Hinweispflicht» nach § 28 Abs. 4 VVG bedarf. Dies hat der BGH jüngst klargestellt: § 28 Abs. 4 VVG lasse «sich an keiner Stelle entnehmen», dass der Gesetzgeber dem Versicherer zusätzlich einen «Hinweis auf die Hinweispflicht» auferlegen wollte. Es sei auch «nicht ersichtlich, weshalb ein derartiger zusätzlicher Hinweis zum Schutz des Versicherungsnehmers erforderlich sein sollte» (BGH, Urteil vom 04.04.2018 – IV ZR 104/17, NJW 2018, 1544). Damit hat der BGH eine umstrittene Frage zutreffend geklärt (s. zum Meinungsstreit Grams, FD-VersR 2018, 405307). Auch wenn sein Urteil «nur» zur Reiseabbruchversicherung erging, ist es insoweit von allgemeinem Interesse. Der IV. Zivilsenat folgt ausdrücklich der Auffassung des OLG Hamm und der unter anderem von Günther in FD-VersR 2017, 394049 vertretenen Ansicht.

Der Senat geht ferner zutreffend davon aus, dass eine Hinweispflicht nach § 28 Abs. 4 VVG im Streitfall nicht bestand. Denn bei spontan zu erfüllende Aufklärungsobliegenheiten, bei denen schon in tatsächlicher Hinsicht gar keine Möglichkeit für eine vorherige Belehrung von Seiten des Versicherers besteht, entfällt das Belehrungsbedürfnis gewissermaßen aus der Natur der Sache (OLG Naumburg, Urteil vom 21.06.2012 - 4 U 85/11, NJW-RR 2013, 37, 38; so auch u.a. Marlow in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 13 Rn. 153; Wandt in: Langheid/Wandt, VVG, 2. Aufl. 2016, § 28 Rn. 320).

Redaktion beck-aktuell, 26. Juni 2018.